Wehrmedizinische Monatsschrift

REHABILITATION NACH EXPLOSIONSTRAUMA

Interdisziplinäre Versorgung und Rehabilitation
einer kraniomaxillofazialen Explosionsverletzung

Interdisciplinary Treatment and Rehabilitation after Cranio-Maxillofacial Blast Injury

Andreas Munda,c, Axel Mayera, Sandra Schmidtb, Andreas Pabsta, Kay Webela, Kai Lorenzb, Thomas Egerc, John Rudata, Daniel A.Veitd, Richard Werkmeistera

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VII – Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie

b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik V – Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde

c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnmedizin

d Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VIII – Radiologie und Neuroradiologie

 

Zusammenfassung

Das BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz ist als Teil des Systemverbunds der Bundeswehrkrankenhäuser ein Krankenhaus der vierten Behandlungsebene (Role 4). Zu den Kernaufträgen der Bundeswehrkrankenhäuser gehört die medizinische Versorgung von aus den Einsatzgebieten repatriierten Soldatinnen und Soldaten. Bei dieser Versorgung stehen aufgrund der Verletzungsmuster von Einsatz- oder Kriegsverletzungen meist die Unfallchirurgie, die Allgemeinchirurgie und die sogenannten „Kopffächer“ Neurochirurgie, Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Augenheilkunde, Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie und die Zahnmedizin mit in erster Reihe. Das hier vorgestellte Fallbeispiel beschreibt die aufwendige, insgesamt 15 Monate dauernde Weiterversorgung und Rehabilitation eines ukrainischen Soldaten, der durch eine Explosion bei Gefechten in der Ukraine schwer verwundet und in seiner Heimat erstversorgt wurde. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und den Kliniken des Kopfzentrums des BundeswehrZentralkrankenhauses Koblenz wird beschrieben.

Schlüsselwörter: Einsatzchirurgie, Traumatologie, MKG-Chirurgie, HNO-Chirurgie, Kopfzentrum, Rehabilitation

Summary

The Bundeswehr Central Hospital Koblenz as part of the system network of German military hospitals is a medical facility of the fourth treatment level (role 4). One of the core missions of these hospitals is the terminal medical treatment of repatriated soldiers. Due to the injury patterns in military deployments and war injuries usually trauma surgery and the so called „head disciplines“ consisting of neurosurgery, ear, nose and throat medicine, opthalmology, maxillofacial surgery and dentistry are in first line of treatment. This case-report approaches the further treatment and rehabilitation of a Ukrainian soldier who was wounded by an explosion and after first treatment in his home country was deployed to Germany for further care. The duration of treatment was 15 months. This article describes the close collaboration of the department of orthopedic and trauma surgery and the departments of the head and neck center at the Bundeswehr Central Hospital Koblenz.

Keywords: trauma surgery, CMF surgery, ENT surgery, head and neck center, deployment injury, orthopedic and dental rehabilitation

Zum Ausgangsbefund

Vorgeschichte

Am 11. April 2019 wurde ein damals 38-jähriger ukrainischer Soldat Opfer einer Kriegsverletzung. Nach eigenen Angaben war er an diesem Tag Beifahrer eines PKW, als dieser von einem Panzer beschossen wurde. Hierbei habe er eine Schussverletzung des linken Oberarms erlitten und es sei zu einer Explosion gekommen. In der Folge sei er zwei Wochen später im Militärkrankenhaus in Kiew aufgewacht. Dort habe man ihm erzählt, dass er während der Dauer seines Komas 6-malig habe reanimiert werden müssen. Im Militärkrankenhaus in Kiew erfolgte auch die Erstversorgung seiner durch das Explosionstrauma verursachten komplexen Verletzungen.

Die Diagnosen umfassten eine Le Fort III-Fraktur rechts, eine Orbitabodenfraktur rechts, multiple Gesichtsverletzungen durch Schrapnelle, eine Nasenbeinfraktur, eine schussbedingte Humerusfraktur links, multiple Hautmazerationen im Bereich der linken Schulter, eine Unterschenkelfraktur links, eine Trommelfellperforation links und eine Radialisparese links.

Im Rahmen der humanitären Hilfe, die die Bundeswehr in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt leistet, wurde er am 14. Mai 2019 aus Kiew zur Weiterversorgung ins BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz verlegt.

Aufnahmebefund

Bei Erhebung des Aufnahmebefunds war der linke Oberarm durch einen externen Fixateur ruhiggestellt und es zeigte sich eine ausgedehnte Hautverletzung im Bereich der linken Schulter. Die linke Hand war nur minimal beweglich und die Sensibilität herabgesetzt. Zudem zeigten sich diverse eingesprengte Partikel im Bereich des Unterarmes. Auch der linke Unterschenkel war mit einem Fixateur externe ruhiggestellt. Diverse Defekte waren hier mit Spalthaut (Entnahmestelle am linken Oberschenkel) abgedeckt.

Im Gesichtsbereich zeigten sich multiple, mit Hautnähten versorgte, Verletzungen. Das Nasenskelett erschien deutlich verkürzt und beweglich. Eine Wunde des Nasenrückens wies eine ausgeprägte Dehiszenz auf. Multiple Oberkieferzähne und der entsprechende Alveolarfortsatz fehlten traumabedingt. Die Bissverhältnisse im Bereich der Restzähne war gestört und die Mundöffnung war auf unter 11 mm Schneidekantendistanz eingeschränkt. Der Oberkiefer war deutlich mobil. Im Innervationsgebiet des zweiten Trigeminusastes lag eine Taubheit vor. Des Weiteren bestand eine Parese im Bereich der mimischen Muskulatur rechts. Der Visus war intakt, jedoch gab der Patient Doppelbilder beim Blick nach oben an. Die Ernährung erfolgte über eine seit 4 Wochen liegende Ernährungssonde.

In der CT-Bildgebung zeigte sich eine mit Osteosyntheseplatten und einem Titanmesh vorversorgte, jedoch in Fehlstellung verheilte zentro-laterale Mittelgesichtsfraktur und eine Nasenbeintrümmerfraktur. Außerdem konnte ein Kieferhöhlenempyem rechts nachgewiesen werden. Nebenbefundlich wies der Patient eine bakterielle Kontamination mit MRGN 3 und 4 (multiresistente gramnegative Bakterien) auf.

Auf dem HNO-Fachgebiet lagen ebenfalls multiple Verletzungsmuster bei dem Patienten vor. Neben einer ­Naseneingangsstenose links bei narbiger Verziehung durch einen Flügelknorpeldefekt mit endonasaler Septumdeviation, zeigte sich ein über die gesamte Länge höhengeminderter Nasenrücken nach Trümmerfraktur des knöchernen Nasenskeletts. Eine schwartige Narbe oberhalb des Nasenflügels rechts mit Verbreiterung des knöchern-knorpeligen Übergangs führte zu einer deut­lichen Störung der Symmetrie. Weiterhin wies der Patient einen feuchten Gehörgang mit subtotalem Trommelfelldefekt links, eine mittelgradige kombinierte Schall­leitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit linksseitig als Folge des Explosionstraumas auf, die durch druckwellenbedingte Zerreißung des Trommelfells und Schädigung des Innenohres durch mikromechanische Schädigung mit Degeneration der Haarzellen bedingt war.

Abb. 1: Rekonstruktion in Volumen-Rendering-Technik (VRT) der Computertomografie des Schädels nach chirurgischer Erstversorgung im Heimatland: Es zeigen sich eine schwer dislozierte laterale Mittelgesichtsfraktur rechts sowie Trümmerfrakturen des zentralen Mittelgesichts und des lateralen Mittelgesichts links.

Re-Osteosynthese, Reposition und Verplattung

Nach initialer Wundkonditionierung im Bereich der linken Schulter erfolgte am 29. Mai 2019 in Intubationsnarkose die Entfernung der externen Fixateure durch das Ärzteteam der Unfallchirurgie. Diese Operation fand, wie alle weiteren Eingriffe in Intubationsnarkose und aufgrund der Besiedlung mit MRGN 3 und 4 in einem speziellen Hybrid-OP statt, der ausschließlich für infektiöse Patienten verwendet wird.

Die Entfernung des Osteosynthesematerials im Gesichtsbereich, die Re-Osteotomie der in Fehlstellung teilkonsolidierten Gesichtsschädelknochen, die Reposition und die Re-Osteosynthese wurden präoperativ mit der Software PROPLAN CMF® (Fa. Materialize, Leuven, Belgien) virtuell dreidimensional geplant. Dieser Eingriff erfolgte am 7. Juni 2019 über einen lateroorbitalen, infraorbitalen und intraoralen Zugang. Nach Durchführung der dreidimensional geplanten Osteotomie wurde eine Re-Osteosynthese des rechten Jochbeins durchgeführt. Der rechte stark getrümmerte Orbitaboden wurde mit einer individualisierten PDS-Folie rekonstruiert. Nach Rekonstruktion der rechten Kieferhöhlenvorderwand erfolgte eine intraorale Narbenlösung und Narbenexzision sowie eine Osteotomie des Processus muscularis des rechten Unterkiefers und eine forcierte Kieferdehnung zur Verbesserung der Mundöffnung. Außerdem wurden während dieses Eingriffs multiple Fremdkörper, vorwiegend Glassplitter, aus den Gesichtsweichteilen entfernt.

Abb. 2: Dreidimensionale Rekonstruktion und Planung der Osteotomie und der Re-Osteosynthese: Vergleich des Ausgangsbefunds (obere Bildreihe) mit dem geplanten OP-Ergebnis (untere Bildreihe)

HNO-ärztliche Behandlung

Auf dem Gebiet der HNO-Heilkunde erfolgte zunächst die Behandlung der Otorrhoe mit antibiotischen Ohrentropfen, um die Bedingungen für die geplante Trommelfellrekonstruktion zu optimieren. Weiterhin erhielt der Patient trotz des Zeitfensters von 5 Wochen seit dem Trauma, eine systemische Kortikoidtherapie im Sinne eines Innenohrschemas. Rationale für diese Kortikoidtherapie war einerseits der Versuch, den knalltraumabedingten Tinnitus sowie die beschädigten Haarzellen des Innenohres und den damit verbundenen Hörverlust zu behandeln. Ferner ist bekannt, dass es insbesondere bei Explosionstraumata auch noch nach Jahren zu einer fortschreitenden Innenohrschädigung kommen kann. Möglicherweise wirkt eine Kortisontherapie hier innenohrprotektiv. Die Ohroperation erfolgte bei reizlosen Gehörgangsverhältnissen im Sinne einer Tympanoplastik Typ 1, das Trommelfell wurde durch ein Knorpel-Perichondrium-Transplantat rekonstruiert. Hierdurch konnte die Schallleitungsschwerhörigkeit komplett aufgehoben werden. Der Innenohrschaden ließ sich durch die Kortikoidtherapie nicht beeinflussen. Im Verlauf wurde außerdem eine Septorhinoplastik mit Begradigung des Nasenrückens, Lösung und Unterfütterung der Narben im Bereich des linken Nasenflügels mit autologem Ohrknorpel durchgeführt. Insbesondere die Augmentation des Nasenrückens wie auch die Rekonstruktion des Flügelknorpels erwiesen sich als äußerst komplex, da die ausgedehnten Weichteiltraumata im Verbund mit der – durch die Nasenbeintrümmerfraktur fehlenden Unterstützung der Nasenform – zu einer narbigen Schrumpfung des kompletten Nasenweichteilmantels geführt hätten.

Abb. 3: Oberes Bild: Reintonaudiometrie präoperativ (Schallleitungskomponente von ca. 30 dB links). Unteres Bild: Reintonaudiometrie postoperativ (Schallleitungsschwerhörigkeit komplett aufgehoben).

Am 19. Juni 2019 wurde die Unterschenkelfraktur links mittels Marknagelung der Tibia durch ein Team der Klinik für Orthopädie/Unfallchirurgie versorgt. Bei diesem Eingriff fand in der gleichen Narkose auch eine Tympano­plastik mittels Knorpeltransplantat durch Angehörige der HNO-Klinik statt.

Revisionsoperationen, Infektionen, forcierte Kiefergelenksdehnung

Trotz postoperativer Mundöffnungsübungen durch den Patienten kam es zu einer erneuten Mundöffnungseinschränkung mit 25 mm Schneidekantendistanz. Zudem entwickelte sich durch einen metallischen Fremdkörper ein Abszess im Bereich der linken Unterlippe. Am 31. Juli 2019 wurde daher in einer weiteren Intubationsnarkose eine Abszessinzision und Entfernung des Fremdkörpers durchgeführt. Zudem erfolgte im selben Eingriff eine weitere Narbenlösung von intraoral an der linken Wange. Der Processus muscularis des linken Unterkiefers wurde durchtrennt und durch eine Myotomie des Musculus masseter ergänzt. Nach forcierter Kiefergelenksdehnung wurde ein Gummibeißkeil eingebracht, der für zwei Wochen in situ blieb, um das Ergebnis dieser Maßnahme zu sichern. Parallel dazu führte ein Ärzteteam der Unfallchirurgie eine Plattenosteosynthese der Humerusfraktur durch.

Bei sonst stadiengerechten Wundverhältnissen zeigte sich im Bereich der rechten Wangeninnenseite nach zwei Wochen ein submuköser Abszess, der in Lokalanästhesie gespalten wurde. Der Patient wurde hiernach angewiesen, den Gummikeil pro Stunde für 10 min einzusetzen.

Provisorische prothetische Versorgung

Bei einer Mundöffnung von 38 mm Schneidekantendistanz wurden erste Kieferabformungen für eine spätere Versorgung des Ober- und Unterkiefers durchgeführt. Im Bereich der rechten Wange zeigte sich zu diesem Zeitpunkt eine neu aufgetretene Fistelbildung von intra- nach extraoral. Diese Fistel wurde am 4. September 2019 in Allgemeinnarkose revidiert und erfolgreich verschlossen.

Am 13. September 2019 konnten bei dem Patienten Ober- und Unterkiefer-Interimszahnprothesen mit gebogenen Klammern als Halteelemente eingegliedert werden. Diese wurden im zahntechnischen Labor der Abteilung XXIII – Zahnmedizin hergestellt.

Durch die noch immer eingeschränkte Beweglichkeit des linken Arms und der linken Hand war die Handhabung dieser Prothesen für den Patienten eingeschränkt. Zudem musste die Friktion der Halteelemente regelmäßig neu justiert werden. Durch diese provisorische prothetische Versorgung konnte eine deutliche Verbesserung der Phonetik und Kaufunktion erreicht werden. Hierzu trug auch die Unterstützung der durch die Fazialisparese unbeweglichen Oberlippe durch den Prothesensattel bei, da dieser einen großen Teil des durch das Trauma verlorenen Alveolarfortsatzes ersetzte. Aufgrund der Ab­stützung der Ober- und Unterlippe durch die Prothesen, die vom Patienten gut akzeptiert und regelmäßig getragen wurden, ergab sich auch eine Verbesserung der Ästhetik.

Implantatprothetische Versorgung, weitere Komplikationen, Behandlungsabschluss

Es wurde das Ziel verfolgt, die provisorische, herausnehmbare und funktionell nicht vollends zufriedenstellende prothetische Versorgung durch eine abnehmbare implantatgetragene Teleskopprothese im Oberkiefer zu ersetzen. Hierfür waren die Ausgangsvoraussetzungen sehr ungünstig, da durch das Trauma mehrere Oberkieferzähne und ein großer Teil des dazugehörigen zahntragenden Kieferknochens verloren gegangen war. Zur dreidimensionalen Implantatplanung wurde die provisorische Oberkieferprothese im Zahntechniklabor der Abteilung XXIII – Zahnmedizin doubliert und mit einem röntgenopaken Bariumsulfat-Kunststoff beschichtet. Nach Einsetzen dieser so präparierten Prothesenaufstellung wurde eine digitale Volumentomographie (DVT) des Patientenkopfes erstellt und die virtuelle Implantatplanung (Software Galaxis Implant Fa. Sirona, Bensheim) unter Einbeziehung des vorhandenen Restknochens durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Planung wurde eine individuelle Bohrschablone (Fa. SiCAT, Bonn) zur streng geführten Implantation angefertigt. Die Anwendung einer solchen Bohrschablone soll gewährleisten, dass die präimplantologische Planung intraoperativ exakt umgesetzt und auf zusätzliche Eingriffe zur Knochenaugmentation im Kieferbereich verzichtet werden kann. Die infektiologische Vorgeschichte des Patienten ließ das Auftreten von Komplikationen bei komplexen Knochenaufbaumaßnahmen befürchten.

Abb. 4: Virtuelle dreidimensionale Implantatplanung mit der Software Galaxis Implant und Bariumsulfataufstellung der zu ersetzenden Zähne

Zwischenzeitlich erfolgte in der Klinik für Orthopädie/Unfallchirurgie am 6. November 2019 eine Operation nach Merle d‘Aubigné zur motorischen Ersatzplastik der ausgefallenen Extensoren des linken Unterarms. Nach einer sechswöchigen Ruhigstellung begann eine intensive physio- und ergotherapeutische Behandlung der linken Hand. Durch eine adäquate kortikale Umorientierung konnte so eine Verbesserung der Beweglichkeit erreicht werden.

Am 8. Januar 2020 trat eine Schwellung und Rötung des rechten Unterlids auf. Durch eine infraorbitale Fistel kam es zum Abgang einer Osteosyntheseschraube. Daraufhin wurde am 14. Januar 2020 die Entfernung des Osteosynthesematerials von intra- und extraoral sowie eine Kieferhöhlenfensterung in Intubationsnarkose durchgeführt. Eine Woche nach dieser Operation zeigten sich zwar reizlose Wundverhältnisse, aber auch eine circa 3 mm große Verbindung zwischen Mund- und Kieferhöhle rechts im ehemaligen Seitenzahnbereich.

Am 11. Februar 2020 erfolgte in Intubationsnarkose die schablonengeführte Insertion von Zahnimplantaten im Oberkiefer rechts und links in den Regionen 013, 015, 023, 024 und 025. Dabei kamen Tissue Level Implantate des Typs Standard Plus RN (Fa. Straumann, Basel, Schweiz) zur Anwendung. Bis auf regio 013 wurde an allen Implantatpositionen bei der Implantatbett-Aufbereitung ein interner Sinuslift durchgeführt. In regio 025 zeigt sich bei der Präparation des Implantatbetts ein bindegewebig umschiedenes Schrapnell im Oberkieferknochen, das entfernt werden konnte. Durch den durch das Bindegebe verursachten Knochendefekt musste in dieser Position abweichend zur ursprünglichen Planung ein Implantat größeren Durchmessers inseriert werden. Zudem wurde bei dem Eingriff auch die entstandene Mund-­Antrum-Verbindung bei regio 0 16 verschlossen.

Am 15. Mai 2020 erfolgte die Freilegung der Implantate in Lokalanästhesie. Dabei zeigten sich alle Implantate bis auf regio 025 osseointegriert. Das bindegewebig umbaute Implantat 025 wurde explantiert und die Kavität plastisch gedeckt. Der Zahn 16 wurde mit einer neuen Krone versorgt, da die vorhandene Krone ebenfalls durch das Trauma beschädigt worden war. Nach 12 Tagen wurden die Implantate offen mit einem individuellen Löffel abgeformt. Während der Phase der prothetischen Versorgung mit Wachs-, Gerüst- und Gesamteinprobe erfolgten subgingivale Zahnreinigungen, Mundhygiene­instruktionen sowie eine konservierende Füllungstherapie am Restgebiss.

Am 10. Juli 2020 konnte die fertiggestellte implantatgetragene Oberkieferteleskopprothese eingesetzt werden. Bei dieser Prothese handelt es sich um eine gaumenfrei gestaltete Arbeit mit auf den Implantaten verschraubten Primärteleskopen aus einer edelmetallfreien Legierung. Die Sekundärkronen beinhalten verstellbare Friktionselemente. So konnte die Friktion, die zum Einsetzen und Herausnehmen der Prothese benötigt wird, individuell auf die immer noch eingeschränkten manuellen Fähigkeiten des Patienten angepasst werden. Durch die Verwendung einer Teleskopprothese wurden die Voraussetzungen für eine optimale Hygienefähigkeit geschaffen. Die Gestaltung des Prothesensattels, besonders im Frontzahnbereich, führt zu einer optimierten Weichteilunterstützung der rechten Oberlippe, die möglicherweise dauerhaft paretisch bleiben wird.

Der Patient zeigte sich mit dem ästhetischen Ergebnis und mit der vereinfachten Handhabung der Prothese sehr zufrieden.

Abb. 5: Linkes Bild: Oberkieferteleskopprothese in situ; rechtes oberes Bild: Profilansicht von rechts ohne Prothese; rechtes unteres Bild: Profilansicht von rechts mit Prothese in situ; es zeigt sich eine prothesenbedingte deutliche Verbesserung der Weichteilunterstützung durch den Prothesensattel.

Nach seiner Entlassung am 24. Juli 2020 kehrte der Patient in die Ukraine zurück. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Operationswunden reizlos verheilt. Die Beweglichkeit des linken Arms und der linken Hand waren zwar weiterhin reduziert, jedoch deutlich verbessert. Durch multiple Hornhautnarben ist die Sehschärfe nicht optimal, konnte mit einer neuen Brille jedoch bestmöglich korrigiert werden. Beide Trommelfelle des Patienten waren bei der abschließenden HNO-Untersuchung reizlos und intakt. Eine Nasenflügelplastik kann aus HNO-Sicht in 6 Monaten erwogen werden.

Fazit und wehrmedizinische Relevanz

Die Frequenz der Verletzungen des Kopf-, Hals-, Gesichtsbereich bei verletzten Soldaten beträgt zwischen 20 und 40 %; sehr häufig handelt es sich dabei um Explosionsverletzungen [2][3]. In dem hier vorgestellten Fallbespiel wird die Komplexität der Versorgung von Explosionsverletzungen im Kopf- und Gesichtsbereich überaus deutlich. Nur in einem interdisziplinären und sehr zeitaufwendigen Vorgehen und bei Einsatz von aufwendigen diagnostischen und therapeutischen Verfahren wird man den komplexen Herausforderungen gerecht [5]. Hierzu müssen ärztliches und zahnärztliches Behandlungsteam kontinuierlich und hochspezialisiert ausgebildet und in Übung gehalten werden.

Im Behandlungsverlauf von thermobarischen und mit multiresistenten Keimen kontaminierten Verletzungen kommt es gehäuft zu Infektkomplikationen. Diese führen zu Therapierückschlägen und haben damit Einfluss auf die Therapieverfahren. Die Behandlung des infektiösen Patienten stellte hohe Anforderungen an die zu treffenden Hygiene-Schutzmaßnahmen für das an der Behandlung beteiligte medizinische Personal und sämtliche Kontaktpersonen des Patienten.

In dem hier vorgestellten Fallbeispiel werden die Herausforderungen eindrücklich deutlich. Eine enge Zusammenarbeit zwischen der Unfallchirurgie, Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie, HNO-Heilkunde und Zahnmedizin ist notwendig, um funktionell zufriedenstellende Behandlungsergebnisse zu erzielen [1][44]. Bei dem Patienten konnte in einem Zeitraum von insgesamt 15 Monaten die Funktion der Extremitäten, die Funktion des Stomato­gnathen Systems sowie die Hör- und Sehfähigkeit weitestgehend wiederhergestellt werden. Neben der Wiederherstellung der Funktion konnte auch die Form und somit die Gesichtsästhetik wesentlich verbessert werden. Dies hat einen Einfluss auf die orale Lebensqualität und die seelische Gesundheit des Patienten [6].

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist mit den Behandlungsmöglichkeiten in den beiden Kopfzentren Ulm und Koblenz dafür gewappnet, allen Soldatinnen und Soldaten im Falle ähnlicher Einsatzverletzungen eine nach höchsten Standards optimale medizinische Versorgung zu gewähren.

Literatur

  1. Harris CM, Laughlin R: Reconstruction of hard and soft tissue maxillofacial defects. Atlas Oral Maxillofac Surg Clin North Am 2013; 21(1): 127-138. mehr lesen
  2. Lew TA, Walker JA, Wenke JC, Blackbourne LH, Hale RG: Characterization of craniomaxillofacial battle injuries sustained by United States service members in the current conflicts of Iraq and Afghanistan. J Oral Maxillofac Surg. 2010; 68(1): 3-7. mehr lesen
  3. Rustemeyer J, Kranz V, Bremerich A: Injuries in combat from 1982-2005 with particular reference to those to the head and neck: A review. Br J Oral Maxillofac Surg 2007; 45(7): 556-560. mehr lesen
  4. Sayer NA, Chiros CE, Sigford B, Scott S, Clothier B, Pickett T, Lew HL: Characteristics and rehabilitation outcomes among patients with blast and other injuries sustained during the Global War on Terror. Arch Phys Med Rehabil 2008; 89(1): 163-170. mehr lesen
  5. Shuker ST: Maxillofacial air-containing cavities, blast implosion injuries, and management. J Oral Maxillofac Surg 2010; 68(1): 93-100. mehr lesen
  6. Spanemberg JC, Cardoso JA,  Slob EM, López-López J: Quality of life related to oral health and its impact in adults. J Stomatol Oral Maxillofac Surg 2019;120(3): 234-239. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Mund A, Mayer A, Schmidt S, Pabst A, Webel K, Lorenz K, Eger T, Rudat J, Veit DA, Werkmeister R: Interdisziplinäre Versorgung und Rehabilitation einer kraniomaxillofazialen Explosionsverletzung. WMM 2021; 65(5): 166-171.

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Andreas Mund

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Klinik VII – Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie

Abteilung XXIII – Zahnmedizin

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: andreasmund@bundeswehr.org

Manuscript data

Citation

Mund A, Mayer A, Schmidt S, Pabst A, Webel K, Lorenz K, Eger T, Rudat J, Veit DA, Werkmeister R: Interdisciplinary Treatment and Rehabilitation after Cranio-Maxillofacial Blast Injury. WMM 2021; 65(5): 166-171.

 

For the Authors

Lieutenant Colonel (MC) Dr. Andreas Mund

Bundeswehr Central Hospital Koblenz

Department VII – Oral and Maxillofacial Surgery

Department XXIII – Dentistry

Ruebenacher Str. 170, D-56072 Koblenz

E-Mail: andreasmund@bundeswehr.org