Wehrmedizinische Monatsschrift

NICHT NUR DIE SCHÄDELBASIS IM FOKUS

„State of the Art“ bei Operationen
gigantischer Makroadenome der Hypophyse

State-of-the-Art Surgery of Giant Pituitary Adenoma

Chris Schulza, Uwe Max Mauera, Guido Mühlmeierb, Carsten Hackenbrochc, René Mathieua

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik XII – Neurochirurgie

b Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik V – Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie

c Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik VIII – Radiologie

 

Zusammenfassung

Hintergrund: Hypophysenadenome gehören zu den häufigsten intrakraniellen Tumoren. Ein Großteil der Adenome ist hormoninaktiv und wächst daher häufig bis auf eine beachtliche Größe heran. Makro- und Giant-Adenome manifestieren sich meist mit ophthalmologischen und/oder neuroendokrinologischen Ausfallsymptomen. Operative Eingriffe zur Tumorresektion lassen sich in solchen Situationen meist nicht mehr umgehen, gelegentlich sind sie sogar notfallmäßig indiziert. Mit zunehmender Adenomgröße steigt die Komplexität operativer Eingriffe. Verschiedene operative Zugangswege und OP-unterstützende Techniken sind verfügbar und werden heutzutage in spezialisierten Zentren vorgehalten sowie bedarfsadaptiert angewendet. Die Darstellung der modernen leitliniengerechten Diagnostik und Therapie von hypophysären Tumoren am Beispiel von Giant-Adenomen ist das Ziel dieser Fallpublikation.

Falldarstellungen: Es werden 3 Fälle mit einem Giant-Adenom präsentiert. Alle 3 zeigten präoperativ er­hebliche ophthalmologische und endokrinologische Symptome und stellten somit eine dringliche Operations­indikation dar. In Fall 1 konnte der Tumor vollständig primär von transnasal aus entfernt werden. In Fall 2 war zusätzlich zur transnasalen Resektion ein transkranieller Eingriff zur Komplettresektion erforderlich. In Fall 3 war eine Kombination aus primär transnasaler, sekundär transventrikulärer und tertiär erneut transnasaler Resektion zur hinreichenden Tumorverkleinerung nötig. In allen Fällen kam es postoperativ zur Verbesserung der Sehfunktion. Ebenfalls in allen 3 Fällen persistierte postoperativ eine Hormonsubstitutionspflicht, allerdings ausschließlich für Kortisol.

Schlussfolgerung: Das therapeutische Vorgehen bei Giant-Adenomen der Hypophyse ist komplex und erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Diagnostik und Therapie, am besten in spezialisierten und zertifizierten Schädelbasis-Zentren. Hier werden die personelle Expertise und die vollständige moderne technisch-apparative Ausstattung zur Behandlung solcher Tumore im 24/7-Modus vorgehalten. Die hohen Raten an Komplettresektionen bei überwiegendem Erhalt von Seh- und Hormonfunktionen auch bei Giant-Adenomen sind die Konsequenz der personellen und materiellen Anstrengungen, die in zertifizierten Schädelbasis-Zentren betrieben wird.

Schlüsselwörter: Selläre Tumore, Hypophysenadenome, Makroadenome, Hypophysenchirurgie, Neuronavigation, intraoperative Kernspintomographie

Summary

Background: Pituitary adenomas belong to the most common intracranial tumors. Most of the adenomas are hormone inactive and can grow up to a considerable size. Macro and giant adenomas usually present ophthalmological and/or neuroendocrinological failure symptoms. In those situations, surgical interventions to remove the tumor can usually be avoided no longer; occasionally there can be an indication for emergency surgery. The complexity of surgical interventions increases with the size of the adenoma. In specialized and certified skull base centers. Various surgical access routes and surgery supporting techniques are available. Based on the example of giant adenomas we want to present the modern, guideline-based diagnosis and therapy of pituitary tumors.

Case Reports: We present 3 cases of giant adenomas. Preoperatively all of them showed significant ophthalmological and endocrinological symptoms and thus represented an urgent indication for surgery. In case 1, the tumor could be removed completely, primarily from the transnasal approach. In case 2, in addition to the transnasal resection, an additional transcranial surgery for a complete resection was necessary. In case 3, a combination of primary transnasal, secondary transventricular and tertiary re-transnasal resection was necessary to achieve adequate tumor reduction. In all cases, the postoperative visual function improved. Each patient postoperatively needed persisting hormone replacement, but only for cortisol.

Conclusion : Perioperative procedures for giant adenomas of the pituitary gland are complex and require interdisciplinary cooperation in diagnostics and therapy, in an ideal manner conducted in specialized and certified skull base centers. These centers provide personal expertise and complete modern technical equipment for the treatment of such tumors in a 24/7 mode. Significant rates of complete resections with predominant preservation of visual and hormonal functions, even in case of giant adenomas, are the consequence of personnel and material efforts that are carried out in certified skull base centers.

Keywords: sellar tumors, pituitary adenoma, macroadenoma, pituitary surgery, neuronavigation, intraoperative magnetic resonance tomography, giant adenoma

Hintergrund

Selläre und periselläre Tumore machen knapp 20 % der intrakraniellen Tumore aus. Circa 80 % der Sella-Tumore sind Hypophysenadenome. Mit etwa 15 % aller intrakraniellen Tumore sind sie die dritthäufigste Hirntumor-Entität [16][17]. Nur etwa die Hälfte der Adenome ist klinisch hormonaktiv (in absteigender Häufigkeit: Prolaktinome, STH-sezernierende und ACTH-produzierende Läsionen). Ein wesentlicher Teil von ihnen ist hingegen klinisch hormoninaktiv [7]. Sie machen sich daher nicht frühzeitig – schon bei kleinen Tumorstadien – durch die typischen Hormonexzesse (z. B. Hyperprolaktinämie-Syndrome, Akromegalie oder M. Cushing) bemerkbar, sondern neigen zur Ausbildung von sogenannten Makro-Adenomen (Tumordurchmesser > 10 mm) oder sogar Giant-Adenomen (Tumorausdehnung > 40 mm mit suprasellärem Wachstum). In Autopsie-Studien werden Adenome mit einer Größenausdehnung > 10 mm in weniger als 1 % der Fälle gesehen [10]. Die klinische Erstmanifestation der hormoninaktiven Makro- und Giant-Adenome wird meist endokrinologisch (durch eine Mindersekretion einzelner oder aller hypophysären Hormone) und/oder ophthalmologisch (durch Gesichtsfeld-, Visus- und Bulbusmotilitäts-Störungen) wahrgenommen [9]. In aller Regel entwickeln sich diese Abweichungen, korrelierend zum langsamen Tumorwachstum, schleichend, was die Differenzialdiagnostik besonders beim älteren Patienten erschwert. Plötzlich auftretende massive ophthalmologische und neuroendokrinologische Störungen weisen entweder auf extrem ausgedehnte Tumore oder eine Tumoreinblutung (sog. Hypophysenapoplexie) hin. In solchen Fällen ist eine rasche Tumorverkleinerung zum Erhalt bzw. zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des visuellen und endokrinologischen Systems indiziert (Empfehlung 5.3 und 5.4 der aktuellen S2k-Leitlinie [6]). Resektionseingriffe bei sehr großen Makro- und Giant-Adenomen erfordern einen immensen Aufwand, insbesondere, wenn es sich um außerplanmäßige dringliche Situationen handelt, die zumeist Patienten betreffen, die zusätzlich noch an einer stärker ausgeprägten Vorderlappeninsuffizienz leiden. Auch in Notfallsituationen außerhalb der Routine-Gegebenheiten sollten die bestmöglichen personellen und materiellen Voraussetzungen für solche komplexen Eingriffe vorhanden sein (Empfehlungen 5.5 bis 5.8 der aktuellen AWMF-Leitlinie [6]). Ein gut abgestimmtes Zusammenspiel von Labormedizin, Augenheilkunde, Neuroradiologie, Anästhesie, HNO-Heilkunde, Neurochirurgie und Intensivmedizin muss im Vorfeld von Makro- und Giant-Adenom-Resektionen etabliert sein. Begnügte man sich früher in Notfallsituationen gelegentlich noch mit einer Massenreduktion der Adenome, die zur Milderung der akuten Probleme vorübergehend ausreichend sein konnte, wird heute die funktionserhaltende (selektive) Komplettresektion als Standard angesehen.

Die modernen OP-unterstützenden Verfahren machen derartige Eingriffe auch bei sehr großen Adenomen außerhalb der Routine-Dienstzeit zu sicheren und effektiven Verfahren. Speziell für Sella-Eingriffe steht ein umfangreiches Armamentarium von OP-unterstützenden Geräten/Techniken zur Verfügung:

„There is sufficient evidence that the best and optimal outcome in terms of tumor resection and correction of hormonal oversecretion as well as the lowest rate of complications are obtained in centers of excellence with sufficiently experienced, specialized surgeons and a high patient load.

BUCHFELDER et al. 2019 [2]“

Derartige „Centers of Excellence“ sind heutzutage in Deutschland so gut wie immer interdisziplinär organisiert. Auch wenn der eigentliche selläre Anteil von Hypophyseneingriffen traditionell neurochirurgisch dominiert wird, so hat sich doch zumindest für den auch heute noch üblichen transnasalen-transsphenoidalen Standard-­Zugang zur Sellaregion wenigstens die Beteiligung von HNO-Ärzten etabliert. Es darf keinesfalls ein wie auch immer geartetes „Konkurrenzdenken“ zwischen Fachdisziplinen irgendeine Rolle spielen. Ärztliche Ethik gebietet es, dem Patienten in jeder Phase des Eingriffes die höchstmögliche Expertise zur Verfügung zu stellen. Und für bestimmte Situationen (z. B. bei voroperiertem oder stark deformiertem Septum) ist einem versierten HNO-Chirurgen sicher der Vorzug zu geben. Gele­gentlich müssen auch abweichende transfaziale ­Zugänge zum Sinus sphenoidalis (z. B. von sublabial oder paraorbital) genutzt werden, wenn der transnasale Weg nicht möglich ist. In solchen Fällen kann die zusätzliche Integration von Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgen (MKG) und operativen Augenheilkundlern von großem Nutzen sein. Sollten schonende Zugänge über die natürlichen Kopf-Orifizien in seltenen Fällen einmal nicht möglich oder nicht ausreichend sein, kommen die klassischen neurochirurgischen transkraniellen Zugänge (pterional, fronto-lateral oder transventrikulär) in Betracht [4].

Kopfklinik Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Die klinischen Fachgebiete mit Zielregionen am Kopf (HNO-, Zahn- und Augenheilkunde, Neuroradiologie ­sowie MKG- und Neurochirurgie) haben sich am Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm bereits vor vielen ­Jahren zu einer interdisziplinäre Kopf-Klinik zusammen­geschlossen, um die Versorgung von Patienten mit fächerübergreifenden Erkrankungen zu optimieren. Selbstverständlich können aber die klassischen Kopffächer nicht allein optimale perioperative Abläufe sicherstellen, selbst wenn sie integrativ vorgehen. Es werden für ideale OP-vor- und -nachbereitende Prozesse auch in der Hypophysenchirurgie eine Vielzahl weiterer Fachgebiete benötigt. Die zwangsläufig unvollständige Aufzählung beginnt in der perioperativen Phase mit der Anästhesie- und Intensivmedizin sowie Neurologie und endet mit der Verfügbarkeit von Pathologie, Nuklear- und Labormedizin sowie Onkologie und Endokrinologie für die Verlaufskontrollen und die nicht-chirurgische Nachbehandlung. Die Anwesenheit all dieser Fachgebiete „unter einem Dach“ ist auch in Deutschland bei Weitem noch nicht überall Standard. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, dass eine örtliche Trennung der beteiligten Fachgebiete (z. B. auf verschiedene Gebäude innerhalb eines Campus, manchmal sogar auf verschiedene Ortsteile oder an mehreren Orten) leichter zu suboptimalen Verläufen führen kann.

Die erfolgreiche Integration einer Mindestzahl von operativen und perioperativen Fähigkeiten/Kriterien und das Vorhandensein einer erweiterten apparativen Ausstattung wird von der Gesellschaft für Schädelbasischirurgie e. V. (DGSB) seit 2016 mit einem Zertifikat 1 bestätigt. Das BwKrhs Ulm ist seit 2019 zertifiziertes Schädelbasis-­Zentrum 2. Die integrativen Fähigkeiten eines solchen Zentrums kommen natürlich auch Patienten mit Hypophysenadenomen zu Gute. Die oben vorgestellte technisch-apparative Maximal-Ausstattung für Sella-Eingriffe steht am BwKrhs Ulm uneingeschränkt zur Verfügung.

Im Folgenden soll anhand von 3 Fallbeispielen mit Giant-Adenomen der Hypophyse das differenzierte Vorgehen bei diesen komplexen Eingriffen innerhalb des Schädelbasis-Zentrums am BwKrhs Ulm demonstriert werden.

Abb. 1: Blick in die «Brain-Suite» der Neurochirurgie des BwKrhs Ulm während einer Adenom-OP:
Der Patient liegt in Rückenlage auf dem MRT-tauglichen OP-Tisch, der Operateur blickt durch das OP-Mikroskop. Rechts im Hintergrund ist das MRT erkennbar. Der Monitor an der Wand zeigt die Navigation, hinter dem Operateur ist ein Teil des OP-Situs erkennbar.
Abgedeckt seitlich vor dem OP-Tisch steht in Kopfhöhe das Röntgengerät für das intraoperative Röntgen, welches «live» eine Kontrolle des korrekten Weges durch die Schädelbasis zur Sella ermöglicht.

Fallberichte

Fall 1

Ein 72jähriger Mann mit schon seit Längerem bestehenden Gesichtsfeldstörungen stellte sich mit akutem vor wenigen Stunden einsetzendem starkem Visusverlust beider Augen vor. Darüber hinaus bestanden Müdigkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen. Im CT und MRT stellte sich eine große eingeblutete Raumforderung dar, die ihren Ausgang von der Sella nahm (Abbildung 3 a-d). Im Routine-Labor zeigte sich eine ausgeprägte Elektrolyt-Störung und ein massiv erniedrigter Kortisol-Spiegel. Ein hormoninaktives Giant-Adenom der Hypophyse im Stadium der Apoplexie/Einblutung war zu vermuten.

Umgehend erfolgten die Vorbereitungen für die dringliche Tumorresektion, die noch in der Nacht des Aufnahmetages durchgeführt wurde. In Zusammenarbeit mit dem diensthabenden HNO-Facharzt wurde über einen mikrochirurgischen transnasal-transsphenoidalen Zugang navigations-gestützt der komplette Tumor über diesen Zugang entfernt (Abbildung 3 e-g; Video-Mitschnitt aus der OP im E-Paper dieses Beitrags). Die Sehfunktion verbesserte sich postoperativ. Es verblieb eine Kortisol-Substitutionspflicht auf niedrigem Niveau, bei normalen Funktionen für die restlichen hypophysären Hormonachsen.

Abb. 2: Intraoperativer Befund zu Fall 1: Einblick in die Keilbeinhöhle von transnasal;durch die Öffnung der Keilbeinhöhlenvorderwand wurden bereits die ersten fleischig-roten Tumoranteile entfernt.

Abb. 3: Im präoperativen MRT (a-d) zeigt sich eine kräftig Kontrastmittel (KM) affine, scharf abgegrenzte Raumforderung der Sella-Region mit Vorwachsen weit nach suprasellär (T1w nach KM) in sagittaler (a), transversaler (b) und coronarer Schichtebene (c); Im CT findet sich korrespondierend eine Aufweitung der Sella mit Absenkung des Bodens. Die knöcherne Begrenzung ist erhalten, was für einen langsam wachsenden und nicht destruierenden Prozess spricht (d) (sagittale Rekonstruktion).
Nach Resektion (e-g) über einen transnasal-transsphenoidalen Zugang zeigt sich der Tumor komplett reseziert (MRT (T1w nach KM) in sagittaler (e), transversaler (f) und coronarer Schichtebene (g)).

Fall 2

Ein 53-jähriger Patient wurde elektiv auf Einweisung eines niedergelassenen Neurologen vorstellig, nachdem sich über längere Zeit eine Einschränkung des Gesichtsfeldes entwickelt hatte und ophthalmologisch eine bitemporale Hemianopsie verifiziert worden war. Im MRT war eine große von der Sella ausgehende solide und Kontrastmittel aufnehmende Raumforderung zu erkennen (Abbildung 4 a-d). Bei fehlendem Nachweis von Hormonexzessen im Labor war von einem hormon-inaktiven Hypophysenadenom auszugehen, welches jedoch bereits zu einem Hypokortisolismus und dann innerhalb weniger Tage auch zu einer raschen Visusreduktion geführt hatte. Das Giant-Adenom wurde zunächst von transnasal aus operiert. Mit Unterstützung von Navigation, Endoskopie und intraoperativem MRT (ioMRT) konnte ein Großteil des Tumors zwar entfernt werden; ein technisch nicht erreichbarer Tumorrest verblieb jedoch. Dieser Resttumor war intraoperativ mit den Unterstützungs-Verfahren zwar eindeutig identifizierbar (Video-­Mitschnitt aus der OP im E-Paper dieses Beitrags), wegen seiner Festigkeit jedoch über den minimal-invasiven transnasalen Zugang nicht gefahrlos aus seiner Lokalisation weit suprasellär herauszulösen (Abbildung 4 e-f).

Abb. 4: Im präoperativen MRT (Bild a-d) zeigt sich ein homogener KM aufnehmender, großer sellär und suprasellär wachsender Tumor (T1w nach KM) in sagittaler (a) und coronarer (b) sowie (T2w nativ) in transversaler (c) Schichtebene. Im sagittal rekonstruierten CT (d) fand sich, analog zu Abb.2, eine Aufweitung des Sellabodens ohne knöcherne Destruktion.
Im postoperativen MRT (e-i) findet sich nach Resektion über einen transnasalen Zugang ein verbliebener Tumorrest suprasellär (T1w nach KM) in sagittaler (e) und coronarer Schichtebene (f). Nach einer weiteren OP – über einen transkraniell-pterionalen Zugang – zeigt sich im postoperativen MRT (g-i) nun eine vollständige Entfernung des Tumors mit regelrechter Entfaltung der intrakraniellen Zisternen (T1w nach KM) in sagittaler (g) und coronarer (h) sowie (T2w nativ) in sagittaler (i) Schichtebene.

Nachdem der Resttumor sich auch nach einigen Wochen Abwarten nicht spontan weiter nach kaudal bewegte, war konsequenterweise bei zwar gebesserten, aber nicht vollständig wiederhergestellten, visuellen Fähigkeiten die Komplettresektion des Tumorrestes über einen transkraniellen Zugang geboten. Dies wurde von transkraniell-pterional aus erneut mit Hilfe von Navigation und intraoperativer Resektionskontrolle durch ein ioMRT vorgenommen. Danach zeigte sich kein Resttumor mehr (Abbildung 5 g-h) und die Sehfähigkeit des Patienten verbesserte sich nochmals. Es verblieb zwar eine Kortisol-Substitutionspflicht mit niedriger Dosis, allerdings bei ausreichend funktionstüchtigen restlichen hypophysären Hormonachsen.

Abb. 5: Intraoperativer Befund zu Fall 2: Blick von schräg oben seitlich in die tumorfreie Sella am Ende der OP durch den pterionalen Zugang rechts mit N. optikus und A. carotis; in der Tiefe erkennt man die A. carotis und den N. oculomotorius der Gegenseite.

Fall 3

Ein 37-jähriger Patient stellte sich über die Notaufnahme des BwKrhs Ulm vor, nachdem sich zu einer seit Wochen progredienten Sehstörung nun auch Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Brechreiz gesellten. Es fand sich ophthalmologisch eine „klassische“ bitemporale Hemianopsie und eine deutliche Visusreduktion auf beiden Augen. Im Labor bestanden eine Elektrolytstörung und eine drastische Reduktion des Cortisol-Spiegels ohne anderweitigen Hormonexzess. Im MRT fand sich ein riesiger von der Sella ausgehender Tumor, der bis unter das Dach der Seitenventrikel reichte (Abbildung 6 a-d). Ein ausgedehntes hormon-inaktives Giant-Adenom war die wahrscheinlichste Diagnose.

Abb. 6: Im initialen MRT (a-d) zeigt sich ein riesiger sellärer/suprasellärer Tumor mit Vorwachsen bis in unter das Dach des Seitenventrikels mit teils inhomogenen Tumoranteilen (T1w nach KM) in sagittaler (a), transversaler (b) und coronarer Schichtebene (c) sowie (T2w nativ) transversal (d). In der T2-Sequenz fand sich kein relevantes Hirnödem als Zeichen des langsamen Wachstums ohne infiltrativen Charakter.
Im Kontroll-MRT (e-j) nach einer ersten OP über einen transnasalen Zugang (T1w sagittal nach KM, (e)) zeigt sich ein größtenteils ausgehöhlter aber weiterhin noch verbliebener Tumorrest suprasellär, der in einer Kontrollaufnahme weiterhin suprasellär liegt, ohne spontane Kaudalverlagerung (T1w sagittal nach KM, (f)). Daraufhin Entscheidung zur zweiten OP über einen transfrontal-transkortikalen Zugang.
Das postoperative MRT (T1w sagittal nach KM (g)) zeigt einen reduzierten aber immer noch vorhandenen Tumorrest suprasellär. Ein paar Wochen später spontane Kaudalverlagerung des größenreduzierten Tumors in die Sella (T1w sagittal nach KM, (h)).
In einer dritten OP, erneut transnasal, gelang eine weitere Tumorreduktion. Die unmittelbare postoperative Kontrolle (T1w sagittal nach KM, (i)) zeigt die größere Resektionshöhle und einen Tumorrest. In einem weiteren Kontroll-MRT 2 Monate später (T1w sagittal nach KM, (j)) zeigt sich nur noch ein kleiner retrahierter suprasellärer Resttumor.

Auch dieser Tumor wurde zunächst von transnasal aus operiert. Mit Unterstützung von Navigation und ioMRT konnte ein Großteil des Tumors in der Sellaebene zwar entfernt werden, jedoch verblieb ein klar identifizierbarer Tumorrest, der aufgrund seiner Festigkeit und Unbeweglichkeit sowie profuser Blutungsneigung unter sicheren Umständen von transnasal aus nicht komplett resektabel war.

Der größere Anteil des Tumors befand sich weiterhin weit suprasellär innerhalb des Ventrikelsystems, ohne Anzeichen für eine spontane Kaudalverlagerung zur Sella hin (Abbildung 6 e-f). Demzufolge wurde eine transkranielle Resektion vorgeschlagen und über einen endoskopisch-unterstützten transfrontalen-transkortikalen Zugang zum rechten Seitenventrikel durchgeführt (Video-Mitschnitt aus der OP im E-Paper dieses Beitrags). Auch hier ­zeigte sich eine erhebliche Blutungsneigung und erhebliche Tumorfestigkeit, was die Resektionsradikalität beschränk­te. Daher war auch hier ein Resttumor in Kauf zu nehmen, der sich jedoch nach ein paar Wochen spontan nach kaudal in die Sellaebene verlagerte (Abbildung 6 g-h), von wo aus er über einen transnasalen Revisions-Zugang mit endoskopischer Unterstützung erneut massenreduziert werden konnte. Es verblieb nunmehr nur noch ein kleiner suprasellärer Rest (Abbildung 6 i-j), der bis zur letzten Kontrolle nach 2 Jahren postoperativ, aber nicht mehr wachstumsaktiv und auch nicht klinisch symptombildend war. Die Sehfunktion hatte sich nach den Eingriffen deutlich ­gebessert. Es persistierte zwar eine Kortisol-Substitu­tionspflicht, jedoch traten keine weiteren hypophysären Funktionsstörungen auf. Eine Komplettresektion des Tumorrestes müsste von transkraniell-pterional aus zwar gelingen, allerdings kann damit auch gewartet werden, bis der Tumor sich bildgebend wachstumsprogredient oder ophthalmologisch bzw. endokrinologisch symptomatisch zeigt. Alternativ bestünde dann aber auch die Möglichkeit einer stereotaktischen Einzeitbestrahlung des Prozesses. Bei aktuell stabilen klinischen Verhältnissen wurde leitlinienkonform die Entscheidung zu einem vorerst abwartend-kontrollierenden Vorgehen getroffen.

Abb.7: Intraoperativer Befund zu Fall 3:
Blick durch das OP-Mikropskop auf den transkortikal frontal eröffneten Seitenventrikel rechts (das umliegende Gehirn ist mit Baumwollwatten geschützt), der mit dünnen Spateln offen gehalten wird. Die Ventrikelhöhle ist nicht mit Liquor, sondern mit dem Tumor ausgefüllt, auf dessen Oberfläche man blickt.

Abb. 8: Prä- und postoperativer Perimetriebefund des Patienten aus Fall 3:
Präoperativ besteht eine vollständige bitemporale Anopsie infolge der Kompression der in der Sella kreuzenden Anteile des N. Opicus (oben).
Nach der Entfernung der in der Sella gelegenen Tumoranteile konnte das periphere Sehen zu einem großen Teil wiederhergestellt werden (unten).

Fazit

Schädelbasischirurgie ist personell, materiell und technisch anspruchsvoll. In die Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge solcher Eingriffe sind häufig mehrere Fachgebiete zu integrieren. Eine Reihe von zusätzlichen Geräten für die intraoperative Kontrolle verschiedenster Parameter sollte vorgehalten werden. Auch wenn sich noch nicht für alle möglichen intraoperativen Unterstützungsverfahren mangels ausreichender prospektiver randomisierter Multicenter-Studien und deren meta-analysierender Zusammenfassung ein hoch-evidenter Vorteil aufzeigen lässt [12], so entspricht es doch unserem Eindruck, dass, ähnlich zur Gliomchirurgie, auch in der Hypophysenchirurgie positive Effekte vorliegen, deren Nutzung jedoch häufig erfahrungsgebunden ist [2]. Für den einzelnen Patienten ist nicht zwangsläufig entscheidend, dass alle Geräte- und Verfahrensoptionen auch intraoperativ in jedem einzelnen Fall zur Anwendung kommen, sondern dass die Möglichkeiten überhaupt gegeben sind und deren sichere Nutzung zur richtigen Zeit am richtigen Patienten wohlüberlegt eingefordert wird.

Giant-Adenome der Hypophyse stellen nicht selten Notfallsituationen dar. Die Durchführung notfallmäßiger Resektionseingriffe außerhalb der Routinearbeitszeiten bedeutet eine besondere Herausforderung für das gesamte OP-Team. In zertifizierten Schädelbasis-Zentren erwartet man die leitlinienkonforme Verfügbarkeit entsprechender Fähigkeiten im 24/7-Modus. Der Einsatz von Neuronavigation, Endoskopie sowie ioMRT hat dazu geführt, dass eine Resektionsmaximierung unter möglichst sicheren Umständen gewährleistet werden kann. Dennoch erfordern insbesondere die Giant-Adenome sehr häufig operative Zugangskombinationen in Form von Zweit-, manchmal auch Dritteingriffen. Kleine Tumorreste oder Rezidive können schließlich mit modernen radiochirurgischen Einzeitbestrahlungstechniken (Gamma- oder Cyber-Knife) austherapiert werden.

Ob statt mit der klassisch-mikrochirurgischen oder der endoskopischen OP-Technik bessere Resektionsergebnisse und damit niedrigere Rezidivquoten erreicht werden können, ist aus der aktuellen Literatur nicht ableitbar. Die Frage sollte speziell für die Giant-Adenome eher nicht sein, ob man rein mikrochirurgisch oder rein endoskopisch bessere Ergebnisse erlangen kann [5], sondern ob man mit der Kombination beider Verfahren die Grenzen der jeweiligen Einzeltechniken am leichtesten überwinden kann. Prinzipiell können bei kombinierter Anwendung aller verfügbaren Optionen in interdisziplinären Zentren dann auch riesige Adenome funktionserhaltend und morbiditätsarm zur kompletten Entfernung gebracht werden.

Literatur

  1. Buchfelder M, Schlaffer SM: The surgical treatment of acromegaly. Pituitary 2017; 20(1): 76–83. mehr lesen
  2. Buchfelder M, Schlaffer SM, Zhao Y: The optimal surgical techniques for pituitary tumors. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2019; 33(2): 101299. mehr lesen
  3. Cho SS, Lee JYK: Intraoperative Fluorescent Visualization of Pituitary Adenomas. Neurosurg Clin N Am 2019; 30(4): 401–412. mehr lesen
  4. Couldwell WT: Transsphenoidal and transcranial surgery for pituitary adenomas. J Neurooncol 2004; 69(1–3): 237–256. mehr lesen
  5. Esquenazi Y, Essayed WI, Singh H, et al.: Endoscopic Endonasal Versus Microscopic Transsphenoidal Surgery for Recurrent and/or Residual Pituitary Adenomas. World Neurosurg 2017; 101: 186–195. mehr lesen
  6. Deutsche Gesellschaft für Endokronologie: Diagnostik und Therapie klinisch hormoninaktiver Hypophysentumoren – S2k Leitlinie. DGE 2019; , letzter Aufruf 16. Februar 2021. mehr lesen
  7. Ezzat S, Asa SL, Couldwell WT, et al.: The prevalence of pituitary adenomas: a systematic review. Cancer 2004; 101(3): 613–619. mehr lesen
  8. Fatemi P, Zhang M, Miller KJ, Robe P, Li G: How Intraoperative Tools and Techniques Have Changed the Approach to Brain Tumor Surgery. Curr Oncol Rep 2018; 20(11): 89. mehr lesen
  9. Iglesias P, Rodríguez Berrocal V, Díez JJ: Giant pituitary adenoma: histological types, clinical features and therapeutic approaches. Endocrine 2018; 61(3): 407–421. mehr lesen
  10. Imran SA, Yip CE, Papneja N, et al.: Analysis and natural history of pituitary incidentalomas. Eur J Endocrinol 2016; 175: 1–9. mehr lesen
  11. Jones PS, Swearingen B: Intraoperative MRI for Pituitary Adenomas. Neurosurg Clin N Am 2019; 30(4): 413–420. mehr lesen
  12. Kuo JS, Barkhoudarian G, Farrell CJ, et al.: Congress of Neurological Surgeons Systematic Review and Evidence–Based Guideline on Surgical Techniques and Technologies for the Management of Patients With Nonfunctioning Pituitary Adenomas. Neurosurgery 2016; 79(4): E536–538. mehr lesen
  13. Locatelli M, Di Cristofori A, Draghi R, et al.: Is Complex Sphenoidal Sinus Anatomy a Contraindication to a Transsphenoidal Approach for Resection of Sellar Lesions? Case Series and Review of the Literature. World Neurosurg 2017; 100: 173–179. mehr lesen
  14. Marigil Sanchez M, Karekezi C, Almeida JP, et al.: Management of Giant Pituitary Adenomas: Role and Outcome of the Endoscopic Endonasal Surgical Approach. Neurosurg Clin N Am 2019; 30(4): 433–444. mehr lesen
  15. Meyer J, Perry A, Graffeo CS, et al.: Carotid Artery Injury during Transsphenoidal Pituitary Surgery: Lessons from a 15–Year Modern Microsurgery Cohort. J Neurol Surg B Skull Base 2020; 81(5): 594–602 mehr lesen
  16. Ostrom QT, Cioffi G, Gittleman H, et al.: CBTRUS Statistical Report: Primary Brain and Other Central Nervous System Tumors Diagnosed in the United States in 2012–2016. Neuro Oncol 2019; 21(Suppl 5): v1–v100. mehr lesen
  17. Snyder PJ: Causes, Presentation, and Evaluation of Sellar Masses. UpToDate 2011; , letzter Aufruf 16. Februar 2021. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Schulz C, Mauer UM, Mühlmeier G, Hackenbroch C, Mathieu R: „State of the Art“ bei Operationen gigantischer Makroadenome der Hypophyse. WMM 2021; 65(5): 191-198.

Für die Verfasser

Flottillenarzt Priv. Doz. Dr. med. Chris Schulz

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Klinik XII – Neurochirurgie

Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm

E-Mail: chrisschulz@bundeswehr.org

Manuscript data

Citation

Schulz C, Mauer UM, Mühlmeier G, Hackenbroch C, Mathieu R: State-of-the-Art Surgery of Giant Pituitary Adenoma. WMM 2021; 65(5): 191-198.

For the authors

Commander (Navy MC) Assistant Professor Dr. Chris Schulz

Bundeswehr Hospital Ulm

Department XII – Neurosurgery

Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm

E-Mail: chrisschulz@bundeswehr.org


1 Siehe hierzu <https://dgsb.de/wp-content/uploads/2019/11/Kriterien-Zertifikat-Schädelbasiszentrum-2019.pdf>.

2 Siehe hierzu <https://dgsb.de/schaedelbasis-zentren/>.