Wehrmedizinische Monatsschrift

MASKERADESYNDROM ORBITAPHLEGMONE

Fallbericht: Entzündliche Oberlidschwellung unklarer Genese

Case Report: Ambiguous reason for inflammatory swelling of the upper eyelid

Anja Birzera, Andreas Gagalickb, Patrick Peschkeb, Ulrike Wagnerc, Stephan Waldeckd, Klaus Peter Kaisere, Gunnar Müllerf, Frank Weinandb

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik IV – Augenheilkunde

b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik IV – Augenheilkunde

c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik I – Innere Medizin

d Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VIII – Diagnostische und interventionelle Radiologie/Neuroradiologie

e Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XV – Nuklearmedizin

f Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XIII – Pathologie

 

Zusammenfassung

Entzündliche Veränderungen des Auges, in der Regel einhergehend mit Exophthalmus, Diplopie und Schwellung, haben oft eine Orbitaphlegmone als Ursache. Die Gefährdung des betroffenen Auges erfordert auch bei nur gering ausgeprägtem Entzündungsgeschehen eine umgehende systemisch-antibiotische Therapie (ggf. mit Glucocorticoiden). Es ist aber auch zu bedenken, dass bis zu 3 % der Patienten mit systemischen Karzinomen eine orbitale Metastase entwickeln.

Wir stellen hier einen Fall einer 68-jährigen Patientin vor, bei der sich die Erstdiagnose „Orbitaphlegmone“ bei einer entzündlichen Oberlidschwellung als Maskeradesyndrom herausstellte. Ursache war ein in die Orbita metastasierendes Mammakarzinom.

Schlüsselworte: Orbitaphlegmone, Metastase, Oberlidschwellung, Maskeradesyndrom, Mammakarzinom

Summary

Inflammatory signs in the eye, mostly associated with exophthalmos, diplopia, and swelling, are often caused by orbital cellulitis. Even if inflammatory signs are minimal to moderate an immediate systemic antibiotic therapy, combined with glucocorticoids if applicable, is necessary.

Nevertheless, it has to be taken into account that patients suffering from systemic cancer in 3 % of all cases can develop orbital metastasis.

We present a case of a 68 years aged female patient presenting symptoms of orbital cellulitis which turned out as a masquerade syndrome. Further evaluation showed an orbital metastasis of breast cancer.

Keywords: orbital cellulitis, metastasis, eyelid swelling, masquerade syndrome, breast cancer

Fallvorstellung

Anamnese

Eine 68-jährige Patientin stellte sich mit seit einer Woche bestehender zunehmender Schwellung und Über­wärmung des rechten Oberlides und Ptosis in der ­Augenambulanz des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) Koblenz vor. Schmerzen wurden verneint. Zweieinhalb Monate zuvor war eine Tumordefektdeckung mit Oberlidhaut im Bereich des Nasenrückens und angleichender beidseitiger Blepharoplastik durchgeführt worden. Nach dieser Operation sei eine therapieresistente Konjunktivitis aufgefallen.

Sonstige Allgemeinsymptome wie Fieber, Erkältungsbeschwerden, Nachtschweiß, Müdigkeit und Abgeschlagenheit wurden verneint. An Vorerkrankungen bestanden eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie und eine Hypothyreose; die Patientin berichtete über eine Vormedikation mit Letrozol, Euthyrox, Piretamid, Enalapril und Simvastatin.

Klinischer Befund

Der korrigierte Visus betrug rechts 0.8 und links 1.0. Es zeigte sich eine auf 3 mm verengte Lidspalte, verstrichene Oberliddeckfalte und eine Motilitätseinschränkung bis 20° in allen Richtungen. Ein Exophthalmus lag nicht vor. Das Oberlid war deutlich überwärmt und geringgradig geschwollen, die Bindehaut nur mäßig hyperämisch; intraokular zeigte sich ein reizfreier Befund. Der intraokulare Druck betrug 25 mmHg rechts und 20 mmHg links. Am hinteren Augenabschnitt zeigten sich bei sonst unauffälligem und altersentsprechendem Augenhintergrund beidseits keine Stauungszeichen. Bei Oberlidschwellung mit Ptosis und Überwärmung sowie Motilitätseinschränkung wurde zunächst die Verdachtsdiagnose einer Orbitaphlegmone geäußert.

Abb. 1: Befund bei Aufnahme

 

Diagnostik und Verlauf

Initial fanden sich laborchemisch außer einem erhöhten Glukosewert keine Auffälligkeiten. Die CT-Untersuchung mit Kontrastmitteldarstellung offenbarte in der rechten Orbita einen konfluierenden Prozess peri- sowie retrobulbär sowie intra- und extraconal in der rechten Orbita.

Abb. 2: CT-Befund bei Aufnahme

Bei dringendem Verdacht auf eine Orbitaphlegmone wurde eine sofortige parenterale Antibiose mit Amoxicillin/Clavulansäure und Metronidazol inklusive einer Einmalgabe von Prednisolon 250 mg (parenteral) eingeleitet. Im kurzfristigen Verlauf persistierten die Beschwerden der Patientin, weshalb eine MRT-Untersuchung veranlasst wurde. Der MRT-Befund wie auch das initiale CT wurden radiologisch als entzündliches Geschehen bewertet.

Abb. 3: MRT-Befund 5 Tage nach stationärer Aufnahme

Die Fokussuche unter Hinzuziehung der Fachexpertise aus den Fachgebieten Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) ergab keinen wegweisenden Befund, sodass in Zusammenschau mit dem nur mäßigen Ansprechen auf die antibiotische Therapie eine PET-MRT/CT veranlasst wurde. Hier fanden sich rechts retrobulbäre Weichteile, die deutlich mehr Kontrastmittel aufnahmen sowie eine diffus-flaue Stoffwechselsteigerung zeigten. Ferner bestand der Verdacht auf kleine Abszessformationen cranial des distalen N. opticus rechts und laterokaudal des rechten Bulbus oculi.

Abb. 4: PET-MRT/CT 5 Tage nach stationärer Aufnahme

Abb. 5: Intraoperativer Befund bei Biopsie-Entnahme nach der Eröffnung des Tenonschen Raumes inferolateral in Höhe des Bulbusäquators.

Abb. 6: Histologischer Nachweis des lobulären Mammakarzinoms (links: HE-Färbung; rechts: GATA3-Färbung, Tumorzellen braun)

Der Fall wurde in der Konferenz des Kopfzentrums vorgestellt, bei der eine transkonjunktivale Orbitabiopsie empfohlen wurde. Bei dieser fand sich ab dem Äquator nur noch derbes, kaum vaskulariertes Gewebe, aus dem die Gewebeprobe entnommen wurde.

Die histologische Aufarbeitung ergab Anteile eines bindegewebsreichen invasiven lobulären Mammakarzinoms mit schwacher Expression des Östrogenrezeptors, fehlender Expression des Progesteronrezeptors, einer hohen Proliferationsaktivität und mäßiger Überexpression von HER2/neu (Score 2+) ohne Hinweise auf eine Amplifikation (ER 4, PR 0, Her-2 2+, CISH negativ, Ki67 60 %) und damit einer Metastase eines invasiven lobulären Mammakarzinoms entsprechend.

Auf Nachfrage berichtete die Patientin über ein vor 7 Jahren therapiertes Mammakarzinom, welches seit der stattgehabten Behandlung (Mastektomie 09/13, 6 Zyklen adjuvante Chemotherapie und Radiatio ad 50 Gy) bisher in kompletter Remission war. Die Patientin wurde zur Komplettierung des Stagings und Einleitung der weiteren systemischen Therapie in die onkologische Klinik des BwZKrhs Koblenz stationär verlegt.

Nach Abschluss der Disseminierungs-Diagnostik und Prüfung der allgemein internistischen und insbesondere kardio-pulmo-renalen Fitness wurde die Immun-Chemotherapie mit Trastuzumab (6 mg/kgKG, d1), Paclitaxel (70 mg/m2KOF, d2+9+16) und Epirubicin (60 mg/m2KOF, d2) mit Wiederholung unter ergänzender antihormoneller Therapie mit Letrozol begonnen. Nach 2 Behandlungszyklen gem. diesem Protokoll, die von der Patientin gut vertragen wurden, zeigte sich klinisch sowie bildmorphologisch ein deutliches Ansprechen; ophthalmologisch kam es zu einer mäßig verbesserten Motilität, der Visus blieb konstant gut und es zeigten sich keine Stauungszeichen am Auge.

Abb. 7: Klinisches Bild nach systemischer Chemotherapie

Weiterer Verlauf

Im Rahmen einer erneuten Kopfkonferenz wurden die Möglichkeiten des weiteren operativen Vorgehens oder einer additiven Strahlentherapie diskutiert, wogegen sich die Patientin – wegen der zu erwartenden Visuseinschränkung bis hin zur Möglichkeit des vollständigen Verlustes der Sehfähigkeit bei beiden Therapieformen – aussprach. Es wurden zwei weitere Zyklen der Immun-Chemotherapie bis zum Erreichen der maximal zulässigen Lebens-Kumulativdosen (Anthracyline und Taxane) mit weiterhin guter Verträglichkeit verabreicht. Der Patientin wurde nachfolgend die Fortführung der antihormonellen Therapie sowie einer Erhaltungstherapie mit Trastuzumab empfohlen. In Abhängigkeit vom weiteren Verlauf und der Tumordynamik sind ggf. erneute strahlentherapeutische, augenärztliche und onkologische Behandlungsmöglichkeiten zu evaluieren.

Diskussion und Fazit

Bis zu 3% der Patienten mit systemischen Karzinomen entwickeln eine orbitale Metastase [4]. Im Allgemeinen sind Metastasen sowohl intra- als auch extrabulbär selten. Sie stammen oft von Mamma-, Lungen- und hepatozellulären Karzinomen ab [3][7]; Mamma-Karzinom-Metastasen kommen dabei am häufigsten vor [5].

Das klinische Erscheinungsbild ist breit gefächert [2]. Exophthalmus, Diplopie und Schwellung sind häufige Symptome [4].

Eine Schwellung mit Entzündungszeichen ist verdächtig auf eine Orbitaphlegmone, die umgehend systemisch-antibiotisch (ggf. mit Glucocorticoiden) therapiert werden muss. Dies gilt auch dann, wenn das Entzündungsgeschehen nur gering ausgeprägt ist [6].

Ein mäßiges Ansprechen auf die antibiotische Therapie und ein fehlender Entzündungsfokus müssen zwingend einer kritischen Re-Evaluation zugeführt werden [3]. Hierbei sind sowohl die Expertise aus anderen „Kopf-Fächern“ wie HNO, MKG und ggf. auch Neurochirugie heranzuziehen als auch weitergehende Verfahren der bildgebenden Diagnostik und der Nuklearmedizin erforderlich. Im vorgestellten Fall hat sich so die Erstdiagnose „Orbitaphlegmone“ als Maskeradesyndrom herausgestellt. Die Diagnosestellung und der Therapieerfolg gründen sich dabei ganz wesentlich auf das interdisziplinäre Zusammenwirken im Kopfzentrum der Klinik.

Kernaussagen

Literatur

  1. Ferry AP, Font RL: Carcinoma metastatic to the eye and orbit. I. A clinicopathologic study of 227 cases. Arch Ophthalmol 1974; 92(4): 276-286. mehr lesen
  2. Goldberg RA, Rootman J: Clinical characteristics of metastatic orbital tumors. Ophthalmology 1990; 97(5): 620-624. mehr lesen
  3. Hauser A, Fogarasi S: Periorbital and orbital cellulitis. Pediatr Rev 2010; 31(6): 242-249. mehr lesen
  4. Sindoni A, Fama F, Vinciguerra P et al.: Orbital metastases from breast cancer: A single institution case series. J Surg Oncol 2020; 122(2): 170-175. mehr lesen
  5. Tsagkaraki IM, Kourouniotis CD, Gomatou GL, Syrigos NK, Kotteas EA: Orbital metastases of invasive lobular breast carcinoma. Breast Dis 2019; 38(3-4): 85-91. mehr lesen
  6. Tsirouki T, Dastiridou AI, Flores NI et al.: Orbital cellulitis. Surv Ophthalmol 2018; 63(4): 534-553. mehr lesen
  7. Wladis EJ, Lee KW, Nazeer T: Metastases of systemic malignancies to the orbit: a major review. Orbit 2020; , letzter Aufruf 14. Februar 2021. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Birzer A, Gagalick A, Peschke P, Wagner U, Waldeck S, Kaiser KP, Müller G, Weinand F: Fallbericht: Entzündliche Oberlidschwellung unklarer Genese. WMM 2021; 65(5): 206-209.

Für die Verfasser

Oberstarzt Dr. Frank Weinand

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Klinik IV – Augenheilkunde

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: frankweinand@bundeswehr.org

Manuscript data

Citation

Birzer A, Gagalick A, Peschke P, Wagner U, Waldeck S, Kaiser KP, Müller G, Weinand F: Case Report: Ambiguous reason for inflammatory swelling of the upper eylid. WMM 2021; 65(5): 206-209.

For the Authors

Colonel (MC) Dr. Frank Weinand

Bundeswehr Central Hospital Koblenz

Department IV – Ophthalmology

Ruebenacher Str. 170, D-56072 Koblenz

E-Mail: frankweinand@bundeswehr.org