Wehrmedizinische Monatsschrift

ANGEWANDTE SOZIALWISSENSCHAFTEN

Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber –
die Sicht der Angehörigen des Zentralen Sanitätsdienstes

Gregor Richtera

a Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam

 

Zusammenfassung

Hintergrund: Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr wurde vom Bundesministerium der Verteidigung mit der Evaluation der Agenda „Bundeswehr in Führung – Aktiv. Attraktiv. Anders.“ beauftragt.

Methoden:  In den Jahren 2013, 2016 und 2020 wurden repräsentative Befragungen zur Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber durchgeführt.

Ergebnisse/Schlussfolgerungen: Mit der Studie können insgesamt positive Entwicklungen bei der Dienstzufriedenheit, der Arbeitgeberattraktivität und der Befriedigung mit berufsbezogenen Bedürfnissen in der Bundeswehr festgestellt werden. Die für diesen Beitrag erstellte Sonderauswertung der Daten zeigt, dass auch im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr die Befriedigung von berufsbezogenen Wachstumsbedürfnissen der wichtigste Faktor ist, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern.

Schlagworte: Arbeitgeberattraktivität, Dienstzufriedenheit, Personalbindung, Personal des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, ERG-Theorie

Keywords: employer attractiveness, service satisfaction, personnel retention, staff of the medical service of the German Armed Forces, ERG-Theory

Hintergrund

Im Juni 2014 stellte das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) die Agenda „Bundeswehr in Führung – Aktiv. Attraktiv. Anders.“ – im Folgenden kurz „Agenda“ – der Öffentlichkeit vor. Mit ihr wird das Ziel verfolgt, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. Die Agenda befindet sich heute noch in der Umsetzung und wurde gegenüber der ursprünglichen Konzeption ergänzt und weiterentwickelt. Das BMVg beauftragte das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) im November 2015 mit der Durchführung repräsentativer Umfragestudien zur begleitenden Evaluierung der Agenda.

Die folgenden Analysen basieren auf nunmehr drei Befragungswellen, die sich an Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundeswehr richteten. Im Jahr 2013, also noch vor und somit unabhängig von der 2014 ins Leben gerufenen Attraktivitätsoffensive, hatte das ZMSBw einen Fokus auf die Attraktivität der Bundeswehr in der turnusmäßig als Mehrthemenbefragung durchgeführten Bundeswehrumfrage gelegt. Die wesentlichen Indikatoren zur Dienstzufriedenheit, zur Arbeitgeberattraktivität und zur Befriedigung berufsbezogener Bedürfnisse wurden in die Personalbefragungen 2016 und 2020 übernommen und bilden somit die Referenzpunkte für die Evaluation der Agenda.

Die Studienergebnisse sind bereits publiziert [7]. Die Stichprobenumfänge wurden so gewählt, dass reprä­sentative Aussagen auch für einzelne Organisationsbereiche möglich sind. Im Folgenden werden speziell Analysen für den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDstBw) angestellt. Wo sinnvoll, werden neben Längsschnittvergleichen auch Querschnittsvergleiche mit dem Rest der Bundeswehr angestellt, um die Besonderheiten für den ZSanDstBw herauszuarbeiten. Die Analysen bilden auch die Hintergrundfolie für die derzeit in Entwicklung befindlichen personalpolitischen Maßnahmen im Sanitätsdienst, die in einem gesonderten Beitrag des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr in dieser Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift (WMM) präsentiert werden. Bereits in einer früheren Studie hatte des ZMSBw den Fokus auf die Personalbindung von Sanitätsoffizieren gelegt; die Ergebnisse wurden ebenfalls in der WMM veröffentlicht [3].

Die Welt wird seit Anfang 2020 von der Covid-19-Pandemie heimgesucht. Auch in Deutschland hatte sich die Lage verschärft und Gesetz- und Verordnungsgeber hatten mit einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionskrankheit reagiert. Das öffentliche Leben war massiv eingeschränkt; es ist von folgenschweren Entwicklungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt auszugehen. Die Feldphase der dritten Befragungswelle zur Agenda (3. Februar bis 6. März 2020) wurde noch beendet, bevor die Corona-Krise in Deutschland spürbar angekommen war und als solche in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Somit sind die vorliegenden Befragungsdaten von der Krise nicht „infiziert“, d. h. das Antwortverhalten ist vom Pandemie-Geschehen weitgehend unbeeinflusst und ein Längsschnittvergleich 2013–2016–2020 deshalb methodisch belastbar.

Methode

Mit der Entscheidung für postalische Befragungen 2016 und 2020 wurde sichergestellt, dass allen Bundeswehrangehörigen die Teilnahme an der Studie grundsätzlich mit gleicher Wahrscheinlichkeit möglich war. Erfahrungsgemäß ist bei Befragtengruppen, die über eine geringere Abdeckung mit personenbezogenen, dienstlichen E-Mail-Adressen verfügen und/oder eingeschränkt Zugang auf einen Arbeitsplatzcomputer haben (z. B. Mannschaftsdienstgrade, bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern, Angehörige seegehender Einheiten usw.), mit einer postalischen Befragung eine bessere Erreichbarkeit und somit ein höherer Rücklauf im Vergleich zum Online-Verfahren erzielbar. Dies lässt sich anhand der Rücklaufquoten ablesen (vgl. Tabelle 1). Messmethodische Effekte, die die Vergleichbarkeit der Befragungswellen 2013 mit 2016 bzw. 2020 verringern könnten, sind bei der Umstellung von der ursprünglichen Intranet-Befragung auf postalische Befragungen (beides Befragungsmethoden ohne Interviewer-Effekte) von untergeordneter Bedeutung.

Unter Berücksichtigung von besonderen Abwesenheitsgründen (z. B. Personen in der Freistellungsphase der Altersteilzeit und in Elternzeit) wurde für die Personalbefragungen 2016 und 2020 eine Auswahlgesamtheit definiert, die kleiner als die jeweilige Grundgesamtheit ist. Aus der Auswahlgesamtheit wurde jeweils eine Stichprobe in Höhe von ca. 10 000 dienstlichen Anschriften gezogen. Die Stichprobe war ex ante gewichtet, d. h. sie enthielt z. B. relativ mehr Mannschaftsdienstgrade und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Entgeltgruppen 1 bis 4, die erfahrungsgemäß seltener an schriftlichen Befragungen teilnehmen, als Stabsoffiziere und Beamte und Beamtinnen des höheren Dienstes. Angehörige von Auslandsdienststellen wurden nicht befragt. Der Rücklauf ist weitgehend strukturgleich mit der Auswahlgesamtheit der jeweiligen Befragungswelle; die Datensätze sind ebenso für eine Vergleichbarkeit im Längsschnitt geeignet und Repräsentativität und Qualität der Daten ist insgesamt als hoch zu bewerten [7].

Tab. 1: Die drei Befragungswellen im Vergleich

Ergebnisse

Die Studie zeigte für die Bundeswehr insgesamt erfreuliche Entwicklungen bei Schlüsselindikatoren wie der Dienstzufriedenheit, der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber und der Befriedigung mit berufsbezogenen Bedürfnissen seit Beginn der Befragungen (sog. positive Bruttoeffekte). Ebenso ließ sich nachweisen, dass die Agenda mit ihren einzelnen Maßnahmenpaketen einen merklichen Beitrag zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität leistet (sog. positive Nettoeffekte) [7]. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Ergebnisse die Situation für den ZSanDstBw beleuchtet, wobei neben längsschnittlichen Entwicklungen auch Querschnittsvergleiche zum Bundeswehrtrend im Sinne eines Benchmarks angestellt werden.

Dienstzufriedenheit

Die Dienstzufriedenheit wurde über eine 7-stufige Likert-Skala zu allen drei Zeitpunkten mit der Frage „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig, alles in allem, mit Ihrem Dienst in der Bundeswehr?“ gemessen. Tabelle 2 gibt die Antwortverteilungen für den ZSanDstBw sowie für alle Bundeswehrangehörigen wieder. Die Zufriedenheit steigt seit Beginn der Studie an: Beträgt der zusammengefasste Anteil der „sehr Zufriedenen“ und „Zufriedenen“ unter allen Bundeswehrangehörigen 2013 noch 26 %, so liegt er 2016 bei 36 % und 2020 bei 41 %. Das macht einen Zuwachs von 15 Prozentpunkten von 2013 auf 2020 aus. Die Unterschiede zwischen den drei Messzeitpunkten sind statistisch hoch signifikant.

Betrachtet man den ZSanDstBw separat, zeigt sich folgende Entwicklung: Über den gesamten Betrachtungszeitraum seit 2013 ergibt sich ein Zuwachs von 8 Prozentpunkten. Während es von 2013 auf 2016 noch einen signifikanten Anstieg der Dienstzufriedenheit auch im Sanitätsdienst zu verzeichnen gab, setzt sich der positive bundeswehrweite Trend von 2016 auf 2020 in diesem Organisationsbereich jedoch nicht mehr fort; die Veränderungen der Prozentwerte im aktuellen Zeitraum sind innerhalb des Sanitätsdienstes nicht signifikant (vgl. Tabelle 2).

Tab. 2: Dienstzufriedenheit im Zeitvergleich
Angaben in %, ohne Klammern = nur ZSanDstBw, mit Klammern alle Bw-Angehörigen; einzelne Prozentangaben ergeben mitunter in der Summe nicht 100 %, da sie gerundet wurden.
***p < 0.001; **p < 0.01; *p < 0.05. n.s.: nicht signifikant. T-Test (Bezug: Vorgängerbefragung).
(Datenbasis: ZMSBw-Personalbefragung 2016 und 2020, Befragung zur Attraktivität der Bundeswehr 2013)

Mit dem Regressionsmodell wird in Tabelle 3 geprüft, welche Faktoren die Dienstzufriedenheit beeinflussen und welchen Beitrag dabei der Umstand ausmacht, dass Befragte dem ZSanDstBw zugehören. Mit multivariaten Modellen ist es möglich, den Einfluss von Drittvariablen zu kontrollieren. Damit wird ausgeschlossen, dass z. B. eine im Vergleich zum Bundeswehrdurchschnitt unterschiedliche Alters- und Geschlechtsverteilung der „wahre“ Grund für abweichende Werte des untersuchten Organisationsbereichs ist. Ergebnis: Angehörige des Sanitätsdienstes sind leicht, aber signifikant weniger zufrieden mit dem alltäglichen Dienst als der Rest der Bundeswehrangehörigen.

Tab. 3: Multivariate Regression zur Dienstzufriedenheit 2020

Signifikanzniveau (in Klammern): ***p < 0.001; **p < 0.01; *p < 0.05; n.s. = nicht signifikant; das Vorzeichen der Kennzahl Beta gibt die Richtung des Effektes an. (Datenbasis: ZMSBw-Personalbefragung 2020)

Arbeitgeberattraktivität

Die Arbeitgeberattraktivität bezeichnet die Anziehungskraft eines Arbeitgebers auf externe (Bewerberinnen und Bewerber) und interne (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) Zielgruppen. Die Variable „Arbeitgeberattraktivität“ wurde zu allen drei Befragungszeitpunkten mit sechs Items über 5-stufige Likert-Skalen gemessen. Tabelle 4 gibt die Antworten auf ein ausgewähltes Item wieder.

Tab. 4: Arbeitgeberattraktivität im Zeitvergleich

Angaben in %, ohne Klammern = nur ZSanDstBw, mit Klammern alle Bw-Angehörigen; einzelne Prozentangaben ergeben mitunter in der Summe nicht 100 %, da sie gerundet wurden.
(Datenbasis: ZMSBw-Personalbefragung 2016 und 2020, Befragung zur Attraktivität der Bundeswehr 2013)

Während zu Beginn der Studie 42 % der Angehörigen des Sanitätsdienstes der Meinung waren, dass die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber ist („trifft eher zu“ und „trifft zu“ zusammengefasst), waren es 2 Jahre nach Start der Agenda 59 % und 6 Jahre nach Beginn der Attraktivitätsoffensive 63 %. Das macht einen Anstieg von 2013 auf 2020 um 21 Prozentpunkte aus. Im Bundeswehrdurchschnitt beträgt der Anstieg 29 Prozentpunkte.

In einem nächsten Schritt wurde ein additiver Index aus den sechs Items konstruiert, wobei hohe Werte der Variablen eine hohe Arbeitgeberattraktivität indizieren (Indexkennwerte 2013, 2016 und 2020 zusammengefasst: [-1;1]; M = 0,13; SD = 0,56; Min = -1; Max = 1; Cronbach’s α = 0,93).

Die Bundeswehrangehörigen insgesamt messen ihrem Dienstherrn 2016 eine signifikant höhere Arbeitgeberattraktivität zu als noch 2013. Gleiches gilt für den Vergleich zwischen 2016 und 2020 (M(2013) = 0,04; M(2016) = 0,22; M(2020) = 0,33; T-Test: p < 0.001). Im Fall des ZSanDstBw ist der Anstieg von 2013 auf 2016 noch hoch signifikant, für den Zeitraum 2016 auf 2020 lässt sich keine signifikante Veränderung mehr nachweisen. Mit einer ähnlichen Analysestrategie wie für die Dienstzufriedenheit (siehe Tabelle 3), wird nun in Tabelle 5 geprüft, wie die Angehörigen des Sanitätsdienstes die Arbeitgeberattraktivität im Vergleich zu den Angehörigen aller anderen Organisationsbereiche bewerten. Ergebnis ist ein signifikant niedrigeres Niveau im Sanitätsdienst im Vergleich zum Rest der Bundeswehr.

Tab. 5: Multivariate Regression zur Arbeitgeberattraktivität 2020

Signifikanzniveau (in Klammern): ***p < 0.001; **p < 0.01; *p < 0.05; n.s. = nicht signifikant; das Vorzeichen der Kennzahl Beta gibt die Richtung des Effektes an. (Datenbasis: ZMSBw-Personalbefragung 2020)

Der Attraktivitätsindex wird im Folgenden auch dazu verwendet, den Einfluss der Befriedigung von berufsbezogenen Bedürfnissen auf die Arbeitgeberattraktivität zu ermitteln. Als Zwischenergebnis ist hier vorerst festzuhalten: Über den gesamten Untersuchungszeitraum zeigt sich ein Anstieg bei der Dienstzufriedenheit und der Arbeitgeberattraktivität unter den Angehörigen des Sanitätsdienstes. Dieser Trend flacht seit 2016 stark ab und verliert im Gegensatz zum Bundeswehrdurchschnitt signifikant an Fahrt. Welches sind die Gründe hierfür und mit welchen personalpolitischen Stellschrauben könnten die Entwicklungen wieder in die gewünschte Richtung gesteuert werden? Diese Frage soll im Weiteren in einem motivationspsychologischen Bezugsrahmen beantwortet werden.

Motivationspsychologischer Ansatz

Generell lassen sich Inhaltstheorien von Prozesstheorien der Motivation abgrenzen [9].

Inhaltstheorien

Zur ersten Theoriegruppe zählt die bekannte Theorie der Bedürfnishierarchie von MASLOW [2], der fünf Bedürfnisklassen hierarchisch anordnet:

Die Bedürfnisse der ersten vier Klassen sind Defizitbedürfnisse, d. h. falls sie nicht befriedigt werden, wird ein Gleichgewicht angestrebt. Das Prinzip der ‚prepotency‘ besagt, dass das hierarchisch niedrigste noch nicht befriedigte Motiv dominant und zum zentralen Handlungsantrieb wird (Frustrations-Hypothese); ebenso aber aktiviert ein befriedigtes Bedürfnis das nächsthöhere Bedürfnis (Satisfaktions-Progressions-Hypothese). Das fünfte Bedürfnis folgt der Logik eines Wachstumsbedürfnisses, d. h. das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung kann tendenziell nicht befriedigt werden und wirkt kontinuierlich als ein Handlungsantrieb.

In Weiterentwicklung des Ansatzes von Maslow unterscheidet ALDERFER [1] 3 Bedürfnisklassen, deren Anfangsbuchstaben dem ERG-Konzept seinen Namen geben:

Ähnlich wie bei Maslow stehen die 3 Bedürfnisklassen in einem wechselseitigen, jedoch nicht in einem hierarchischen Verhältnis. Zu den zwei Hypothesen von Maslow kommen zwei weitere hinzu: Demnach kann ein nicht befriedigtes Bedürfnis ein hierarchisch niedrigeres dominant werden lassen (Frustrations-Regressions-Hypothese) oder es kann im Sinne einer Persönlichkeitsentwicklung zu einer Aktivierung höherer Bedürfnisse führen (Frustrations-Progressions-Hypothese). Das ERG-Konzept hat gegenüber dem Ursprungsmodell von Maslow eine stärkere empirische Unterstützung gefunden [11], weshalb diese Inhaltstheorie als Rahmen für die vorliegende Studie herangezogen wurde.

Prozesstheorien

Zur zweiten Theoriegruppe, also zu den Prozesstheorien der Motivation, zählen alle Ansätze, die unter die Rubrik „Erwartungs-Valenz-Theorie“ fallen. Die Grundannahme ist dabei wie folgt:

Der Mensch wird als rational handelndes Wesen gesehen, das verschiedene Annahmen über zukünftige Ereignisse hat und sein Wahlverhalten danach ausrichtet. Die Theorie steht damit älteren ökonomischen Ansätzen, z. B. den Utilitaristen, nahe [11]. Während Inhaltstheorien etwas über die Art der Motivation und der Anreize aussagen und z. B. die Frage zu beantworten versuchen, welche Bedürfnisse mit einer beruflichen Tätigkeit überhaupt befriedigt werden sollen, eignen sich kognitive Prozesstheorien dafür, den individuellen Entscheidungsprozess zu modellieren. So ist es der Anspruch der klassischen Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungstheorie (VIE) von VROOM [10], das Ergebnis von Wahlen zwischen verschiedenen Handlungen und Aufgaben und das jeweilige Anstrengungsniveau bei diesen Handlungen zu prognostizieren [8].

Verwendete Konzepte

Die im weiteren verwendeten Konzepte von Instrumentalitäten M(j) und Valenzen V(j) lehnen sich an die Begrifflichkeiten der VIE-Theorie an. Die im Fragebogen abgefragten Bedürfnisse, die sich inhaltlich den drei Alderferschen Bedürfnisklassen zuordnen lassen, sind als Instrumentalitäten zu interpretieren, d. h. sie geben Auskunft darüber, in welchem Maße z. B. ein Bundeswehrangehöriger annimmt, dass ein berufsbezogenes Bedürfnis durch den Dienstherrn bisher erfüllt wurde bzw. zukünftig erfüllt wird. Die statistischen Korrelationen der Einzelbedürfnisse mit dem oben eingeführten Attraktivitätsindex sind dagegen als Valenzen zu interpretieren, die sozusagen ein Bedürfnis mit der subjektiven Bedeutung eben dieses Bedürfnisses für den Befragten gewichten [4].

Prozesstheorien der Motivation sind erst einmal inhaltsleer, sagen also nichts über die Art der für Organisationsangehörige tatsächlich wirkenden Bedürfnisse aus und geben keine Anhaltspunkte, welche Gründe für oder gegen einen Verbleib bei einem Arbeitgeber handlungsleitend sind. Im Gegenzug sagen Inhaltstheorien der Motivation nichts über die kognitiven Prozesse aus, die bei Entscheidungsfindungen ablaufen. Erst die Kombination von Inhalts- und Prozesstheorien, die für die theoretische und methodische Anlage dieser Befragungsstudie entwickelt wurde, ermöglicht es einerseits, Bedürfnisse und Bedürfnisklassen in ihrer Bedeutung für die Arbeitgeberattraktivität zu ermitteln und untereinander zu gewichten sowie andererseits, den kognitiven Prozess im Erhebungsinstrument zu modellieren.

Die Fragebögen zu allen drei Erhebungszeitpunkten enthielten 32 Einzelbedürfnisse, von denen ausgegangen werden kann, dass sie personalbindungsrelevant sind. Für die Sonderanalyse für den ZSanDstBw wurden 15 besonders aussagekräftige Aspekte ausgewählt. Die Einzelaspekte wurden jeweils über eine 5-stufige Likert-Skala (Antwortvorgaben: „trifft nicht zu“, „trifft eher nicht zu“, „teils/teils“, „trifft eher zu“, „trifft zu“) erhoben. Tabelle 6 enthält der besseren Übersichtlichkeit halber nur die Mittelwerte M(j) für die jeweiligen Einzelbedürfnisse, wobei hohe Mittelwerte einen hohen Grad der Bedürfnisbefriedigung anzeigen. Sie ist nach dem Grad der Bedürfnisbefriedigung für das aktuelle Erhebungsjahr absteigend sortiert. Die Maßzahl V(j) ist als durchschnittliche subjektive Valenz eines Einzelbedürfnisses j im Hinblick auf Arbeitgeberattraktivität zu interpretieren.

Tabelle 6 kann wie folgt interpretiert werden: Das Stärken/Schwächen-Profil des Arbeitgebers Bundeswehr bleibt aus Sicht der Angehörigen des ZSanDstBw im Zeitvergleich weitgehend stabil. Nur bei zwei Aspekten können statistisch signifikante Veränderungen diagnostiziert werden, ablesbar an den Deltas:

Die Möglichkeiten für eine Vereinbarkeit von Familie und Dienst werden 2020 besser beurteilt als noch 2016; dagegen scheint die Arbeitsbelastung im Durchschnitt zugenommen zu haben, d. h. weniger Befragte des Sanitätsdienstes arbeiten 2020 maximal 41 Stunden die Woche als noch 2016. Zu den Stärken der Bundeswehr zählen nach wie vor insbesondere die Bereiche, die unter die Rubrik „Existence“ fallen. Dies sind „Arbeitsplatzsicherheit“, „Sozialleistungen“ und „Bezahlung“, also drei der fünf am höchsten platzierten Aspekte. Die Arbeitsbelastung und vor allem der Zustand der Liegenschaften, die auch den existenziellen berufsbezogenen Bedürfnissen zugerechnet werden können, schneiden beim Personal des Sanitätsdienstes vergleichsweise schlecht ab.

Tab. 6: Befriedigung mit berufsbezogenen Bedürfnissen im ZSanDstBw
M(j): [-1][1]; Signifikanzklassen in Klammern: ***p < 0.001; **p < 0.01; *p < 0.05; n.s. = nicht signifikant. T-Test; Berechnung der Deltas mit nicht gerundeten Werten; V(j): Pearson-Korrelation zwischen Einzelbedürfnis j und Attraktivitätsindex
(Datenbasis: ZMSBw-Personalbefragungen 2016 und 2020).

Wirft man einen Blick auf die soziale Bedürfniskategorie („Relatedness“), zeigt sich ein uneinheitliches Bild: Die drei Aspekte „soziales Umfeld“, „freie Wochenenden“ und „Nähe Arbeitsplatz/Wohnort“ befinden sich zwar in der oberen Hälfte der Liste, die vergleichsweise niedrigen Valenzwerte V(j) indizieren aber eine schwache Bedeutung für die Arbeitgeberattraktivität. Zwei Aspekte dieser Bedürfniskategorie hingegen werden vergleichsweise kritisch bewertet, haben gleichzeitig jedoch eine hohe Durchschlagskraft für die Bewertung der Bundeswehr als einen attraktiven Arbeitgeber: Weitere Verbesserungen im Bereich der Vereinbarkeit von Dienst und Familie und insbesondere bei der Zufriedenheit mit den Vorgesetzten und Führungskräften dürften erkennbare positive Auswirkungen auf die Personalbindung haben.

Schlüsselfaktoren für die Arbeitgeberattraktivität sind zweifelsfrei die Wachstumsbedürfnisse („Growth“). Sie alle weisen relativ hohe Valenzwerte auf, wobei die Bedürfnisse, bei einem angesehenen Arbeitgeber tätig sein zu können (v = 0,57) und der Wunsch nach einer Übereinstimmung des eigenen Wertesystems mit den Werten, für die der Arbeitgeber bzw. Dienstherr steht (v = 0,50), die Prioritätenliste klar anführen. Im Vergleich zu den anderen abgefragten Aspekten ist das Bedürfnisbefriedigungsniveau dabei im Mittelfeld angesiedelt. Im Großen und Ganzen geben die Angehörigen des ZSanDstBw an, eine interessante Aufgabe erfüllen zu können; diese trägt auch stark zur Gesamtattraktivität der Arbeit bzw. des Dienstes bei der Bundeswehr bei.

Kritischer zu bewerten und somit zu priorisierende Handlungsfelder sind die Weiterbildungsmöglichkeiten und insbesondere der Bereich „Beförderung/Karriere“ mit niedriger Instrumentalität bei gleichzeitig hoher Valenz. Diese Handlungsfelder bilden auch den Schwerpunkt der Zielsetzungen des vom Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) erarbeiteten Maßnahmenprogramms zur Erhöhung der Attraktivität des Dienstes und der Personalbindung.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Die Bundeswehr verfügt über ein spezifisches Stärken-/Schwächen-Profil – auch aus Sicht der Angehörigen des ZSanDstBw. Das Arbeitgeberimage hat klar Stärken im Bereich von existenziellen berufsbezogenen Bedürfnissen (z. B. Sozialleistungen). Den stärksten Einfluss auf die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber haben jedoch Wachstumsbedürfnisse [5], die im Einzelfall, so insbesondere im Bereich Beförderung/Karriere, gerade aus Sicht der Angehörigen des ZSanDstBw vergleichsweise schwach befriedigt werden. Im Sinne der oben entwickelten „Satisfaktions-Progressions-Hypothese“ scheinen niedrigere Bedürfnisse weitgehend befriedigt mit der Konsequenz, dass es im Zuge der Persönlichkeitsentwicklung zu einer Aktivierung höherer Bedürfnisse kommt, die entscheidend dafür sind, was man bei einem attraktiven Arbeitgeber vorfinden möchte.

Seit der letzten Zwischenevaluation im Jahr 2016 sind offenbar einzelne Aspekte des Arbeitgeberimages durch die Maßnahmen der Agenda Attraktivität adressiert worden, die auch im ZSanDstBw eine hohe Bindungswirkung aufweisen, und für die auch im Sanitätsdienst positive Entwicklungen nachzuweisen sind (so die Vereinbarkeit von Familie und Dienst). Zwar sind die stärksten Effekte für die Personalbindung nach wie vor über die Adressierung von Wachstumsbedürfnissen zu erwarten (z. B. über die Maßnahmenpakete „Karrierepfade“ und „Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft“ der Agenda Attraktivität), im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ist jedoch nicht abzusehen, ob und wie sich die subjektive Bedürfnisstruktur der Soldaten und Soldatinnen wie der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln wird. Zwar sind Bundeswehrangehörige auch im Sanitätsdienst in eher geringem Maße direkt von den absehbaren Folgen auf dem Arbeitsmarkt betroffen, dennoch ist denkbar, dass gerade in Reaktion auf die sozialen und ökonomischen Folgewirkungen der Krise klassische Existenzbedürfnisse eine Bedeutungsrenaissance erfahren. Das interne wie externe Personalmarketing ist deshalb gut beraten, nach wie vor auf allen berufsbezogenen Bedürfnisebenen geeignete Anreizsignale auszusenden.

Zielgruppenspezifisches Handeln gefragt

Die Bundeswehr ist ein Arbeitgeber mit einer Vielzahl von Funktionsbereichen mit unterschiedlichen Professionsgruppen und Verwendungsreihen. Dies gilt auch für den noch vergleichsweise homogeneren Personalkörper des ZSanDstBw. Beispiele sind Sanitätsoffiziere, bei denen die Bundeswehr als Arbeitgeber in Konkurrenz mit einem spezifischen Arbeitsmarktsegment, dem zivilen Gesundheitssektor, steht, oder auch IT-Fachleute im Sanitätsbereich, die heute über hervorragende Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt in der Industrie oder der mittelständischen Wirtschaft verfügen. Personalbindungsarbeit muss deshalb immer als differenzielle Personalbindungsarbeit ausgestaltet sein, und steht je nach Verwendungsreihe vor der Herausforderung, die passenden, zielgruppengeeigneten Anreize zum Verbleib in der Organisation zu setzen. Eine bundeswehrweite Attraktivitätsstudie kann Sonder- und Detailanalysen zur Arbeitgeberattraktivität und zu Personalbindungsfaktoren bei diesen Zielgruppen nicht ersetzen

Für Sanitätsstabsoffiziere (SanStOffz) liegt eine solche Sonderanalyse bereits vor [3;6]. Die Organisations- und Personalpsychologie versteht unter Mitarbeiterbindung im engeren Sinne die Verbundenheit, die Zugehörigkeit und die Identifikation, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber ihrem Unternehmen empfinden und erleben. Aus personalwirtschaftlicher Perspektive ist vor allem von Interesse, welche die relevanten, durch einen Arbeitgeber direkt oder indirekt beeinflussbaren Faktoren der Entscheidungsfindung für oder gegen den Verbleib in der Organisation sind. Die Sonderanalyse definierte „Beruflich gebundene SanStOffz“ als diejenigen, die im 14./15./16. Dienstjahr entweder schon Berufssoldatinnen und -soldaten (BS) sind, bereits einen Antrag auf Übernahme gestellt haben oder sich dies sicher, eher oder vielleicht vorstellen können. „Beruflich nicht gebundene SanStOffz“ sind Soldaten und Soldatinnen auf Zeit (SaZ), die keinen Antrag gestellt haben und es sich eher nicht oder sicher nicht vorstellen können, zu verlängern.

Als personalbindungsrelevant konnten folgende Bereiche identifiziert werden:

a) eine abwechslungsreiche und interessante Tätigkeit ausüben zu können,

b) regelmäßige Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu haben,

c) Verantwortung übernehmen zu können,

d) selbstständig planen und entscheiden zu können,

e) gute Vorgesetzte zu haben,

f) irgendwann Führungsverantwortung übernehmen zu können und

g) sich mit den Zielen der Organisation identifizieren zu können.

Dieses sind im Wesentlichen also ebenfalls Bereiche, die auch hohe Valenzen bei der bundeswehrweiten Befragung 2020 (siehe Tabelle 6) ergaben.

Andere militärische Funktionsgruppen des Organisationsbereichs bis hin zum zivilen Personal wurden bisher nicht gesondert in Studien berücksichtigt. Hier deutet sich weiterer Forschungsbedarf zum Personalmanagement in der Bundeswehr ab.

Kernaussagen

Literatur

  1. Alderfer C P: Existence, Relatedness, and Growth. Human Needs in Organizational Settings. New York: Free Press 1972.
  2. Maslow AH: A Theory of Human Motivation. Psychological Review 1943; 50(4): 370-396. mehr lesen
  3. Richter G: Herausforderung Personalbindung – Ergebnisse einer Befragung von Sanitätsstabsoffizieren 2015. WMM 2016; 60(3-4): 98-105. mehr lesen
  4. Richter G: Mannschaftsdienstgrade. Eine besondere Gruppe des Personalmanagements? In: Elbe, M und Richter, G (Hg.): Personalmanagement in der Bundeswehr. Strategien, Zielgruppen, Kompetenzen. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2019: 93-110.
  5. Richter, G: Wer wird Berufssoldat? Identifikation mit den Zielen der Bundeswehr und gesellschaftlicher Rückhalt sind entscheidend. if – Zeitschrift für Innere Führung 2019, H. 2: 53-59.
  6. Richter G: Genderspezifisches Personalmarketing? Ergebnisse und Analysen der Befragung von Sanitätsstabsoffizieren im 14./15./16. Dienstjahr. Forschungsbericht 124. Potsdam: ZMSBw 2020. mehr lesen
  7. Richter G: Wie attraktiv ist die Bundeswehr als Arbeitgeber? Ergebnisse der Personalbefragung 2020. Forschungsbericht 126. Potsdam: ZMSBw 2020. mehr lesen
  8. Rosenstiel Lv: Grundlagen der Organisationspsychologie. 5. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2003.
  9. Schanz G: Personalwirtschaftslehre. Lebendige Arbeit in verhaltenswissenschaftlicher Perspektive. 3. Aufl. München: Vahlen 2000.
  10. Vroom, V H: Work and Motivation. New York: Wiley 1964.
  11. Weber W et al.: Lexikon Personalwirtschaft. 2., akt. und komplett überarb. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2005.

Erklären zu Interessenkonflikten

Der Autor ist Beamter im Geschäftsbereich des BMVg; die dem Beitrag zugrundeliegende Studie wurde durch das BMVg beauftragt.

Manuskriptdaten:

Zitierweise

Richter G: Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber – die Sicht der Angehörigen des Zentralen Sanitätsdienstes. WMM 2021; 65(7): 277-283.

Verfasser

Dr. phil. Gregor Richter, Wissenschaftlicher Direktor

Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw),

Zeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam

E-Mail: gregorrichter@bundeswehr.org