Wehrmedizinische Monatsschrift

RISIKO ZECKENSTICH

Die FSME – eine durch Zecken übertragene Zoonose mit wehrhistorischer und wehrmedizinischer Bedeutung

Gerhard Doblera

a Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München

 

Zusammenfassung

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist die wichtigste durch Zecken übertragene Virusinfektion. Sie ist auf der eurasischen Landmasse verbreitet und breitet sich seit Jahren immer weiter aus.

Sowohl die Erstbeschreibung der Erkrankung und die Entdeckung des FSME-Virus als auch die Entwicklung des ersten europäischen Impfstoffs sind eng mit geopolitischen Entwicklungen verknüpft, in die vielfach auch Wehrmediziner involviert waren. Der Beitrag will einen Überblick über diesen weitgehend unbekannten Aspekt der FSME geben sowie einen Ausblick über die noch ungelösten Fragen zur FSME und ihre Bedeutung auch für die Wehrmedizin liefern.

Schlüsselwörter: Frühsommer-Meningoenzephalitis, Russische Frühjahr-Sommer-Enzephalitis, Wehrmedizin, Wehrgeschichte, Dirty Dozen

Einleitung

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), in Europa auch als „Zeckenenzephalitis“ (engl. tick-borne encephalitis – TBE) bezeichnet, ist eine überwiegend durch Schildzecken der Gattung Ixodes übertragene Virusinfektion. Die erste klinische Beschreibung dieses Krankheitsbildes durch den österreichischen Internisten Dr. Hans Schneider (daher auch die noch gelegentlich zu findende Bezeichnung „Schneidersche Erkrankung“) stammt aus dem Jahr 1931. Weniger bekannt ist, dass vor allem strategische und geopolitische Faktoren bei der Erst-Entdeckung der russischen Virus-Subtypen in den späten 1930er Jahren in der damaligen Sowjetunion eine wichtige Rolle spielten. Die Erkrankung wurde und wird in Russland immer noch als die „Russische Frühjahr-Sommer-Enzephalitis“ (Russian Spring Summer Encephalitis) bezeichnet. Dort wurde sie nach inoffiziellen Angaben v. a. in den 1950er und 1960er Jahren in Biowaffen-Programmen beforscht und als Alternative für das zum „Schmutzigen Dutzend“ zählende Virus der Venezolanischen Pferdeenzephalitis (VEE) gesehen. Und auch der erste europäische Impfstoff wurde in Kooperation mit dem englischen Zentrum zur Abwehr biologischer Waffen in Porton Down, UK, entwickelt.

Vor allem in den 1960er Jahren – nach der Entdeckung eines sehr ähnlichen Virus (des heutigen Europäischen Subtyps des FSME-Virus) in den Ländern des damaligen Ostblocks (Weiß-Russland, Tschechoslowakei) – wurden auch umfangreiche Forschungsprogramme in Europa aufgelegt. Insbesondere die USA versuchten in den Besitz dieses nur auf dem Eurasischen Kontinent vorkommenden Virus zu gelangen und unter dem Gesichtspunkt eines möglichen biologischen Kampfstoffs auch Infektions- und Übertragungsversuche durchzuführen sowie die Entwicklung von Impfstoffen voranzutreiben. Mit der Entwicklung von Impfstoffen in den 1980er Jahren nahm die wehrmedizinische Bedeutung der FSME ab. Allerdings zeigte sich v. a. in den letzten Jahren wieder ein erhöhtes Interesse, nicht zuletzt aufgrund des zunehmenden Risikos für Infektionen im Rahmen von Auslandseinsätzen in den Endemiegebieten der FSME (z. B. Baltikum). Ferner ist die FSME-Impfung in den USA nicht zugelassen, so dass ein prophylaktischer Schutz zumindest der US-Soldaten bisher sehr schwierig ist.

Das FSME-Virus, seine Übertragung und die Erkrankung

Das FSME-Virus ist ein sogenanntes Arbovirus. Dieser ökologisch-epidemiologische Begriff bedeutet, dass das Virus von Arthropoden (Gliederfüßern) auf seinen ­natürlichen Wirbeltierwirt und von diesem in der virämischen Phase wieder auf den Arthropoden-Überträger (Vektor) übertragen wird. Der Mensch ist für viele dieser Arboviren, u. a. auch für das FSME-Virus, ein sogenannter „inkompetenter Zufallswirt“ und kann damit das Virus nicht auf Zecken zurück übertragen. Für das FSME-Virus können die Übertragung auf den Menschen und dessen Erkrankung damit als eine Art biologischer Unfall gesehen werden, der dem Virus biologisch keinen Nutzen bringt.

Vektoren/Übertragung

Wichtigster Vektor für das FSME-Virus in Europa ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Die beiden östlichen Subtypen des FSME-Virus (Sibirischer und Fernöstlicher) werden überwiegend von der Taigazecke (Ixodes persulcatus) übertragen. Eine Reihe weiterer Zeckenarten, u. a. mittlerweile auch die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus), sind als potenzielle Vektoren des FSME-Virus unter bestimmten ökologischen Bedingungen nachgewiesen. Kompetente natürliche Wirte für das FSME-Virus sind Kleinnager, u. a. Rötelmaus oder Gelbhalsmaus. Werden Nutztiere (v. a. Ziegen, Kühe, evtl. auch Schafe) infiziert, scheiden diese das FSME-Virus aktiv mit der Milch aus. Der Verzehr dieser Milch oder daraus hergestellter Produkte (Frischkäse) in unbehandeltem Zustand führt zur FSME auf dem Weg der sogenannten alimentären Übertragung.

Abb. 1: Weibchen der Auwaldzecke (links), einer Zecke mit zunehmender Bedeutung als Vektor des FSME-Virus, und des Gemeinen Holzbocks (rechts), des wichtigsten Überträgers des FSME-Virus in Mitteleuropa

Taxonomie

Biologisch-taxonomisch ist das FSME-Virus der sogenannten „Wirbeltier-Zecken-Flavivirus-Gruppe“ aus der Gattung Flavivirus in der Familie Flaviviridae eingeordnet. In dieser Gattung finden sich eine Reihe weiterer wichtiger humanmedizinisch wichtiger Viren, u. a. Dengue-Viren, Gelbfieber-Virus, Japan-Enzephalitis-Virus sowie West-Nil-Virus. Daher können Impfungen oder Infektionen mit diesen Viren zu Problemen bei der ­Diagnostik durch serologische Kreuzreaktionen führen.

Das FSME-Virus wird offiziell als Tick-borne Encephalitis Virus (TBEV) geführt und kann in mindestens 5 Subtypen (Europäischer, Sibirischer, Fernöstlicher, Baikalischer, Himalayischer Subtyp) unterteilt werden. Das mit ihm genetisch nächstverwandte Virus ist das Virus des Omsk Hämorrhagischen Fiebers. Es gibt eine Reihe weiterer auch wehrmedizinisch wichtiger mit ihm verwandter, ebenfalls durch Zecken übertragener Viren, u. a. das Virus der Indischen Waldkrankheit (Kyasanur Forest Disease-Virus), das Virus des Arabischen Hämorrhagischen Fiebers (Alkhumra-Virus) und das Powassan-Virus.

Die geographische Verbreitung der FSME-Subtypen des FSME-Virus umfasst den gesamten sog. Borealen Nadelwald-Gürtel (Taiga-Gürtel) und die Zone der europäischen Laub- und Mischwälder, die vom Atlantik bis zum Pazifik reichen. In den letzten Jahren wurden FSME-­Fälle auch von der britischen Insel gemeldet. Und aus Tunesien gibt es ebenfalls einen Bericht darüber, dass dort erstmals außerhalb der eurasischen Landmasse das FSME-Virus nachgewiesen wurde.

Geopolitische Situation, Erstbeschreibung und Entdeckung des FSME-Virus

Bis zur Erstbeschreibung der Klinik der FSME durch Schneider aufgrund epidemiologischer Besonderheiten existieren keine konkreten klinischen Beschreibungen der FSME. Zwar gibt es in finnischen Kirchenbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert Sterbefall-Berichte von Bewohnern, die möglicherweise an einer FSME verstarben, allerdings lässt sich dies heute nicht mehr zweifelsfrei nachprüfen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts finden sich einzelne Beschreibungen von Epilepsie, Meningoenzephalitis oder „atypischer Poliomyelitis bei Erwachsenen“ in Russland. Von einzelnen dieser Fälle konnte in aufbewahrten Serumproben noch eine FSME diagnostisch nachgewiesen werden.

Erstbeschreibung des Krankheitsbildes

Die Erstbeschreibung des klinischen Krankheitsbilds der FSME in Österreich ist eng verknüpft mit den damaligen ökonomisch-politischen Gegebenheiten. Schneider fiel eine Häufung der Meningoenzephalitis-Fälle v. a. in den Sommermonaten bei der ländlichen Bevölkerung mit Tätigkeit in der Pechgewinnung auf. Durch die Wirtschaftskrise und den Mangel an Erdöl-Lagerstätten in der Österreichischen Ersten Republik wie auch im Deutschen Reich und dem zunehmenden industriellen Bedarf an Ölprodukten entwickelte sich in der Region südlich von Wien eine der wirtschaftlich bedeutendsten Petroindustrie-Regionen im deutschsprachigen Raum. Diese zunehmende Industrialisierung wiederum führte dazu, dass in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen tausende Familien südlich von Wien haupt- oder nebenberuflich von der Pechgewinnung lebten. Die dadurch bedingte erhöhte Exposition mit Zecken dürfte zu dem deutlichen Anstieg der FSME-Fälle geführt haben. Nach Angaben des Leiters des Hernsteiner Pechmuseums, Leopold Nebel, gab es auch noch in den 1960er Jahren kein Haus im Ort mit nicht mindestens einem FSME-Fall.

Nach dem zweiten Weltkrieg nahm die Bedeutung dann mit der aufkommenden globalen Erdölindustrie kontinuierlich ab. Bis in die 1970er Jahre spielte die FSME in der Region südlich von Wien eine wichtige Rolle, nicht zuletzt bei der durch die USA geförderten Erforschung des natürlichen Übertragungszyklus des FSME-Virus.

Entdeckung des Virus

Ganz ähnliche ökonomische und geopolitische Entwicklungen führten etwa zur gleichen Zeit, aber ca. 15 000 km östlich von Österreich, zur Entdeckung des für diese Form der Meningoenzephalitis verantwortlichen Virus. 1932 brachte Stalin seinen „5-Jahresplan zur industriellen und landwirtschaftlichen Entwicklung der Sowjetunion“ auf den Weg. In diesem Plan spielten insbesondere Sibirien und der Ferne Osten der Sowjetunion eine wichtige Rolle. Allerdings wurden die Prospektierung und auch Entwicklung dieser Region durch eine mysteriöse, teilweise mit schweren neurologischen Schäden oder tödlich verlaufende ZNS-Erkrankung deutlich erschwert. Es wurde auch erkannt, dass diese Erkrankung die Entwicklung und die nationale Sicherheit im Fernen Osten (viele Erkrankte waren Grenzsoldaten) gegenüber den aufstrebenden Mächten China und Japan massiv beeinträchtigte. Besonders viele Patienten wurden bei Soldaten der sowjetischen Pazifikflotte in Wladiwostok und bei den Grenzsoldaten in Khabarowsk beobachtet. Der Chefarzt für Neurologie der Neurologischen Klinik im Marine-Militär-Krankenhaus Wladiwostok, A.G. Panov, beschrieb 1934 mehrere verschiedene Verlaufsformen und konnte sie von anderen damals bekannten Infektionskrankheiten abgrenzen. Aufgrund der saisonalen Häufung im Frühsommer gab er der Erkrankung den Namen „Russische Frühjahr-Sommer-Enzephalitis“ (engl. Russian-Spring-Summer-Encephalitis – RSSE). Seine Arbeiten bildeten die Grundlage für die Entdeckung des FSME-Virus.

Im Jahr 1937 wurde unter der Leitung von Lev Zilber eine Expedition in die betroffene Region gesandt. Ihm gelang in dieser ersten RSSE-Expedition die Entdeckung des FSME-Virus in Patienten. Aufgrund der politisch angespannten Situation wurden Zilber und zwei weitere Mitglieder der Expedition nach der Beschreibung des Virus und seiner Ähnlichkeit mit dem Japanischen Enzephalitis-Virus als Agitatoren und Spione für Japan verhaftet und für 7 Jahre inhaftiert. Der Name Zilber war bis in die 1960er Jahre aus allen Fachbüchern Russlands gestrichen; erst nach Stalins Tod wurde er rehabilitiert.

In einer weiteren Expedition 1938 unter der Leitung Pawlowskys, Abteilungsleiter für Infektionsmedizin an der Militärakademie in Leningrad, wurde die Übertragung durch Zecken entdeckt und der natürliche Übertragungszyklus aufgeklärt. Diese Arbeiten mündeten in der epidemiologisch bedeutsamen Naturherd-Theorie, die mit dem Namen Pawlowsky untrennbar verbunden ist.

In der dritten RSSE-Expedition 1939 wurde ein erster entwickelter Impfstoff an die betroffene Bevölkerung verabreicht, womit die Häufigkeit der Erkrankung eingedämmt werden konnte. Die westliche Welt wurde auf die FSME durch die erste in englische Sprache übersetzte Publikation zur „Fernöstlichen Zecken-übertragenen Frühjahr-Sommer-Enzephalitis“ im Jahr 1940 aufmerksam.

Abb. 2: Russische Taiga: Ort der Erstisolierung des RSSE-Virus im Jahre 1937

Ausbreitung nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Erkrankung in Weißrussland und dann in der damaligen Tschechoslowakei nachgewiesen. Ab 1950 häuften sich die tschechoslowakischen, ungarischen und sowjetischen Berichte zur im deutschen Sprachraum als „Böhmische Meningitis“ bezeichneten Infektion. 1954 konnte das Virus erstmals aus Gehirnen verstorbener Patienten in Graz außerhalb der Ostblock-Länder isoliert und identifiziert werden. Die Zunahme der FSME-Fälle in der Region von Neunkirchen veranlasste ab Mitte der 1950er Jahre die damaligen Hygieniker der Universität Wien, gemeinsam mit den Internisten von Neunkirchen, umfangreichere klinische und epidemiologische Studien durchzuführen. Bis Mitte der 1960er Jahre wurden dazu mehrere Wissenschaftler-Stellen (u. a. Pretzmann, Loew, Radda) im damaligen Institut für Hygiene der Universität Wien ganz oder teilweise von einem Forschungsprogramm der US-Streitkräfte finanziert, um Kenntnisse über dieses neue Virus zu gewinnen.

Potenzielle Bio-Waffe

Bezugnehmend auf diese Forschungen wurde das FSME-Virus, insbesondere seine fernöstliche Variante (der Begriff des genetischen Subtyps kam erst viele Jahre später), sowohl von den Stellen der US-Army als auch von der WHO als potenzielles B-Agens eingestuft; es wurden auch entsprechende Ausbreitungsversuche mit diesen Viren durchgeführt (Tabelle 1).

Tab.1: Massen-Potenzial für biologische Agenzien nach Ausbringung einer 50 kg Bombe auf eine exponierte Bevölkerung von 500 000 Menschen (WHO Expertengruppe Health Aspects of Chemical and Biological Weapons. WHO, Genf, 1970, 98)
*CDC-Kategorie: Einteilung der potenziellen Bioagenzien durch das Center for Disease Control and Prevention (CDC, Atlanta Emergency Preparedness and Response, Bioterrorism Agents/Diseases by Categories; https://emergency.cdc.gov/agent/agentlist-category.asp#c)

Verschiedene weitere epidemiologische Aspekte des FSME-Virus, u. a. auch seine alimentäre Übertragungsform, ließen eine Expertengruppe der WHO zu dem Schluss kommen, dass „die Einfachheit mit der das FSME-Virus kultiviert werden kann, seine hohe Infektiosität durch Aerosol-Übertragung mit einer Letalitätsrate von bis zu 25 % und die alimentäre Übertragbarkeit durch Milch und Milchprodukte sowie die hohe Stabilität des Virus in Milch zu hohen Fallzahlen in einer betroffenen Bevölkerung führen können“ (WHO, 1970). Dies zeigt auch der Vergleich der Eigenschaften des FSME-Virus mit anderen potenziell als Bio-Agenzien verwendeten bzw. diskutierten Viren (Tabelle 2).

Tab. 2: Vergleich verschiedener Viren bzgl. Übertragung, Letalität, Prophylaxe, Therapie und zoonotisches Potenzial
1) nur experimentell; 2) experimentell in den USA, nicht in Deutschland verfügbar; 3) vermutlich nicht bei Aerosol-Übertragung

Impfstoffentwicklung

Aufgrund der zunehmenden medizinischen Bedeutung der FSME in Österreich entschloss sich der Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Wien, Prof. Dr. Christian Kunz, einen Impfstoff gegen die FSME zu ­entwickeln. Er fand als wissenschaftlichen Partner das britische Zentrum zur Abwehr biologischer Waffen in Porton Down (vielleicht auch durch die vorherige Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften initiiert). Die ersten beiden FSME-Impfungen verabreichte Kunz an sich selbst und seinem Virologen-Kollegen Prof. Dr. Hanns Hofmann. Die ersten größeren Impfstudien führte Kunz an ca. 30 000 Landwirtschafts- und Waldarbeitern in Österreich durch. Für mögliche Impfschäden haftete er selbst mit seiner privaten Haftpflicht-Versicherung mit einer maximalen Höhe von 10 Millionen Schilling (ca. 720 000 €).

Abb. 3: Prof. Dr. Christian Kunz (1927-2020) war langjähriger Vorstand des Instituts für Virologie der Universität Wien und Entwickler des ersten modernen Impfstoffs gegen FSME. (Das Foto aus Familienbesitz wurde freundlicherweise über das Bestattungshaus Ploberger, Vöcklabruck/Österreich, zur Verfügung gestellt)

Keinen der großen Impfstoff-Konzerne konnte Kunz als Partner für die Produktion des Impfstoffs gewinnen. Die Gründer des österreichischen Pharmaunternehmens IMMUNO AG stiegen dann in das Projekt ein und begannen 1976 mit der Serienproduktion des Impfstoffs (FSME-Immun®). Seither konnten in Österreich rund 85 % der Bevölkerung geimpft und die Zahl der FSME-Fälle in Österreich um ca. 90 % gegenüber der Vorimpf-Ära reduziert werden.

1991 wurde ein weiterer von der deutschen Pharmafirma Behring entwickelter und nach Verkauf der Firma an das Pharmaunternehmen Chiron übernommener FSME-Impfstoff (Enzepur®) zugelassen, der seither in verschiedenen weiteren europäischen Ländern vertrieben wird.

Herausforderungen der aktuellen Epidemiologie der FSME

Generelle zukünftige Herausforderungen

Impfdurchbrüche

Ein zunehmendes Problem stellen die Impfversager dar. Keine Impfung ist 100 %ig wirksam. Trotzdem scheinen bei der FSME immunologische Mechanismen zu wirken, die bisher nicht verstanden sind. Meist wird eine Immunantwort des Sekundärtyps gemessen. Dies bedeutet, dass das Immunsystem mit dem Impfstoff reagiert, trotzdem aber keinen Immunschutz aufbaut. Diese Mechanismen müssen weiter erforscht werden, um Grundlagen für die Entwicklung von Impfstoffen zu entwickeln, die diese Mechanismen umgehen.

Eine besondere Herausforderung in dieser Hinsicht resultiert aus der zunehmenden Zahl Immunsupprimierter (z. B. Patienten unter Corticoid-Therapie oder nach ­Organtransplantationen). Beobachtungen zeigen, dass diese Patienten besonders schwer an FSME erkranken – und das teilweise auch, wenn die Immunsuppression schon Monate oder Jahre zurückliegt. Hier müssen völlig neue Präventionskonzepte erarbeitet und auch in Empfehlungen eingearbeitet werden.

Keine spezifische Therapie

Zur Therapie von Flavivirus-Infektionen allgemein und der FSME im Speziellen gibt es bisher keine Möglichkeiten. Eine bestehende FSME-Erkrankung lässt sich damit medikamentös bis auf symptomatische Maßnahmen in ihrem Verlauf nicht beeinflussen. Auch eine post-expositionelle Prophylaxe der FSME, d. h. die Verhinderung einer klinisch manifesten Infektion nach Exposition, ist bisher nicht möglich. Die aktive Impfung kann nach erfolgter Infektion nicht mehr vor der Erkrankung schützen. Eine passive Immunisierung ist, nicht zuletzt wegen fehlender Wirksamkeit und dem Verdacht der Verursachung schwererer Verlaufsformen, seit vielen Jahren nicht mehr verfügbar.

Mutation und Invasion

Die Epidemiologie der FSME hält weiterhin Überraschungen bereit. Der kürzliche Erst-Nachweis von zwei neuen genetischen Subtypen (Baikalischer, Himalayischer) lässt vermuten, dass noch weitere neue, bisher nicht entdeckte Subtypen mit einer unbekannten Pathogenität für Menschen in der Natur zirkulieren. In den letzten Jahren wird eine deutliche Ausbreitung des FSME-Virus beobachtet. Der erstmalige Nachweis von FSME-Fällen und dem FSME-Virus in England und auch in Tunesien, also außerhalb Eurasiens, zeigen die invasive Tendenz der FSME deutlich auf. Diese Erkenntnisse müssen dann Eingang in die Diagnostik von ZNS-Infektionen in den jeweiligen Ländern finden. Es ist davon auszugehen, dass nach wie vor eine nicht unerhebliche Zahl von FSME-Fällen unentdeckt bleiben und das medizinische Problem der FSME deutlich unterschätzt ist.

Neue Risikogebiete durch Klimawandel?

Auch in den bekannten endemischen Gebieten wird eine Veränderung der FSME erkennbar. So wird das FSME-Virus zunehmend in größeren Höhenlagen gefunden. Dies kann als Hinweis gelten, dass für diese Veränderungen der Klimawandel mit verantwortlich ist. Plötzlich werden damit als bisher unbedenklich geltende Erholungsgebiete in den Bergen zu Hochrisikogebieten (z. B. im österreichischen Bundesland Tirol). Völlig unklar ist bisher, inwieweit u. a. die Erhöhung der Temperatur zu Änderungen im Virusgehalt der Zecken oder auch zu einer Intensivierung des Übertragungszyklus in der Natur führt. Die möglichen Auswirkungen höherer Virusmengen in Zecken oder einer insgesamt intensivierten Übertragung des FSME-Virus in der Natur auf den Menschen bleiben abzuwarten. Damit sind weitere Veränderungen im Auftreten und in der epidemiologischen Bedeutung beim Menschen zu erwarten.

Zukünftige Herausforderungen für die Wehrmedizin

Prävention für das Personal

Die Unkenntnis der exakten Verbreitung der FSME ist auch für militärische Einsätze eine Herausforderung. Auch wenn wir heute durch eine umfassende Impfung aller Soldatinnen und Soldaten im Einsatz versuchen, die FSME zu beherrschen, ist bisher nicht zweifelsfrei gezeigt worden, dass die verfügbaren Impfstoffe gegen alle zirkulierenden Virustypen schützen. Dies kann v. a. bei zunehmenden Übungen mit den ost- und südosteuropäischen Bündnispartnern und möglichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr von zunehmender Bedeutung werden. So sollten in allen Einsatz- und Übungsgebieten durch Untersuchungen in Zecken das Vorhandensein von FSME-Viren abgeklärt werden, auch wenn es hierzu bisher keine Informationen gibt.

Auch für die Truppe ist wichtig zu wissen, ob und wie gut die in Deutschland verfügbaren Impfstoffe gegen die in verschiedenen Ländern vorkommenden FSME-Virus­varianten und -Subtypen schützen. Von besonderer Bedeutung sind hier z. B. die in den baltischen Ländern vorkommenden genetischen Viruslinien des sibirischen und fernöstlichen Subtyps und die neu isolierten Sub­typen aus Asien (Baikalischer, Himalayischer) zu nennen. Die bisher ungeklärten Mechanismen des Versagens von FSME-Impfungen stellen natürlich auch die Wehrmedizin vor die Herausforderung, Soldaten mit nicht ausreichender Immunität zu erkennen und deren Risiko einer ­Exposition soweit als möglich zu minimieren.

Potenzial als Bio-Waffe

Der Wirkmechanismus der FSME-Impfung ist aber noch aus anderer Sicht von wehrmedizinischer Bedeutung. Die wenigen verfügbaren Daten zeigen, dass die FSME-Impfung bei einer Aufnahme des Virus durch Aerosol-Übertragung (direkter Eintritt über den Nervus olfactorius in das Gehirn) nicht wirksam ist, da durch die systemische Applikation des FSME-Impfstoffs vorwiegend systemische IgG-Antikörper und nur gering sekretorische IgA-Antikörper gebildet werden. Im Falle einer Verwendung des FSME-Virus als biologischer Kampfstoff in Aerosolform wären damit die geimpften Truppen wohl nicht geschützt. Hier sind ggf. moderne Impfstoffe und Impfkonzepte zu überlegen. Hier kann die FSME auch als Modellvirus für andere ZNS-Infektionen (z. B. Venezolanische Pferdeenzephalitis, ein Erreger des sog. „­Dirty Dozen“) dienen.

Literatur beim Verfasser

Manuskriptdaten

Zitierweise

Dobler G: Die FSME – eine durch Zecken übertragene Zoonose mit wehrhistorischer und wehrmedizinischer Bedeutung. WMM 2021; 65(8): 302-307

Verfasser:

Oberfeldarzt Prof. Dr. Gerhard Dobler

Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr

Neuherbergstr. 11, 80937 München

E-Mail: gerharddobler@bundeswehr.org