Wehrmedizinische Monatsschrift

CT-DIAGNOSTIK UND GENEXPRESSION

Mit Hochdurchsatz-Sequenzierverfahren zu neuen Einblicken in die Wirkung von CT-Untersuchungen auf die Zelle

Hanns Leonhard Kaatscha, Benjamin Valentin Beckerb, Stephan Waldeckb, Matthias Porta, Reinhard Ullmanna

aInstitut für Radiobiologie der Bundeswehr, München

bBundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VIII – Radiologie und Neuroradiologie

Hintergrund

Seit ihrer Einführung in den 1970er Jahren nimmt die Bedeutung der Computertomografie (CT) ständig zu. Allein im Zeitraum 2007 bis 2016 erhöhte sich in Deutschland die Zahl der CT-Untersuchungen um 45 % [1]. Konsequenz dieser Zunahme ist, dass CT-Untersuchungen mittlerweile mehr als 67 % der kollektiven Strahlenbelastung im Zusammenhang mit radiologischen Untersuchungen ausmachen [1] und dies, obwohl die Strahlenbelastung der einzelnen Untersuchung durch technische Weiterentwicklung und Optimierung der Protokolle kontinuierlich reduziert wurde und mittlerweile im Durchschnitt weniger als 6 mSv pro Untersuchung beträgt [5].

Angesichts dieser geringen Strahlenbelastung ist für den Einzelnen und die einzelne CT-Untersuchung nur ein geringes Risiko für Folgeschäden zu erwarten. Sie sind allerdings aufgrund der stochastischen Natur der Effekte nicht vollends ausschließbar und müssen in der allgemeinen Risikoabschätzung vor dem Hintergrund der großen Untersuchungszahlen berücksichtigt werden. Die Abschätzung des Risikos nach Exposition im Niedrigdosisbereich mittels epidemiologischer Ansätze ist jedoch schwierig. Zum Beispiel ist eine etwaige Erhöhung der Tumorhäufigkeit durch diagnostische Strahlenexposition vor dem Hintergrund der statistischen Schwankungsbreite der allgemeinen Tumorinzidenz in der Bevölkerung kaum nachweisbar. Man behilft sich deshalb mit statistischen Modellen, die – basierend auf dem bei höheren Dosen beobachtetem linearen Zusammenhang zwischen Strahlendosis und Tumorhäufigkeit – das Tumorrisiko bei niedrigen Dosen extrapolieren. Die Aussagekraft solcher statistischen Schätzungen ist nicht unumstritten. In wissenschaftlichen Kreisen wird sowohl das angenommene lineare Verhältnis zwischen Dosis und Tumorwahrscheinlichkeit im Niedrigdosisbereich diskutiert, wie auch die potenzielle Möglichkeit einer Minimaldosis, bei deren Unterschreiten es zu keinerlei Erhöhung des Tumorrisikos kommen könnte [2]. In Anbetracht dieser Unsicherheiten wird schnell klar, dass es für eine wissensbasierte Risikoabschätzung für CT-Untersuchungen ein besseres Verständnis der zellulären Reaktion auf Strahlung im Niedrigdosisbereich braucht.

Genexpressionsanalyse durch Hochdurchsatz­sequenzierung im Vergleich zu anderen Analyseverfahren

Trifft Strahlung auf den Körper, so reagiert die Zelle in Abhängigkeit zur Dosis mit der Aktivierung oder Inhibierung verschiedenster biologischer Prozesse, die Einfluss auf die Abläufe innerhalb der Zelle und die Kommunikation zwischen den Zellen nehmen. Die Zelle kann über diverse Signalkaskaden und Feedbackloopsaufgetretene Schäden erkennen und als Reaktion darauf beispielsweise DNA-Reparaturmechanismen aktivieren, Prozesse gegen oxidativen Stress intensivieren, den Zellzyklus beeinflussen oder im Falle umfangreicher und irreparabler Schäden den programmierten Zelltod initiieren.

Auf molekularer Ebene wird diese zelluläre Reaktion maßgeblich durch das An- oder Abschalten von Genen gesteuert, also dadurch bestimmt, in welchem Ausmaß bestimmte Teile der DNA-Erbinformation in RNA abgeschrieben werden oder nicht. Dieses Abschreiben von DNA in RNA wird Genexpression genannt. Die zentrale Rolle der Genexpression bei der Steuerung der zellulären Reaktion auf Strahlung macht sie zum idealen Untersuchungsobjekt, um einen gesamtheitlichen Einblick in die biologischen Folgen einer CT-Bestrahlung zu bekommen.

Die Wahl der optimalen Plattform für Genexpressionsanalysen hängt vom Ziel der Untersuchung ab. Für die retrospektive Dosisabschätzung etablieren sich zunehmend PCR-basierte Verfahren als Alternative oder Ergänzung zur klassischen Chromosomenanalyse. ­Dabei wird meist die Expression ausgesuchter Gene untersucht, welche sich in früheren Studien als reproduzierbare und dosisabhängige Marker einer Strahlungsexposition gezeigt hatten. PCR-basierte Verfahren sind schnell, vergleichsweise kostengünstig und mittlerweile, dank der immensen technologischen Weiterentwicklungen, skalierbar von der Untersuchung einzelner Probanden oder Gene bis hin zur gleichzeitigen Analyse von bis zu 12 000 Proben.

Nachteil der PCR-basierten Verfahren ist, dass sie durch die Beschränkung auf vorab festgelegte Gene die zelluläre Reaktion auf Strahlung nur aus der „Schlüssellochperspektive“ betrachten können, was das gesamtheitliche Erfassen der zugrundeliegenden komplexen biologischen Prozesse und auch die Identifikation neuer Markergene für die Weiterentwicklung und Optimierung von Diagnostiktests erschwert.

Für unsere Genexpressionsanalysen CT-bestrahlter Proben wählten wir deshalb eine andere Analyseplattform, die Hochdurchsatzsequenzierung. Anders als bei der klassischen Sanger Sequenzierung, bei der in einem Reaktionsgefäß ein einzelnes kurzes DNA-Fragment sequenziert wird, ermöglicht diese neue Technologie durch Miniaturisierung und Parallelisierung die gleichzeitige Sequenzierung mehrerer Millionen unterschiedlicher DNA-Fragmente.

Die auch als Next Generation Sequencing (NGS) bekannte Methodik und die am Markt verfügbaren Hochdurchsatzsequenziergeräte entwickeln sich kontinuierlich weiter. Mittlerweile gibt es verschiedene Geräte, welche das breite Anforderungsspektrum der unterschiedlichen Anwendungen und Zielsetzungen abdecken. Während manche Geräte besonders viele Sequenzfragmente (Reads) generieren können, schaffen andere besonders lange Reads oder sind sensitiv genug, um Einzelmoleküle ohne vorherige Vervielfältigung zu analysieren. Die im Rahmen der CT-Studie angewandte Genexpressionsanalyse profitiert von einer hohen Readzahl. Der am Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBio­Bw) genutzte NextSeq®500 der Firma Illumina ist mit ~400 Millionen Sequenzfragmenten pro Lauf für die hier vorgestellten Untersuchungen ideal geeignet.

Abb. 1: Die zu sequenzierende DNA wird zunächst fragmentiert und an jedes dieser Fragmente ein universeller Adapter ligiert. Dank unterschiedlicher Indices, eine Art Sequenz-Barcode, können mehrere Proben gleichzeitig analyisiert werden, in unserem Fall 12–16 Proben pro Sequenzierlauf. Die am häufigsten angewandte Strategie der Genexpressionsanalyse durch Hochdurchsatzsequenzierung beruht auf dem Umstand, dass die RNA hochexprimierter Gene in höheren Konzentrationen vorliegt und diese damit häufiger sequenziert werden als solche mit niedriger oder fehlender Expression. Ordnet man nach der Sequenzierung die einzelnen Sequenzfragmente den jeweiligen Genen zu und quantifiziert anschließend die Sequenzfragmente pro Gen, erhält man einen Überblick über die Expression aller Gene in einer Probe. Durch den Vergleich mit nicht bestrahlten, aber sonst identisch behandelten Proben, kann man dann die strahlungsbedingten Genexpressionsveränderungen herausfiltern.

CT-Bestrahlung induziert die Hochregulation strahlungsempfindlicher Gene

Die im Folgenden beschriebenen Untersuchungen zu den Auswirkungen einer CT-Untersuchung auf die Genexpression sind Teil einer engen wissenschaftlichen Kooperation zwischen der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) Koblenz und dem InstRadBioBw. In einer ersten Studie gingen wir der Frage nach, ob die bei üblichen CT-Untersuchungen applizierte Dosis ausreicht, um bestrahlte und nicht bestrahlte Zellen allein aufgrund ihrer Genexpressionsprofile unterscheiden zu können. Dazu wurde peripheres Blut dreier Probanden ex vivo gemäß einem Protokoll für Untersuchungen der Lendenwirbelsäule bestrahlt (Röhrenspannung 150 kV, Dosislängenprodukt 610 mGy cm-1, errechnete effektive Dosis 9,6 mSv). Auch wenn auf alle Gene bezogen sowohl 1 h als auch 6 h nach Bestrahlung unabhängig vom Bestrahlungsstatus die interindividuellen Unterschiede der drei Probanden die Genexpressionsprofile dominierten, fanden sich 3 Gene (AEN, FDXR und DDB2), die in den Blutzellen aller 3 Probanden 6 h nach CT-Exposition hochreguliert waren. Alle 3 Gene wurden bereits in der Literatur als strahlungsempfindliche Gene im Zusammenhang mit DNA-damage response und Zellzykluskontrolle diskutiert [4].

Einfluss des CT-Protokolls

In einer Folgestudie adressierten wir die Frage, welchen Einfluss das verwendete CT-Protokoll und die damit verbundenen unterschiedlichen Photonenspektren auf die Genexpression haben. Unser besonderes Interesse galt hier dem Dual-Energy-CT. Diese moderne Variante der CT-Diagnostik macht sich die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften hoch- und niedrigenergetischer Photonen zunutze, welche durch Kombination unterschiedlicher Röhrenspannungen entstehen. Die dadurch erreichte verbesserte Auflösung unterschiedlicher Gewebe hat das Anwendungsspektrum der CT-Diagnostik zusätzlich erweitert. Doch resultiert aus den unterschiedlichen Photonenspektren auch eine unterschiedliche biologische Effektivität, die bei der Nutzen-Risiko Analyse berücksichtigt werden muss?

Wieder bestrahlten wir ex vivo peripheres Blut dreier Probanden. Dieses Mal mit Dual-Energy-CT (80 kV/Sn150 kV) und Single-Energy-CT mit 80 kV bzw. 150 kV. Der Vergleich der Genexpressionsprofile der bestrahlten Proben untereinander und mit den nicht bestrahlten Kontrollen konnte keine signifikanten Genexpressionsunterschiede zwischen den unterschiedlichen CT-Protokollen nachweisen. Gleichwohl fanden wir 5 Gene, welche unabhängig vom CT-Protokoll in allen 3 Probanden als Folge der CT-Exposition hochreguliert wurden. Darunter waren die auch bereits in der ersten Untersuchung aufgefallenen Gene AEN, FDXR und DDB2, was deren Bedeutung als möglicher Biomarker einer Niedrigdosisbestrahlung bekräftigt [3].

Abb. 2: Einlegen der Flowcell in den Hochdurchsatzsequenzierer
In dieser Flowcell findet die gleichzeitige Sequenzierung von bis zu 400 Millionen DNA-Fragmenten statt.

In vivo Untersuchungen

Unsere bisherigen Untersuchungen nutzten ex vivo bestrahltes peripheres Blut als Modellsystem. Diese Versuchsdurchführung ermöglicht im Vergleich zu in vivo Untersuchungen eine verbesserte Kontrollierbarkeit vieler Untersuchungsparameter, geht aber gleichzeitig mit dem Risiko einher, dass komplexe interzelluläre Interaktionen nicht in vollem Maße abgebildet und relevante biologische Prozesse nicht erkannt werden. Deswegen überprüfen wir in einer derzeit laufenden Studie, ob sich unsere durch ex vivo Bestrahlung ermittelten Ergebnisse auch in vivo reproduzieren lassen.

Schlussfolgerungen

Die Auswirkungen von CT-Untersuchungen auf die Genexpression sind relativ gering. Dennoch erinnert die CT-induzierte Hochregulation von Genen mit einer Rolle in DNA-Reparatur und Zellzykluskontrolle daran, dass CT-Untersuchungen trotz ständig reduzierter Strahlenbelastung ein genotoxischer Stressor bleiben.

Literatur

  1. Bundesamt für Strahlenschutz: Röntgendiagnostik: Häufigkeit und Strahlenexposition. , letzter Aufruf 19. Juli 2021. mehr lesen
  2. Doss M: Are We Approaching the End of the LNT Model Era? Journal of Nuclear Medicine 2018; 59(129): 1786-1793. mehr lesen
  3. Kaatsch HL, Becker BV, Schüle S et al.: Gene expression changes and DNA damage after ex vivo exposure of peripheral blood cells to various CT photon spectra. Sci Rep 2021; 11(1): 12060. mehr lesen
  4. Kaatsch HL, Majewski M, Schrock G et al.: CT Irradiation-induced Changes of Gene Expression within Peripheral Blood Cells. Health Phys 2020; 119(1): 44-51. mehr lesen
  5. Schegerer A, Nagel HD, Stamm G, Adam G, Brix G: Current CT practice in Germany: Results and implications of a nationwide survey. Eur J Radiol 2017; 90: 114-128. mehr lesen

Für die Verfasser

Regierungsdirektor Priv.-Doz. Dr. Reinhard Ullmann

Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München

Neuherbergstr. 11, 80937 München

E-Mail: reinhard1ullmann@bundeswehr.org