IM FOKUS: NICHT-IONISIERENDE STRAHLUNG
Untersuchungen zur biologischen Wirkung von elektromagnetischen Feldern – ein neuer Forschungszweig am Institut für Radiobiologie
Andreas Lamkowskia, Carl Friedrich Rädelc, Lars Ole Fichteb, Marcus Stiemerb, Robert Hollanb, Michael Abenda, Alexis Rumpa, Matthias Porta
a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München
b Professur für Theoretische Elektrotechnik der Helmut Schmidt Universität/Universität der Bundeswehr, Hamburg
c Labor für Hochfrequenztechnik der Helmut Schmidt Universität/Universität der Bundeswehr, Hamburg
Einleitung
Elektromagnetische Felder gehören in einer technisierten Welt zu den häufigsten zivilisatorischen Expositionen. Schlagworte wie „Handystrahlung“, die Diskussion rund um 5G-Mobilfunk oder die Errichtung und der Betrieb von Sendemasten wird in der Gesellschaft breit diskutiert. Dabei muss die Sorge der Bürger ernstgenommen werden, und die Beurteilung möglicher medizinischer Effekte ist nur mit Kenntnis um deren Wirkungen in biologischen Systemen zuverlässig möglich. Der Gesetzgeber hat weitumspannende Regelungen mit Grenzwertdefinitionen zum Schutz der Allgemeinbevölkerung sowie Festlegungen von unteren und oberen Auslösewerten für den Arbeitsschutz über den Frequenzbereich von 0–300 GHz erlassen. Bei Einhaltung der Grenzwerte wird aufgrund einer sehr guten experimentellen Datenbasis von gesundheitlicher Unbedenklichkeit der EMF-Exposition ausgegangen. Dennoch finden sich in der Literatur zahlreiche Studien, welche grenzwertkonforme elektromagnetische Feldstärken untersuchten und dabei fragliche EMF-induzierte Effekte gemessen haben, welche am ehesten der nicht-thermischen Wirkkomponente von Hochfrequenzwellen zugeordnet werden können. Ob diese nicht-thermischen biologischen Effekte insbesondere im Hinblick auf EMF-Konfigurationen aus wehrtechnischen Anwendungen tatsächlich existieren oder durch systematische Fehler in der Versuchsdurchführung entstanden sind, ist einer der Schwerpunkte der EMF-Arbeitsgruppe am InstRadBioBw.
Ein zweiter Aspekt betrifft die unbeabsichtigte Überexposition gegenüber EMF mit grenzwertüberschreitenden Feldstärken, welche Wartungstechniker und andere Anwender großer EMF-Quellen bei Gerätefehlbedienungen betreffen können. Die stetige Weiterentwicklung von wehrtechnischen Anwendungen erzeugt außerdem neue EMF-Konfigurationen, deren Eigenschaften sich nicht sicher aus Erkenntnissen von Vorarbeiten zu anderen EMF extrapolieren lassen. Daher gebietet es die Fürsorgepflicht, unter präventiven Aspekten Wissen zu generieren, welches eine gesundheitliche Einschätzung potenzieller Risiken der spezifischen EMF erlaubt, die im Verantwortungsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung angewendet werden. Gleichermaßen kann das Wissen aus diesem Forschungsfeld auch für die retrospektive Bewertung in möglichen Verfahren zur Ermittlung von Wehrdienstbeschädigungen bedeutsam sein.
Das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw) ist als Ressortforschungsinstitut der Bundeswehr im Rahmen eines seiner Forschungskorridore in der Untersuchung biologischer Effekte von elektromagnetischen Feldern (EMF) engagiert.
Methoden
Die Untersuchung von biologischen Effekten elektromagnetischer Felder ist eine interdisziplinäre Herausforderung, da in entsprechende experimentelle Untersuchungen sowohl technisch-physikalische Expertise als auch medizinische und biologische Kompetenz mit einfließen müssen. So existieren keine kommerziell verfügbaren Expositionssysteme für eine Befeldung von biologischen Zellkulturen unter standardisierten Bedingungen, weshalb technische Konstruktionsschritte den eigentlichen Expositionsversuchen mit biologischen Zellen vorausgehen müssen. Das InstRadBioBw arbeitet in Kooperationen eng mit der Professur für Theoretische Elektrotechnik (TET) der Helmut Schmidt Universität (HSU)/Universität der Bundeswehr Hamburg zusammen. Im Folgenden soll skizziert werden, welche Methoden im Forschungsfeld angewendet werden.
Aufbau einer geeigneten Befeldungs-Apparatur
Die EMF-Befeldung muss spezifisch auf den Frequenzbereich und die geforderte Feldstärke der Exposition abgestimmt werden. Unsere Kooperationspartner von der Professur TET der HSU bauten eine voll funktionsfähige Modenverwirbelungskammer nebst Monitoring-Systemen, welche in Zellinkubatoren integriert werden kann (Abbildung 1). Die Kammer ist dabei ein Vollschutzgerät und kann die darin erzeugten EMF vollständig abschirmen. Innerhalb der Kammer wird eine geeignete Antenne, hier z. B. eine Kegelantenne, eingebaut, welche hochfrequente EMF in Frequenzbänder des einstelligen GHz-Bereichs abstrahlen kann. An der Kammerdecke befindet sich ein rotierender EMF-Reflektor („Stirrer“), welcher durch einen Schrittmotor in regelmäßige Rotation versetzt wird und somit eine gleichmäßige Verteilung der EMF innerhalb der Kammer über die Zeit sicherstellt. Die EMF werden außerhalb der Kammer durch einen Signalgenerator erzeugt und im Anschluss mittels eines Verstärkers amplifiziert sowie kabelgeleitet in die Kammer zur Antenne geführt. Die Belüftung wird durch zwei gegenüberliegende Lüftungsschlitze realisiert und mittels aktiver Ventilatoren zusätzlich einstellbar unterstützt. In der Kammer befindet sich eine Feldsonde zur Echtzeit-Messung der elektrischen Feldstärke. Außerdem wird eine Temperaturmessung innerhalb und außerhalb der Kammer über ein Lichtwellenleiter-gebundenes System realisiert.
Abb. 1: Modenverwirbelungskammer (glänzendes Metall) in einem Zellkulturinkubator: Stirrer, Lüftung, EMF-Einkopplung sowie elektrische Feldstärke- und Temperaturmessung werden automatisiert gesteuert. Der Programmcode wird für jede Versuchsdurchführung individuell angepasst.
Zusätzlich nutzt InstRadBioBw sogenannte TEM (Transverse Electromagnetic)-Zellen zur Exposition, denn die darin erzeugten Wellenfronten sind Ebenen, die senkrecht zur Ausbreitungsrichtung auf die Zellkulturen auftreffen, wodurch von der Modenverwirbelungskammer divergierende Leistungsabsorptionen in den biologischen Proben erzielt werden können. Daher lassen sich gemessene Effekte in einer anderen Befeldungssituation bei gleichen Frequenzen und Feldstärkeparametern validieren. Neben der Betrachtung der EMF zur räumlichen Energietransmission sollen zukünftig auch galvanische Einkopplungen untersucht werden, bei denen ein direkter Stromfluss durch biologisches Gewebe generiert wird. Hierfür entwickeln die Kooperationspartner an der HSU eine Platteneinsatzapparatur (Abbildung 2).
Abb. 2: Elektrodeneinsatz zur elektrischen Stromkopplung für Zellkulturen in einer 12-Well-Platte: Das Verfahren erlaubt die modellhafte Untersuchung der molekularbiologischen Stressantwort und Kompensation nach elektrischen Unfällen sowie den Vergleich zur Wirkung von Verschiebeströmen nach niederfrequenten EMF-Einkopplungen.
Simulationen geeigneter Zellkulturcontainer
Während der Befeldung erfolgt das Wachstum bzw. der Erhalt der biologischen Zellen im Zellkulturcontainer. Je nach zu untersuchender EMF-Exposition können diese eine homogene Einkopplung des Feldes erheblich stören und zu unbeabsichtigten Leistungsspitzenabsorptionen (Hotspots) führen, wodurch Zellen in bestimmten Arealen stärker exponiert würden. Daher führen wir umfangreiche computerbasierte Simulationen der mit Medium befüllten Zellkulturcontainer im Vorlauf zu den eigentlichen Experimenten durch. In der Abbildung 3 ist exemplarisch die Simulation einer fehlerhaften Exposition dargestellt, welche ohne diese theoretische Vorbetrachtung nicht aufgefallen wäre und möglicherweise falsch-positive Ergebnisse generiert hätte.
Abb. 3: Die Simulation stellt eine Wärmeenergiedeposition in einem Zellkulturcontainer (hier T25-Flasche) dar. Höhere Wärmeleistungen verschieben sich in der Farbcodierung in einen rötlichen Farbton, während niedrige Leistungen einen höheren Blauanteil aufweisen. Die Expositionsparameter müssen so variiert werden, dass die hier dargestellten Inhomogenitäten im Experiment vermieden werden. (Simulation erstellt mit CST STUDIO SUITE® 2020)
Temperaturmessungen und Monitoring von Verdunstungsverlusten
Da hochfrequente EMF-Wellen durch Orientierungspolarisation von Dipolmolekülen in der Zellkultur überwiegend Wärmeenergie deponieren, entsteht ein Temperaturanstieg, der bereits allein eine biologische Stressreaktion triggern kann. Das Temperaturmonitoring der Proben unter Befeldung ist daher eine wesentliche unverzichtbare Kontrollgröße und wird durch hochempfindliche optische Sonden sowie Wärmebildkameras gewährleistet. Temperaturanstiege werden in der Kontrolle durch eine externe Wärmezufuhr ohne EMF-Befeldung nachgebildet. Aus den Temperaturdaten können die Partner der HSU eine Rekonstruktion der spezifischen Absorptionsrate (SAR) vornehmen, also der Leistung, die im Körper aufgenommen und in Wärmeenergie umgewandelt wird. Hierdurch wird die Exposition präziser beschrieben und biologische Ergebnisse können zu den Grenzwerten in Bezug gesetzt werden.
Untersuchung der exponierten Zellkulturen durch molekularbiologische Assays
Die verwendeten biologischen Methoden zur Auswertung der befeldeten Zellen umfassen diverse Assays zur Darstellung von Zellwachstum und Zelltod. Neben den klassischen radiobiologischen Verfahren werden moderne und sehr empfindliche Untersuchungsmethoden wie „Next Generation Sequencing“, verschiedene Varianten der „quantitativen Real-time Polymerase Chain Reaction“ (qRT-PCR), Microarrays und auch Proteinexpressionen mittels „Enzyme-linked Immunosorbent Assay“(ELISA) untersucht.
Ergebnisse und Ausblick
Unsere bisherigen Arbeiten zur Messung von nicht-thermischen EMF-Effekten zeigten keine frühzeitigen und signifikanten Veränderungen von Zellwachstum (Abbildung 4), Zelltod oder der Genexpression in Blutzellen nach EMF-Expositionen innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte bzw. bei deren geringgradigen Überschreitung. Unter diesen Bedingungen konnten bei EMF-exponierten Blutzellen weder signifikant deregulierte proteincodierende mRNAs noch long-non-coding RNAs über Validierungsversuche reproduzierbar nachgewiesen werden [1]. Ebenso zeigte ein Screening auf 667 Mikro-RNAs, wodurch auch ein Teil der posttranskriptionalen Steuerung der Genexpression abgebildet wurde, keine Hinweise einer 900 MHz-induzierten nicht-thermischen Wirkung [2]. Da das Genom mit seiner Genexpression als übergeordnete zelluläre Steuerungsebene fungiert, wären potenzielle nicht-thermische biologische Reaktionsmuster als Stressantwort auf die EMF-Energiezufuhr am ehesten auf dieser Ebene zu detektieren.
Abb. 4: Die Graphen zeigen die Proliferation (BrdU-Assay) von U251 Zellen zu den Zeitpunkten 72, 96, 120 h nach Dauerbefeldung mit gepulsten 3 GHz EMF (Pulsbreite 30 ms, Pulspause 530 ms). Die mittleren Energieeinträge der vorherigen Exposition überschritten die gesetzlichen Grenzwerte nicht, während die elektrische Feldstärke 50mal höher war als bei einer kontinuierlichen Sinuswelle mit gleichem Energieeintrag. Es zeigten sich zu den gleichen Zeitpunkten keine signifikanten Unterschiede der Proliferation ohne Befeldung (SHAM) und nach Exposition gegenüber 3 GHz-EMF. Der rechte Balken stellt die Positivkontrolle nach 8 Gy-Strahlenexposition mit erwartungsgemäßem Abfall der Proliferation dar.
In folgenden Arbeiten planen wir die Betrachtung von Langzeiteffekten der EMF. Diesbezüglich soll zukünftig auch die Untersuchung von gepulsten Feldern mit hohen Feldstärke-Amplituden im Vordergrund stehen, da diese von diversen militärischen EMF-Quellen (z. B. verschiedene RADAR-Systeme etc.) emittiert werden.
Außerdem werden Experimente zur Überexposition im Rahmen eines EMF-Unfallszenarios durchgeführt. Hierfür erfolgt eine in vitro Betrachtung verschiedener Zelltypen, welche in Zielvolumina potenzieller Hotspots vorkommen können. In Abbildung 5 ist ein Proteininteraktionsnetzwerk nullter Ordnung dargestellt, welches den tatsächlich gemessenen deregulierten, korrespondierenden Genen in peripheren Blutzellen unter Exposition zugrunde liegt. Die Blutzellen wurden vor Vermessung der Genexpression im Rahmen einer experimentellen Hotspotsimulation von 37°C Körpertemperatur auf 40°C erhitzt. Es zeigt sich dabei eine thermische Stressreaktion, welche im Wesentlichen über Hitzeschockproteine als „Keyplayer“ vermittelt werden. Die Untersuchung der Gen- und Proteinexpressionen unter EMF-Expositionen in den thermisch-relevanten Bereichen verbessern das Verständnis über die zellulären Mechanismen zur Stabilisierung der Homöostase und Schadensantwort bei EMF-Überexpositionen nach Unfallszenarien. Außerdem können die existierenden Grenzwerte vom Standpunkt der Überexposition neu bewertet werden.
Abb. 5: Simulation eines Protein-Interaktionsnetzwerkes basierend auf differenziellen Expressionen von Protein-codierenden Genen in peripheren Blutzellen nach Temperaturanstieg auf 40°C im Vergleich zur Kontrolle unter der physiologischen Körperkerntemperatur von 37°C. Die Farbcodierung und Größe demonstriert, wie viele potenzielle Interaktionspartner das jeweilige Protein haben kann. Proteine, dargestellt als große, rot-gefärbte Punkte, spielen eine „zentrale Rolle“ in diesem Netzwerk). Aus den Netzwerkanalysen lassen sich Hypothesen für die stattfindenden biologischen Prozesse ableiten. (Simulation erstellt mit NetworkAnalyst [3]).
Literatur
- Lamkowski A, Kreitlow M, Radunz J et al.: Gene Expression Analysis in Human Peripheral Blood Cells after 900 MHz RF-EMF Short-Term Exposure. Radiat Res 2018; 189(5): 529-540. mehr lesen
- Lamkowski A , Kreitlow M, Radunz J et al.: Post-transcriptional miRNA expression changes in human peripheral blood cells following 900 MHz RF-EMF short-term exposure. Sci Rep 2021; 11: 4444. mehr lesen
- Xia J, Gill E, Hancock REW: NetworkAnalyst for Statistical, Visual and Network-based Approaches for Meta-analysis of Expression Data. Nature Protocols 2015; 10: 823–844. mehr lesen
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Andreas Lamkowski
Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstr. 11, 80937 München
E-Mail: andreaslamkowski@bundeswehr.org