Wehrmedizinische Monatsschrift

MEDIZINISCHER A-SCHUTZ

Medizinischer A-Schutz am Bundeswehrkrankenhaus Ulm – vorhandene Fähigkeiten und Fähigkeitslücken

Michael Grunerta, Matthias Portb, Helmut Birkenmaierc, Burkhard Klemenza

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung XV – Nuklearmedizin

b Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München

c Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik X – Anästhesie, Intensiv-, Notfallmedizin und Schmerztherapie

Einleitung und Hintergrund

Nach dem virtuellen, fächer- und dienststellen-übergreifenden Workshop zum Medizinischen A-Schutz im November 2020 [1]wurden Ende April 2021 am Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm im Rahmen eines Vororttermins die aktuell vorhandenen infrastrukturellen, materiellen und personellen Fähigkeiten gesichtet und bewertet sowie Fähigkeitslücken dokumentiert. Grundlagen für Diskussion und Bewertung waren die Vorgaben des Fähigkeitsprofils „Gesundheitsversorgung der Bundeswehr 2031+“ (FPGesVersBw 2031+) und die aktuellen Gegebenheiten in der Notfallversorgung einer großen Zentralen Interdisziplinären Notfallaufnahme (ZINA) bei der Versorgung von radiologisch-nuklear (RN)-exponierten Soldaten in militärischen Konflikten, bei der Versorgung von Strahlenunfall-Patienten nach einem terroristischen Anschlag („dirty bomb“) oder bei einem zivilen Unfallszenario.

Der Teilnehmerkreis war der gleiche wie beim virtuellen Treffen im November 2020. Diese kamen aus dem Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw) unter der Leitung von Oberstarzt Prof. Dr. Port, aus der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfallmedizin und Schmerztherapie (AINS) unter der Leitung von Oberstarzt Dr. Birkenmaier und der Abteilung Nuklearmedizin unter der Leitung von Oberstarzt Dr. Klemenz.

Bei der Bewertung wurden bei den entdeckten Fähigkeitslücken aufgezeigt, welche kurz,- mittel- bzw. langfristigen Maßnahmen ergriffen werden müssten, um diese zu schließen. Die Ergebnisse sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Patientenwege und Infrastruktur

Wegeleitsystem

In einem RN-Szenario ist ein strukturierter Ablauf im Patientenmanagement von besonderer Bedeutung: In der Regel folgt bei nicht-vital bedrohten Patienten nach der RN-Detektion die Dekontamination und erst dann die medizinische Versorgung.

Im Mittelpunkt der Erörterungen und Diskussionen stand das Wegeleitsystem für RN-kontaminierte Notfall-Patienten zur und in der ZINA. Die bereits etablierten Zugänge zur ZINA im BwKrhs Ulm können für gehfähige und liegend transportierte bzw. Schockraum-Patienten mit einfachen Maßnahmen auch für RN-Szenare angepasst werden; so ist ein Kreisverkehr vorhanden und die räumliche Trennung von kontaminierten und nicht-kontaminierten Patienten gewährleistet.

Ausschlaggebend für die notfallmedizinische Versorgung ist, ob bzw. wie gut das BwKrhs Ulm auf ein RN-Szenario vorbereitet ist und wie viele leicht- oder schwerverletzte, potenziell kontaminierte Patienten behandelt werden müssen.

Abb. 1: Blick aus der Registratur über die geöffnete Schleuse in die erdversenkte Anlage; rechts folgt der Dekontaminationsbereich.

Detektion

Um die Kontamination von Personal und Material unter allen Umständen zu vermeiden (Eigenschutz), müssen alle Patienten vor dem Betreten des BwKrhs bzw. der ZINA auf eine RN-Kontamination getestet werden (Detektion) und ggf. dekontaminiert werden.

Kurzfristig können hierfür der ZINA zwei mobile ­Kontaminationsmonitore aus der Nuklearmedizin zur­ ­Verfügung gestellt werden. Mit diesen einfach zu bedienenden Geräten kann zuverlässig eine RN-Konta­mination bestätigt oder ausgeschlossen werden, eine genaue Lokalisation am Patienten ist möglich und ebenfalls die sofortige Kontrolle nach Dekontaminationsmaßnahmen.

Zur genauen Identifizierung der Radionuklide von kontaminierten Patienten wurde bereits ein tragbares Gammaspektrometer (Identifinder®) beschafft und im III. Quartal 2021 in Betrieb genommen. Mit dem Identifinder® können radioaktive Substanzen exakt bestimmt und bei Hinweisen auf Inkorporation mit spezifischen Antidoten behandelt werden, so dass die medizinische Versorgung und Therapie beschleunigt und verbessert werden kann.

Für eine permanente Kontaminationsüberwachung aller Patienten der ZINA soll mittelfristig ein Portalmonitor beschafft werden, dessen hochsensitive Detektoren von jedem gehfähigen Patienten passiert werden müssen und der rasch ab- und andernorts wiederaufgebaut werden kann (Flexibilität).

Dekontamination

Die Dekontamination von gehfähigen Patienten soll zunächst in der beheizbaren Rettungswache/Fahrzeughalle stattfinden. Diese Patienten erreichen selbständig die ZINA über die Hauptpforte des BwKrhs und die Straße zur Rettungswache/Fahrzeughalle.

Hier könnten kurzfristig zwei mobile VLEP (vorgeschobener leichter Entstrahlungs-, Entseuchungs- und Entgiftungsplatz) aufgebaut werden. Grundsätzlich wäre zu überlegen, weiteres relevantes bundeswehreigenes Material im BwKrhs vorzuhalten, das für die Realversorgung von Patienten genutzt werden kann (z. B. Strahlenspür- und Verstrahlungsmessgerät 2, SVG2).

Mittelfristig sollen die VLEP durch eine mobile, fahrzeug-gestützte multifunktionale Einheit unterstützt werden. Diese Einheit kann bei Bedarf in benachbarten Kliniken des zivilen Gesundheitswesens eingesetzt werden (Univ. Klinik Ulm, Rehabilitationsklinikum Ulm/RKU). Der zivile Rettungsdienst arbeitet schon heute eng mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zusammen, u. a. im Rahmen von Großeinsatz- und Katastrophenlagen und wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einem RN-Szenar gezielt auf die Fähigkeiten des BwKrhs Ulm zurückgreifen.

Langfristig ist ein Neubau für die Aufnahme von CBRN-Verletzten mit zwei separaten Patientenboxen vor der Notaufnahme/Rettungswache geplant und eine interdisziplinäre Station mit 10 Dekorporationsbetten, separaten Ein-/Ausgängen, Schleusensystem, Abklinganlage und Eingriffsräumen in räumlicher Nähe zur Nuklearmedizin (FPGesVersBw 2031).

Im BwKrhs Ulm befinden sich zwei große separate Dekontaminationstrakte mit Operations- und Pflege-Sälen in der erdversenkten Anlage (4. Untergeschoss, siehe Abbildungen 1–3). Sie wurden in den 1980er Jahren im „Kalten Krieg“ eingerichtet und können im Kreisverkehr angefahren werden. Diese nach Kenntnis der Autoren deutschlandweit nur im BwKrhs Ulm vorhandene ­Infrastruktur könnte nach entsprechender Ertüchtigung reaktiviert und wieder genutzt werden (siehe Tabelle 1).

Tab. 1: Überlegungen zu einer 3-Phasen-Planung von Dekontaminationsmaßnahmen im Medizinischen A-Schutz am BwKrhs Ulm

Abb. 2: Dekontaminationsduschen für gehfähige RN-exponierte Soldaten bzw. Patienten

Abb. 3: Operationssaal in der erdversenkten Anlage

Medizinische Notfallversorgung

Nicht vital bedrohte Patienten können nach der Dekontamination in den großräumigen Not-Eingriffsräumen in der ZINA diagnostisch und therapeutisch versorgt werden.

Bei vitaler Bedrohung wird der kontaminierte Patient – möglichst nach einer Notdekontamination bzw. Entkleiden oder Abdecken und erneuter Kontrollmessung (außerhalb der ZINA) – in den Schockraum der ZINA gebracht. Bei akuter Lebensgefahr ist eine sofortige Stabilisierung des polytraumatisierten Patienten noch vor der Dekontamination unabdingbar. Auch im Schockraum muss durch Abdecken/Abkleben von Kontaktflächen eine Kontamination vermieden werden. Im Schockraum ist eine vollumfängliche Diagnostik möglich. Zur zeitnahen Diagnostik eines akuten Strahlensyndroms (ARS), z. B. nach massiver externer Bestrahlung, ist die sofortige Analyse des Blutbildes im Notfalllabor möglich und innerhalb von 20 min verfügbar. Die möglichst schnelle Blutbildbestimmung ist ein entscheidender Faktor für das weitere Management von ARS-Patienten in der Klinik.

Eigenschutz des Personals

Im Schockraum ist eine große Anzahl von medizinischem Fachpersonal direkt und z.T. mit Berührungskontakt am polytraumatisierten Patienten tätig; umso wichtiger ist bei potenziell RN-Kontaminierten der Eigenschutz des Klinikpersonal.

Hierzu wurden interdisziplinär folgende Vorgehensweisen abgestimmt:

In Anlehnung an die „100-Mann-Dosen“ des InstRad­BioBw ist die Beschaffung von Antidoten zur gezielten Therapie von Radionuklid-Inkorporationen eingeleitet worden.

Qualifizierung des Personals

Qualifiziertes, d. h. ausgebildetes und in Übung gehaltenes Personal, ist auch in einem RN-Szenar eine elementare Voraussetzung, um die Kernkriterien Detektion, Dekontamination, medizinische Notfallversorgung mit dem o. g. Material optimal abzubilden.

Ausbildung und Personalansatz für den Medizinischen A-Schutz

Eine gezielte und strukturierte Ausbildung mit krankenhausspezifischen Inhalten des Medizinischen A-Schutzes erfolgt zurzeit nicht in ausreichendem Umfang. ­Diese Fähigkeitslücke soll kurz- bis mittelfristig geschlossen werden. Im Vorfeld der geplanten Übung/Simulation (November 2021) soll im III. Quartal 2021 in Ulm ein Multiplikatorentraining des ZINA-Personals durch Spezialisten des InstRadBioBw stattfinden. Dafür werden Fragen des ZINA-Personals, u. a. zu den Themen Detektion/Behandlung und Schutz bei ionisierender Strahlung, Inkorporation und akute und chronische Strahlenfolgen sowie Risikobetrachtungen gesammelt und dem ­InstRadBioBw zur Verfügung gestellt. Auf Grundlage des Multiplikatoren-Training sollen Videoschulungen erstellt ­werden, um dieses Expertenwissen für das krankenhausinterne Personal der ZINA und aller beteiligten ­Kliniken und Abteilungen dauerhaft zur Verfügung zu stellen.

Neben dem Einsatz der o.g. „Springer“ im Schockraum ist bei einer RN-Lage mit höherem Patientenaufkommen zur Unterstützung bei der Detektion und Dekontamination Ergänzungspersonal notwendig. Für diese personelle Unterstützung kommt das nur 7 km entfernt stationierte Sanitätsregiment 3 in Betracht, wo u. a. eine landgebundene Patientendekontaminationseinrichtung mit qualifiziertem Bedienpersonal vorgehalten wird. Die Regimentsführung (Oberstarzt Dr. I. Weisel) begrüßt eine solche Kooperation. Durch gemeinsame Ausbildungen/Übungen werden so Synergien zwischen dem BwKrhs Ulm und dem Sanitätsregiment 3 geschaffen, die ganz erheblich zu einem vertieften Verständnis der medizinischen Versorgung von ABC-Geschädigten beitragen können. Insgesamt stellen engere Couleur-Beziehungen mit der Truppe die krankenhaus-internen Abläufe in einem RN-Szenar auf eine stabile und planbare Grundlage [2].

Mittel- und langfristig ist – abhängig von den Anforderungen, die an den Sanitätsdienst und das BwKrhs Ulm gestellt werden – allerding eigenes ausgebildetes Personal mit den entsprechenden Kompetenzen im Medizinischen A-Schutz notwendig und sollte im Personalschlüssel mit hinterlegt sein (wie im FPGesVersBw 2031 für die Dekorporationsbetten).

Fazit und Ausblick

Das BwKrhs Ulm ist in der präklinischen Rettungsmedizin und der klinischen Medizin als Krankenhaus der Maximalversorgung im regionalen Umfeld sehr gut aufgestellt. Fähigkeiten zur adäquaten Patientenversorgung in einem RN-Szenar sind teilweise vorhanden. Die erkannten Fähigkeitslücken können mit verschiedenen Maßnahmen geschlossen werden. Neben den kurzfristigen Möglichkeiten innerhalb des BwKrhs Ulm müssten aber auch die mittel- und langfristigen Maßnahmen schon jetzt eingeleitet werden.

Neben den im Umfeld des BwKrhs Ulm ansässigen Partnern ist für die überregionale Planung auch die Abteilung F der Sanitätsakademie der Bundeswehr mit dem Beauftragten des Inspekteurs des Sanitätsdienstes für den medizinischen ABC-Schutz der Bundeswehr, Oberstarzt Schmidt, eingebunden. Das Ziel, die Versorgung von ABC-Patienten mittel- und langfristig deutlich zu verbessern, um durch medizinische Versorgung auf höchstem Niveau den Bedrohungen durch ABC-Kampfmittel für unsere Soldatinnen und Soldaten besser gerecht zu werden, scheint erreichbar.

Das bisher verfolgte Konzept einer dienststellenübergreifenden Herangehensweise hat sich hervorragend bewährt, deshalb sollte diese Kooperation intensiviert werden.

Nächste Schritte

Als nächstes ist im IV. Quartal 2021 eine Übung/Simulation am BwKrhs Ulm geplant. Diese hat zum Ziel

  1. potenzielle Schnittstellenprobleme zwischen Präklinik und Klinik zu erfassen,
  2. das beteiligte Personal in der Bedienung von Detektions- und Dekontaminationsmitteln praktisch zu schulen,
  3. das IST/SOLL von Personal und Material am BwKrhs Ulm in einem RN-Szenar unter Berücksichtigung der Strahlenexposition und von Kombinationsverletzungen zu beurteilen und
  4. auf diesen Grundlagen in Abstimmung aller beteiligten Dienststellen (einschl. SanAkBw Abt F MedABCSch) ein klinik- und dienststellenübergreifendes Konzeptpapier für Bundeswehrkrankenhäuser zu erarbeiten

Literatur

  1. Grunert M, Port M, Birkenmaier H, Klemenz B: Wie gelangen Strahlenopfer ohne Eigen- und Fremdgefährdung ins Krankenhaus? Workshop Medizinischer A-Schutz am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Rettungskette Role 2-4). WMM 2021; 65(6): 248–251. mehr lesen
  2. Weller N: Perspektiven für den Sanitätsdienst – Gedanken zur Zukunft der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr. WMM 2021; 65(7): S2-S15. mehr lesen

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Michael Grunert

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Klinik für Nuklearmedizin

Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm

E-Mail: michaelgrunert@bundeswehr.org