Wehrmedizinische Monatsschrift

Optimierungs- und Anreizmöglichkeiten für Gesundheitsverhalten und individuelle Einsatzfähigkeit

Optimisation and Incentive Options for Health Behaviour and Individual Operational Readiness

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Kristina Küpera, Sarah Schramma, Alexander Witzkia, Dieter Leyka,b

a Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach

b Deutsche Sporthochschule Köln, Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie, Köln

 

Hintergrund

Menschliches Gesundheitsverhalten scheint häufig nicht rational zu sein: Obwohl die Vorteile eines gesunden Lebensstils hinlänglich bekannt sind, erreicht beispielsweise nur etwa ein Drittel der EU-Bevölkerung die von der WHO empfohlenen 150 min mäßig anstrengender Ausdaueraktivität pro Woche [10]. Neben körperlicher Inaktivität sind auch übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen und ungesunde Ernährungsgewohnheiten in der Bevölkerung weit verbreitet [16]. Negative Folgen dieses ungesunden Lebensstils sind eine Verminderung der Leistungsfähigkeit, die verstärkte Neigung zu Übergewicht und Adipositas sowie ein erhöhtes Risiko für diverse nicht übertragbare Erkrankungen, wie Herzkreislauferkrankungen, Diabetes Typ II und bestimmte Krebsarten [1][13].

Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung hat auch Konsequenzen für die Bundeswehr: Die Ergebnisse der im 1. Januar 2019 eingeführten „Allgemeinen Verwendungsfähigkeitsuntersuchung auf Individuelle Grundfertigkeiten“ (AVU-IGF) zeigen, dass ein erheblicher Teil der Soldatinnen und Soldaten bereits ab dem mittleren Lebensalter so große gesundheitliche Probleme hat, dass sie nicht an der jährlichen Überprüfung von soldatischen Grundfertigkeiten und körperlicher Fitness teilnehmen können [11]. Von den 40- bis 49-jährigen Soldatinnen und Soldaten sind es nur etwa 75 %, in der Altersgruppe der über 50-Jährigen sogar weniger als 40 %, die eine ausreichende gesundheitliche Eignung besitzen.

Soldaten und Soldatinnen sind zum Dienstsport verpflichtet [2]. Zusätzlich stehen allen Bundeswehrangehörigen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements umfangreiche Gesundheitsförderungsangebote zur ­Verfügung, die Lebensstiländerungen anstoßen bzw. unterstützen sollen. Dazu gehören beispielsweise Ernährungs- und Bewegungsangebote, Rauchentwöhnungsseminare oder Stressbewältigungskurse. Die aktuellen AVU-IGF-Ergebnisse verdeutlichen allerdings, dass diese bereits bestehenden verhaltenspräventiven Maßnahmen, insbesondere vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, nicht ausreichend sind.

Verhaltensökonomischer Ansatz

Auch außerhalb der Bundeswehr sind verhaltenspräventive Maßnahmen häufig deswegen nicht effektiv, weil sie zu wenig genutzt werden und die eigentliche Zielgruppe nicht erreichen [6]. Menschen mit einem ungesunden Lebensstil nehmen Präventionsangebote nur selten in Anspruch [12], obwohl sie am stärksten davon profitieren können [3]. Hinzu kommt, dass es oft nicht an der Veränderungsbereitschaft mangelt, sondern am Durchhaltevermögen: Für die meisten Menschen ist es schwierig, das eigene Gesundheitsverhalten dauerhaft zu verändern. Ursächlich dafür sind Gewohnheiten, Entscheidungsheuristiken und Wahrnehmungsverzerrungen, die u. a. Forschungsgegenstand der Verhaltensökonomie sind. Die Verhaltensökonomie kombiniert Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie miteinander, um Systematiken in augenscheinlich irrationalem Verhalten zu identifizieren.

Eine Kernthese der Verhaltensökonomie ist es, dass Menschen Entscheidungen nicht allein aufgrund rationaler Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen, sondern auf der Grundlage der geschätzten Auftretenswahrscheinlichkeit von Ereignissen [9]. Dabei bevorzugen sie sichere Gewinne und vermeiden sichere Verluste. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Lebensstiländerungen so schwierig umzusetzen sind: Sie bedeuten den sicheren sofortigen Verlust vertrauter, aber ungesunder Lebensgewohnheiten im Austausch für einen lediglich möglichen zukünftigen Gewinn von Gesundheit und zusätzlichen Lebensjahren (siehe Abbildung 1).

Anreizprogramme

Um dieses Ungleichgewicht („unsicherer Gewinn“ versus „sicherer Verlust“) auszugleichen, werden im Bereich der Verhaltensprävention zunehmend Anreize genutzt. Durch Anreize werden Lebensstiländerungen mit einem sicheren sofortigen Gewinn verknüpft und so erleichtert (siehe Abbildung 1). Ein Beispiel sind die Bonuspro­gramme der gesetzlichen Krankenkassen, die den ­Versicherten Sachprämien, Gutscheine oder Beitragsrückerstattungen als Anreize für die Teilnahme an verhaltenspräventiven Angeboten, wie z. B. Sportkursen, in Aussicht stellen. Diese Bonusprogramme sind wirksam: Wer Bonuspunkte sammelt, nutzt häufiger verhaltenspräventive Angebote und verursacht in der Folge auch deutlich weniger Krankheitskosten [7][15].

Abb. 1: Nach Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie sind nachhaltige Lebensstiländerungen deshalb so schwierig umzusetzen, weil sie menschlichen Entscheidungspräferenzen entgegenlaufen: Ein unsicherer zukünftiger Gewinn kompensiert nicht den sicheren und sofortigen Verlust vertrauter Gewohnheiten. Anreize sind effektiv, weil durch sie Lebensstiländerungen mit einem unmittelbaren sicheren Gewinn verknüpft werden.

Auch die Bundeswehr nutzt bereits Anreize in Form von Ehrenzeichen und Zulagen, die z. B. bei erschwerten Dienstbedingungen oder für besondere Leistungen vergeben werden. Bisher gibt es allerdings kein Anreizprogramm, das den Fokus auf Gesundheitsverhalten und Einsatzfähigkeit legt. Anhand einer selektiven Literaturrecherche hat das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) geprüft, inwieweit Anreize zur Verbesserung der individuellen Einsatzfähigkeit innerhalb der Bundeswehr geeignet sind. Insbesondere ging es um die Ermittlung von Schwachpunkten bestehender Anreizsysteme, um diese bei der Konzeption eines potentiellen bundeswehreigenen Anreizkonzepts zur Einsatzfähigkeit umgehen zu können.

Die Bonusprogramme der gesetzlichen Krankenkassen sind zwar effektiv, zeigen aber auch Mitnahmeeffekte [8]. Das heißt, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer z.T. ohnehin schon gesundheitsbewusst sind und sich im Rahmen der Bonusprogramme lediglich für etwas belohnen lassen, was sie ohnehin getan hätten. Solche Mitnahmeeffekte unterstreichen die Bedeutung einer zielgruppengerechten Gestaltung für die Effektivität von Anreizsystemen. Für den militärischen Kontext bedeutet dies z. B., dass bei der Auswahl möglicher Anreizoptionen unterschiedliche soldatische Motivationstypen berücksichtigt werden müssen. Bestehende Möglichkeiten in der Bundeswehr als Anreize nutzen:

  1. Soziale Anerkennung (Ehrenzeichen, Laufbahnvorteile etc.),
  2. Zeitausgleich (z. B. Sonderurlaub) oder
  3. materielle Vorteile (Zulagen, Sachpreise etc.).

Da sich Dienstgradgruppen beispielsweise hinsichtlich ihrer Bedürfnisorientierung unterscheiden [4], wird auch die Effektivität dieser Anreizoptionen in den verschiedenen Dienstgradgruppen unterschiedlich ausgeprägt sein.

Etablierung von Normen

Anreize können intrinsische Motivation nicht ersetzen. Deswegen bleiben die mit ihrer Hilfe erreichten Verhaltensänderungen teilweise auch nur bis zum Wegfall der Anreize bestehen [14]. Anreize sollten deshalb vornehmlich genutzt werden, um Verhaltensänderungen anzustoßen. Zur Verstetigung dieser Verhaltensänderungen, z. B. im Sinne der Etablierung gesünderer Lebensgewohnheiten, sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Insbesondere Ankereffekte können hier hilfreich sein, also die Tatsache, dass Menschen sich in ihrem Verhalten stark durch Referenzwerte beeinflussen lassen [5]. Solche Referenzwerte können beispielsweise soziale Normen sein: Verhalten, das der sozialen Norm entspricht, wird deutlich häufiger gezeigt. Für die Verstetigung eines gesunden Lebensstils ist es deshalb hilfreich, wenn dieser als Norm im unmittelbaren sozialen Umfeld der Zielgruppe etabliert wird.

Einsatzfähigkeit als soldatische Norm

Um eine nachhaltige Steigerung der individuellen Einsatzfähigkeit zu erreichen, sollte dementsprechend das Prinzip der Einsatzfähigkeit innerhalb der Bundeswehr stärker als soldatische Norm verankert werden. In einem entsprechenden Anreizsystem kommt deshalb der Anreizoption (1) „soziale Anerkennung“ ein besonderer Stellenwert zu, da Ehrenzeichen und Laufbahnvorteile als Ankerpunkte zur Festigung der soldatischen Norm „Einsatzfähigkeit“ fungieren können. Neben diesen Anreizen für Soldaten und Soldatinnen sollten zusätzlich analoge Anreize auf der übergeordneten Ebene der Dienststellenleitungen (z. B. Dienstellen-Gütesiegel) gesetzt werden, um nachhaltige Veränderungen sowohl auf der Personal- als auch auf der Führungsebene zu erreichen.

Abb. 2: Voraussetzungen für ein effektives bundeswehreigenes Anreizsystem zur Verbesserung von Gesundheitsverhalten und individueller Einsatzfähigkeit sind die zielgruppengerechte Gestaltung von Anreizoptionen, die parallele Umsetzung von Verstetigungsmaßnahmen sowie die Einbindung von Personal- und Führungsebene.

Fazit

Als Fazit lässt sich festhalten, dass Anreizsysteme auch innerhalb der Bundeswehr zur Verbesserung von Gesundheitsverhalten und individueller Einsatzfähigkeit genutzt werden können. Voraussetzungen für ein effektives Anreizkonzept (siehe Abbildung 2) sind allerdings eine

Literatur

  1. Bull FC, Armstrong TP, Dixon T et al.: Physical inactivity (Chapter 10). In: Ezzati M, Lopez AD, Rodgers A, Murray Christopher J. L. (Hrsg.): Comparative quantification of heatlh risks. Global and regional burden of disease attributable to selected major risk factors. Geneva: World Health Organization 2004; 729–881. mehr lesen
  2. Bundesministerium der Verteidigung: Zentralvorschift A1-224/0-1: Sport und Körperliche Leistungsfähigkeit. BMVg 2017.
  3. Crespin DJ, Abraham JM, Rothman AJ: The effect of participation in an incentive-based wellness program on self-reported exercise. Prev Med 2016; 82: 92-98. mehr lesen
  4. Elbe M: Motivation und Karriereorientierung von Soldatinnen und Soldaten: Dienstgradgruppen im Vergleich: eine Analyse auf Grundlage der Personalbefragung 2016 (Forschungsbericht Nummer 121, Projektnummer 7130-01). Potsdam: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. mehr lesen
  5. Jacowitz KE, Kahneman D: Measures of anchoring in estimation tasks. Pers Soc Psychol Bull 1995; 21(11): 1161-1166. mehr lesen
  6. Jordan S, Lippe E von der: Angebote der Prävention – Wer nimmt teil? GBE Kompakt 2012; 3(5): 1-9. mehr lesen
  7. Jordan S, Lippe E von der, Hagen C: Verhaltenspräventive Maßnahmen zur Ernährung, Bewegung und Entspannung. In: Robert Koch Institut (Hrsg.): Daten und Fakten: Ergebnisse der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell 2009. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: Robert Koch Institut 2011; 23-34. mehr lesen
  8. Jordan S, Lippe E von der, Starker A, Hoebel J, Franke A: Einflussfaktoren für die Teilnahme an Bonusprogrammen der gesetzlichen Krankenversicherung. Ergebnisse der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“. Gesundheitswesen 2015; 77(11): 861-868. mehr lesen
  9. Kahneman D, Tversky A: Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica 1979; 47(2): 263. mehr lesen
  10. Lange C, Finger JD: Gesundheitsverhalten in Europa – Vergleich ausgewählter Indikatoren für Deutschland und die Europäische Union. Journal of Health Monitoring 2017; 2(2): 1-20. mehr lesen
  11. Leyk D: Problem „Individuelle Einsatzfähigkeit“: Fakten und Optionen. WMM 2021; 65(3-4): 122-126. mehr lesen
  12. Leyk D, Rohde U, Hartmann ND et al.: Ergebnisse einer betrieblichen Gesundheitskampagne: Wie viel kann man erreichen? Dtsch Ärztebl 2014; 111(18): 320-327. mehr lesen
  13. Leyk D, Rüther T, Witzki A et al.: Körperliche Leistung, Gewichtsstatus, Raucherquote und Sporthäufigkeit von jungen Erwachsenen. Dtsch Ärztebl 2012; 109(44): 737-745. mehr lesen
  14. Mantzari E, Vogt F, Shemilt I et al.: Personal financial incentives for changing habitual health-related behaviors: A systematic review and meta-analysis. Prev Med 2015; 75: 75-85. mehr lesen
  15. Stock S, Schmidt H, Büscher G et al.: Financial incentives in the German Statutory Health Insurance: new findings, new questions. Health policy (Amsterdam, Netherlands) 2010; 96(1): 51-56. mehr lesen
  16. World Health Organization (Hrsg.): Noncommunicable diseases country profiles 2018. Geneva: World Health Organization. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Dr. Kristina Küper

Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr

Fachbereich A1 – Angewandte Gesundheitsförderung

Andernacher Str. 100, 56070 Koblenz

E-Mail: kristinakueper@bundeswehr.org