Wehrmedizinische Monatsschrift

GEDANKEN ZUM JAHRESENDE

Abschlussappell des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan

Bericht und offene Gedanken an unsere
Kameradinnen und Kameraden des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

Liebe Kameradinnen, liebe Kameraden,

es wäre schlichtweg falsch zu schreiben, dass wir als Vertreter des Sanitätsdienstes beim zentralen Abschlussappell des Afghanistaneinsatzes mit leichtem Herzen angereist wären. War doch das Ziel, die Stabilisierung des Staates Afghanistan auf dem Weg in eine bessere, vielleicht sogar demokratische Zukunft zu begleiten, wenige Wochen vor dem Appell augenscheinlich verloren gegangen. Waren doch die Presse und sozialen Medien über das plötzliche Ende des Einsatzes mit all seinen Folgen wie ein „gefühltes Desaster“ auch auf die Bundeswehr eingeprasselt.

Es war wohl eine Mischung aus Trotz und der Zuversicht, einige Kameraden aus den Einsätzen nach Langem wiederzusehen, einem vielleicht versteckten Stolz auf die eigene Zeit in diesem Land und das Pflichtbewusstsein denjenigen gegenüber, die nicht mehr selbst kommen konnten, die einen auf den Weg nach Berlin führte. Nicht wenige hatten eine Veranstaltung erwartet, die ohne echten Tiefgang ein paar nette Worte, politisch opportun und im schlimmsten Fall Schönfärberei beinhalten würde. Vielleicht ergab sich aber die Möglichkeit, nach Dienst eine Berliner Currywurst mit den Kameraden zu essen oder so. Damit hätte die Reise doch auch etwas Gutes gehabt – so oder so ähnlich war wohl bei vielen die Ausgangslage.

Schon im ersten Gespräch mit den Kameraden in Berlin zeigte sich: Keiner von uns beneidete die Redenschreiber der Verteidigungsministerin und des Bundespräsidenten um ihre Aufgabe bei der Vorbereitung der Texte für diesen Tag – einen Tag, der sich immer mehr in den politischen Fokus der gesamten Republik vorarbeitete und damit 20 Jahre Einsatz, Pflichtbewusstsein und treue Auftragserfüllung der Bundeswehr gegenüber ihrem Land in eine angemessene öffentliche Beachtung rückte.

Wie würdig dieser Tag von allen Beteiligten empfunden wurde, war vorher nicht abzusehen.

Die Abordnung des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr vor dem Appell

Eine nüchterne Betrachtung der Ereignisse fällt im Nachhinein schwer und, für sich allein genommen, durchaus beindruckend aus.

Zunächst stand für uns aber das Treffen mit den Kameraden im Vordergrund, welches zeigte, dass man erlebte und gelebte Kameradschaft auch nach 10 oder mehr Jahren nicht vergisst und sie uns über Jahre hinaus verbindet. Über alle Dienstgrade hinweg wurden Erfahrungen ausgetauscht und natürlich auch Einsatzanekdoten erzählt. Man traf sich wieder und erzählte über die schönen, aber auch über die traurigen Tage in unseren Erinnerungen und aus einem Einsatz, der die Angehörigen der Bundeswehr über annähernd eine Generation mehr geprägt hatte als jeder andere.

Der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin und der Generalinspekteur der Bundeswehr beim Abschreiten der Front

Als in sich geschlossene Abordnung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr konnten wir mit den anderen Abordnungen gemeinsam auf den Appellplatz im Bendlerblock marschieren und mit Recht stolz den Sanitätsdienst und das, wofür er bei diesem Einsatz gestanden hat, repräsentieren. Und wir wurden überrascht. Bei diesem Appell konnte bei aller Skepsis und trotz sicherlich vieler offener und noch zu klärender Fragen zum Einsatz an sich die Berliner Politik den Soldaten eines vermitteln:

„Heute geht es nicht um die Beantwortung politischer Fragen, heute geht es um die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr – um die Veteranen des Afghanistaneinsatzes“.

Nach den ersten Minuten der Rede der Ministerin wurde uns bewusst, dass es sich hier um eine ganz andere Art der Veranstaltung handelte, als wir das erwartet hatten. Die Rede der Ministerin war aufrichtig und sehr ehrlich , angemessen berührend, ohne zu tief Emotionalität zu bemühen. Sie fand die Worte, die es in ihrer Aufrichtigkeit in den vergangen 20 Jahren häufiger gebraucht hätte. Wir fühlten uns tatsächlich direkt angesprochen und unseren Dienst in Afghanistan wirklich wertgeschätzt. Da war wenig von politischem Taktieren, wenig von „wie könnte das Gesagte in den Medien dargestellt werden“ zu spüren. Um es kurz zu machen: Es waren ehrliche und für uns sehr versöhnliche und berührende Worte, wie wir sie den Vorgängern und Vorgängerinnen „unserer Ministerin“ in der Vergangenheit vielleicht nicht abgenommen hätten.

Die Ansprachen des Bundespräsidenten und der Verteidigungsministerin trafen unsere Gefühlswelt viel besser als erwartet, bei einigen sogar sehr tief. Die Auflistung der Orte in Afghanistan und Deutschland, die eng mit den Einsätzen verbunden waren, wird wohl jedem in Erinnerung bleiben und das Versprechen des Bundespräsidenten in seinem letzten Satz

„Sie sind ihrem Land verpflichtet und ihr Land ist ihnen verpflichtet. Diese Abmachung muss gelten, und sie gilt.“

Um sie ging es in Berlin: Veteranen des Afghanistan-Einsatzes

klingt ebenfalls nach und bleibt in unseren Köpfen und in unseren Herzen. Alle Soldaten werden sehr sorgsam darauf achten, dass es erfüllt wird.

Und wie wichtig wären diese Worte für alle Kameraden bereits schon früher gewesen. Wir alle haben auch an diejenigen gedacht, die die Bundeswehr am Ende ihrer Dienstzeit verlassen haben, ohne diese Anerkennung zu erhalten, die uns während dieses Appells zuteilwurde. Insbesondere dachten wir eben auch an die Kameraden, die nicht an diesem Appell teilnehmen konnten, weil sie nicht das Privileg hatten, zu unserer Abordnung zu gehören oder nicht mehr lebend aus Afghanistan heimgekehrt sind.

Der Empfang durch den Bundestagspräsidenten im Paul-Löbe-Haus im Anschluss an den Appell machte den Tag überdies auch für diesen Anteil zu einem sehr besonderen Tag in unserer Dienstzeit. Hierbei handelte es sich nicht um eine Alibiveranstaltung, wie man sie schon so oft zu Appellen oder anderen öffentlichen Veranstaltungen erlebt hatte. Es waren alle Spitzenvertreter des Parlamentes, aller Fraktionen anwesend und unsere Anwesenheit war nicht Mittel zum Zweck, sondern die Veranstaltung war unserem Dienst in Afghanistan gewidmet, die Aufmerksamkeit war aufrichtig und das Interesse war ehrlich.

Die höchsten Verfassungsorgane unseres Landes und die Verteidigungsministerin würdigten mit Ihrer Teilnahme am großen Zapfenstreich die Soldatinnen und Soldaten des Afghanistaneinsatzes

Den großen Zapfenstreich vor dem Deutschen Reichstag kann man – die sozialen Medien und ihr oftmals extra „falsch verstehen wollen“ mal außen vorgelassen – nur als das „Sahnehäubchen“ eines insgesamt sehr beeindruckenden Tages bezeichnen. Der große Zapfenstreich ist an sich bereits ein sehr würdevolles und intensives Erlebnis. Vor der Kulisse des Reichstages, dem Sitz unseres Parlamentes, welches den Einsatz der Bundeswehr überhaupt erst legitimiert, war er ein symbolhaft unvergleichliches und unvergessliches Erlebnis. Den großen Zapfenstreich in Anwesenheit aller Verfassungsorgane, der Parteispitzen und unserer Verteidigungsministerin sowie unseres Generalinspekteurs stellvertretend für alle Veteranen des Afghanistaneinsatzes an zwei im Feldanzug gekleidete Soldaten zu richten, war eine großartige Idee und Geste und würdigte den Anlass angemessen.

Es ist manchmal so wenig, das einem den Glauben in die politische Führung zurückgeben kann, wenn diese erst einmal ins Wanken geraten ist. Uneingeschränkte Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind der richtige Weg dafür. Und das liegt nicht daran, dass Soldaten nach Anerkennung suchen, wie ein auch bei diesem Anlass anwesender ehemaliger Verteidigungsminister unterstellte. Einfach ehrlich und aufrichtig „Danke sagen“, gegebenenfalls Fehler der Politik eingestehen und versprechen, daraus zu lernen, das ist es, worauf es uns ankommt.

Unser Antrieb, diese Zeilen zu schreiben war es, alle Kameradinnen und Kameraden an diesem besonderen Ereignis teilhaben zu lassen – an einem Ereignis, an dem leider nicht jeder teilnehmen konnte und das für jeden Einzelnen unserer Abordnung so tief beeindruckend und bewegend war.

Erstmals in der Geschichte wurde der Zapfenstreich nicht für eine Person, sondern für alle Veteranen des Afghanistaneinsatzes abgehalten. Stellvertretend für diese hatten Oberfeldarzt Katharina Siegl und Oberstabsfeldwebel Jens Burdinski die Ehrenplätze eingenommen.

Und auch wenn es vielleicht zu pathetisch klingen sollte … und der Leitspruch auch nur geliehen ist: Den Abschluss bildete ein Bier in der Hand, von unseren Spießen gesponsert, und ein Toast, den wir wohl alle immer noch unterschreiben würden. An diesem Tag vielleicht noch ein wenig sicherer als am Tag zuvor:

„Jederzeit – Weltweit.“

Für die Abordnung des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr beim Abschlussappell des Afghanistaneinsatzes am 13. Oktober 2021 in Berlin

Generalarzt Dr. Johannes Backus

Oberstarzt Dr. Stefan Göbbels

Kommando ­Sanitätsdienst der Bundeswehr

Oberstabsfeldwebel Michael Peilstöcker­

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg