Wehrmedizinische Monatsschrift

Neues Screeningverfahren zur Analyse von Lebensmitteln auf eine mögliche Sabotage mit Antikoagulantien (Vortrags-Abstract)

Benedikt Masberga1, Georg Menachera, Paul W. Elsinghorsta

1 Der Autor war im Rahmen seines Studiums der Wirtschaftschemie Praktikant beim ZInstSanBw München

a Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München

 

Einleitung

Anschlagsszenarien auf die Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung von Soldatinnen und Soldaten sind heutzutage glücklicherweise eine Seltenheit. Dennoch stellte eine Forschungsgruppe im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes fest, dass eine mutwillige Kontamination der Lebensmittelversorgung durch die Routine­kontrollen in der Lebensmittelsicherheit (Food Safety) nicht entdeckt werden würden [3].

Daher arbeitet auch das Zentrale Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZInstSanBw) München an neuen Analysemethoden zum Nachweis von Giften, die für Anschläge auf die Lebensmittelversorgung der Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland eingesetzt werden könnten („Food Defense“[4]). Neben bekannten, doch häufig schwer verfügbaren Kampfstoffen wie Acetylcholinesterase-Hemmern kommen insbesondere Rodentizide (Rattengifte, indirekte Antikoagulantien) als mögliche Agenzien für solche Anschläge infrage. Die Tücke dieser Substanzen liegt im Gegensatz zu chemischen Kampfstoffen nicht in einer unmittelbar toxischen Wirkung, sondern in der Kombination aus leichter Verfügbarkeit, zeitlich verzögerter Wirkung, einfachem Handling und dennoch ausreichender Potenz, um Menschen großen Schaden zuzufügen [1].

Indirekte Antikoagulantien aus der Klasse der 4-Hydroxy­coumarine und 1,3-Indandione (Abbildung 1) hemmen die Rückgewinnung von Vitamin K, das essenziell für die Blutgerinnung ist. Unentdeckte Vergiftungen führen nach einigen Tagen zu inneren Blutungen und können tödlich enden. Die Geruchs- und Geschmacksneutralität der Substanzen trägt dazu bei, dass Vergiftungen mit diesen Substanzen meist lange unerkannt bleiben.

Um die Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland effektiv vor solchen Szenarien zu schützen, wurde ein Untersuchungsverfahren entwickelt, das ein einfaches Screening auf potenziell schädliche Antikoagulantien auch im Auslandseinsatz ermöglicht.

Abb. 1: Strukturformeln zweier repräsentativer Antikoagulantien; oben: Brodifacoum (4-Hydroxycoumarin-Derivat); unten: Diphacinon (1,3-Indandion-Derivat)

Methoden

Zunächst wurde ein relevantes Untersuchungsspektrum festgelegt, indem in der wissenschaftlichen Literatur, dem Internet und Patentschriften nach bekannten Antikoagulantien gesucht wurde. Insgesamt konnten 16 Antikoagulantien identifiziert werden, die sich für Anschläge auf die Lebensmittelversorgung besonders eignen. Das Untersuchungsspektrum schließt dabei hochpotente Rodentizide wie Brodifacoum und Bromadiolon, aber auch marktverfügbare Arzneistoffe wie Phenprocoumon oder Acenocoumarol ein, die nicht-staatlichen Akteuren ebenfalls zugänglich sein können.

Anschließend wurde ein hochleistungsflüssigkeitschromatographisches (HPLC) Verfahren entwickelt, das auch im Auslandseinsatz durch den Labortrupp Lebensmittelchemie angewendet werden kann. Erste Versuche, etablierte Verfahren aus der Forensik auf Lebensmittel zu übertragen, schlugen fehl, weshalb das Verfahren von Grund auf neu entwickelt wurde.

Im Ergebnis wurde eine chromatographische Trennung mittels reversed phased HPLC an einer Biphenyl-Phase mit anschließender UV-Absorptions- und Fluoreszenzdetektion erzielt (Abbildung 2). Dabei wurde das Verfahren der Ionenpaarchromatographie angewendet, welches die Analyse saurer Analyten ohne störende Fluoreszenzlöschung erlaubt. So können die im Untersuchungsspektrum erhaltenen 4-Hydroxycoumarinderivate wesentlich empfindlicher mit einem Fluoreszenzdetektor nachgewiesen werden.

Abb. 2: UV-Vis- und Fluoreszenzchromatogramm eines 1 µg/ml Standardmixes aller 16 Analyten in Acetonitril; nachträgliche Korrektur durch Abzug einer Blindprobe
Methode: Fließmittel A: Wasser + 10 mM Essigsäure/Diisopropylethylamin; Fließmittel B: Methanol + 10 mM Essigsäure/Diisopropylethylamin; Injektionsvolumen: 20 µl; Säule: Kinetex Biphenyl 150 mm * 4,6 mm, 2,7 µm; Flussrate: 0,7 ml/min; Gradient: Start 48% B, 10 min 78% B, 25 min 98% B, 30 min 48% B, Laufzeit: 30 min

Zur einfachen Extraktion wurde auf sogenannte ­QuEChERS 1 -Mixe zurückgegriffen, die bereits erfolgreich Anwendung in der Pestizidanalytik finden. Diese vereinfachen die Aufarbeitung der Proben erheblich und reduzieren die Gesamtanalysenzeit einer Probe auf rund 1,5 h. Das so entwickelte Screeningverfahren wurde abschließend nach gängigen Verfahren der Lebensmittelanalytik validiert [5].

Ergebnisse

Im Praxistest am Beispiel eines mit einem Rattenköder kontaminierten Mehls konnte das entwickelte Screeningverfahren Brodifacoum eindeutig identifizieren und quantifizieren. Die ermittelten 0,005% Brodifacoum im verwendeten Köder stimmen mit den Herstellerangaben käuflicher Köder überein. Andere Matrixbestandteile aus dem Köder störten die Analyse nicht.

In der Gesamtschau sind die Nachweis- und Bestimmungsgrenzen (Tabelle 1) aller 16 Analyten ausreichend, um toxikologisch relevante Konzentrationen aller Analyten sicher zu bestimmen. Beispielsweise kann Brodifacoum bis zu einer Konzentration von 3,0 µg/kg nachgewiesen werden, wobei akute Gesundheitsschäden erst ab einer Menge von 100 µg 2 Brodifacoum zu erwarten sind. Bei einer durchschnittlichen täglichen Aufnahmemenge von etwa 350 g Mehl bzw. Backwaren [2], müsste das kontaminierte Mehl eine Konzentration von 300 µg/kg Brodifacoum aufweisen. Eine solche Konzentration kann das entwickelte Verfahren, das noch rund 100-mal sensitiver ist, mühelos erkennen.

Tab. 1: Nachweisgrenzen (NG in µg/kg), Bestimmungsgrenzen (BG in µg/kg) und Wiederfindungen (WF in%) aller 16 Analyten

Fazit

Das entwickelte Analyseverfahren ermöglicht es, auch im Einsatz, eine potenzielle Sabotage von Lebensmitteln mit Antikoagulantien vorbeugend aufzudecken. So trägt es dazu bei, die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zu schützen. Denn bliebe ein derartiger Anschlag unerkannt, wäre die Durchhaltefähigkeit des Einsatzverbandes akut gefährdet. Auch die Moral zunächst nicht betroffener Soldatinnen und Soldaten wäre in einem solchen Szenario stark geschwächt.

Entwicklung und Anwendung der Methode waren dabei im Vergleich zu ihrem Nutzen mit wenig Arbeitsaufwand verbunden. Es empfiehlt sich, weitere Untersuchungsmethoden nach diesem Vorbild für andere potenziell gefährliche Substanzen zu entwickeln und routinemäßig anzuwenden.

Literatur

  1. Feinstein DL, Akpa BS, Ayee MA et al.: The emerging threat of superwarfarins: history, detection, mechanisms, and countermeasures. Ann N Y Acad Sci 2016; (1374/1): 111-122. mehr lesen
  2. Max Rubner-Institut: Nationale Verzehrstudie II - Ergebnisbericht Teil 2. Max-Rubner-Institut 2008; , letzter Aufruf 3. Oktober 2008. mehr lesen
  3. Pedersen B, Gorzkowska-Sobas AA, Gerevini M et al.: Protecting our food Can standard food safety analysis detect adulteration of food products with selected chemical agents?. Trends in Analytical Chemistry 2016; (85): 42-46. mehr lesen
  4. Taise S: Food Defense Sabotage der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung als neue Bedrohung für die Bundeswehr?. WMM 2018; 62(4): 90-96. mehr lesen
  5. Wenzl T, Haedrich J, Schaectele A, Robouch P, Stroka J (Eds): Guidance Document on the Estimation of LOD and LOQ for Measurements in the Field of Contaminants in Feed and Food. Publications Office of the European Union 2016; , letzter Aufruf 3. Oktober 2021. mehr lesen

 

Danksagung

Das Verfahren wurde im Rahmen meiner Bachelorarbeit (Chemie) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bei einem Praktikum am ZInstSanBw München entwickelt. Ich danke Herrn Oberfeldapotheker Priv.-Doz. Dr. Elsinghorst und Herrn Oberstabsapotheker Dr. Menacher für die sowohl während des Praktikums als auch danach gewährte fachliche Beratung und Unterstützung.

Manuskriptdaten

Zitierweise

Masberg B, Menacher G, Elsinghorst PW: Neues Screeningverfahren zur Analyse von Lebensmitteln auf eine mögliche Sabotage mit Antikoagulantien (Vortrags-Abstract). WMM 2021; 65(11): S19-S21.

Für die Verfasser

Benedikt Masberg, B.Sc.

Florastraße 13, 40217 Düsseldorf

E-Mail: benedikt.masberg@outlook.com

Vortrag beim Wettbewerb um den Heinz-Gerngroß-Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 15. Oktober 2021 in Koblenz


1 QuEChERS = quick, easy, cheap, efficient, rugged, safe (schnell, einfach, günstig, effizient, robust, sicher): Etabliertes Extraktionsverfahren, benannt nach den positiven Eigenschaften im Hinblick auf bisherige Methoden

2 Berechnet aus der LD50oral (Ratte, 0,16 mg/kg KG, Pesticide Manual 1991) unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors von 100 für inter- und intraspezifische Unterschiede sowie der Annahme einer 80 kg schweren Person.