Wehrmedizinische Monatsschrift

Dienstlich orientierte Rehabilitation nach Amputation am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (Poster-Abstract)

Philipp Georg Schnadthorsta, Christoph Schulzea, b, Andreas Lisona

a Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Warendorf

b Orthopädische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Rostock

 

Einleitung

Die strategische Ausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung und die dabei zu berücksichtigenden Verwundetenzahlen erfordern neben der notwendigen Abstützung auf das zivile Gesundheitssystem den Aufbau einer rehabilitativen Eigenkompetenz. Durch die Verbesserung des Körperschutzes, werden verstümmelnde Verletzungen der Extremitäten durch IEDs (improvised explosive device) häufiger überlebt [7]. Exemplarisch verloren 6 % der im Irak verwundeten US-Soldaten eine Extremität, was einer Verdoppelung der Amputationsrate im Vergleich zu früheren Kriegen entspricht [7]. Der medizinischen Rehabilitation von insbesondere durch Waffenwirkung verursachten Amputationsverletzungen der oberen und unteren Extremitäten kommt aufgrund der lebenslangen Folgen für die Betroffenen eine besondere Bedeutung zu [7].

Fallbeschreibungen

Fall 1: Osseointegrierte Prothese

Ein 29-jähriger Mannschaftssoldat erlitt nach einem Motoradunfall eine Femurschaftfraktur beidseits, eine distale Fibula- und Tibiafraktur rechts sowie eine Verletzung der Arteria femoralis links, sodass eine transfemurale Amputation vorgenommen werden musste. ­Wegen einer erlittenen Peroneusläsion sowie Belastungsarthralgie bei posttraumatischer Sprunggelenksarthrose rechts resultierte eine komplexe Einschränkung der Gehfähigkeit. Am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) erfolgten über einen Zeitraum von zwei Jahren im Rahmen von vier dienstlich orientierten Rehabilitationsmaßnahmen die Endversorgung des Patienten mit einer schaftgeführten Prothese sowie ein systematisches Passteil- und ADL-Training. Aufgrund der Entstehung einer schmerzhaften Exostose und der verletzungsbedingten Belastbarkeitsminderung der Gegenseite konnte der hohe funktionelle Anspruch des Patienten allerdings nicht erfüllt werden.

Nach ausführlicher interdisziplinärer Beratung und Aufklärung entschied sich der Soldat für eine osseointegrierte Prothese, welche in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Berlin zweizeitig implantiert wurde. Um eine bruchfreie Rehabilitation zu gewährleisten, wurde der Rehabilitationsprozess im Vorfeld unter Einbeziehung des Patienten zwischen beiden Einrichtungen terminlich und inhaltlich abgestimmt. Die anschließende Rehabilitation erfolgte mehrstufig in vier teilstationären Maßnahmen innerhalb von zwei Jahren (siehe Abbildungen 1 und 2 sowie ein Video in der E-Paper-Version des Beitrags). Im Videomaterial sind das muskuläre Training, die Gangschulung und das erreichte Gangbild nachvollziehbar.

Abb. 1: Krankengymnastik am Gerät: Muskelaufbautraining an der Beinpresse

Abb. 2: Kräftigung der Rumpf- und Beckenmuskulatur

Der Soldat konnte hierdurch 17 Monate nach Versorgung mit einem transkutanen osseointegriertem Prothesensystem seine Tätigkeit als KFZ-Mechatroniker in Vollzeit ausüben. Dabei konnten alle an den Dienstposten gebundenen Fertigkeiten erfüllt sowie in enger Abstimmung mit der Personalführung die Weiterverpflichtung als Soldat auf Zeit realisiert werden.

Fall 2: Beidseitige Femuramputation

Ein 36-jähriger Stabsoffizier entwickelte ein Kompartmentsyndrom beider Unterschenkel, welches bei nekrotisierender Fasziitis zu einer beidseitigen transfemoralen Amputation führte. Sechs Monate postoperativ erfolgte eine erste Rehabilitationsmaßnahme am ZSportMedBw. Zu diesem Zeitpunkt schränkten Phantomschmerzen, sowie belastungsabhängige Rückenschmerzen die Gehstrecke mit bds. Schaftprothese (siehe Abbildung 3) an zwei Gehstöcken auf 400 m ein. Vor Abschluss der Interimsphase war bei dem Patienten bereits eine Endversorgung mittels zweier elektronischer Kniegelenke erfolgt. Durch mehrfache Optimierung der Schaftversorgung, den Austausch der Kniegelenke auf ein Alternativprodukt sowie die schmerztherapeutische Anbindung an die Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des BwKrhs Ulm konnten die Phantomschmerzen im weiteren Verlauf kon­trolliert werden.

Abb. 3: Gangschulung nach beidseitiger Versorgung mit Oberschenkelprothese

Um die Teilhabe am Sport (der Patient war bis zur Amputation ein ambitionierter Läufer gewesen) und die für die Mobilität bei doppelseitiger Major-Amputation erforderliche körperliche Leistungsfähigkeit dauerhaft zu gewährleisten, berieten wir den Patienten zu einem Training mittels Handbike. Die sportartspezifische Trainingssteuerung wurde zur Verbesserung der Ausdauerleistungsfähigkeit mittels Stufendiagnostik mit Laktatmessung am Handkurbelergometer objektiviert (siehe Abbildung 4). Bereits zwei Jahre nach Amputation wurde der Soldat in Vollzeit auf einem hochspezialisierten Dienstposten als Referent im Bundeministerium der Verteidigung tätig und nahm als Mitglied der deutschen Mannschaft erfolgreich an den US Marine Corps Paralympic Style Trials teil.

Abb. 4: Grafische Darstellung der Leistungsdiagnostiken am Handkurbelergometer in den Jahren 2015, 2020 und 2021: Die gestrichelten Linien zeigen die Herzfrequenzmodulation unter zunehmender Belastung, die durchgezogenen Linien die Laktatbildung. Die Abflachung der Laktatbildung sowie die Verschiebung der Laktatschwellen (IAS - individuell aerobe Schwelle; IANS - individuell anaerobe Schwelle) in höhere Leistungsbereiche zeigt die Verbesserung der Ausdauerleistungsfähigkeit.

Der Patient befindet sich seit nunmehr sieben Jahren in der rehabilitativen Betreuung am ZSportMedBw. Hierbei werden neben ambulanten auch teilstationäre Rehabilitationsmaßnahmen im Abstand von 12 bis 18 Monaten durchgeführt. Durch die interdisziplinäre Betreuung konnte die körperliche und mentale Belastbarkeit des Patienten bis heute ohne weitere Einschränkungen erhalten bleiben. Dies stellte die Grundlage für eine erteilte militärärztliche Ausnahmegenehmigung für die Verwendung auf einem exponierten Auslandsdienstposten dar.

Diskussion und Fazit

Soldatinnen und Soldaten haben im Falle einer Erkrankung, Verletzung oder Verwundung Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung, einschließlich rehabilitativer Interventionen. Erfolgreiche Rehabilitation orientiert sich an individuell beschriebenen Teilhabezielen und der Operationalisierung eines multiprofessionellen Vorgehens. Dies setzt bei dem interdisziplinären Rehabilitationsteam profunde Kenntnisse der beruflichen Tätigkeit und des beruflichen Umfeldes des Patienten voraus. Ziel der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation in der Bundeswehr ist die Wiederherstellung bzw. Sicherung der bestmöglichen Dienst- und Verwendungsfähigkeit. Bei psychisch erkrankten Soldaten wurde die Bedeutung der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation (MDORBw) durch eine quantitative Verbesserung der leistbaren Dienstzeit bereits unterstrichen [4].

In der Abteilung „Interdisziplinäre Rehabilitation“ des ZSportMedBw wurden nach den Vorgaben der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR) ambulante und teilstationäre Rehabilitationsmaßnahmen entwickelt. Dabei setzt die Betreuung am ZSportMedBw nach dem Phasenmodell der Traumarehabilitation bereits ab der Phase D ein, legt aber einen besonderen Schwerpunkt auf die dienstliche Rehabilitation (Phase E). Für Soldatinnen und Soldaten, deren Dienst- und Verwendungsfähigkeit danach ohne weitere rehabilitative Interventionen prognostisch nicht erhalten werden kann, werden dreiwöchige interdisziplinäre Intensiv-Reha-Aufenthalte indiziert (Phase F). [6][7]

Das interdisziplinäre Behandlungskonzept setzt sich am ZSportMedBw ärztlicherseits aus Orthopädie, Allgemein-, Leistungs-, Ernährungs-, Stressmedizin sowie supportiver psychotherapeutischer Begleitung zusammen und wird durch Physiotherapie mit Passteiltraining, komplexer Hilfsmittelversorgung und Betreuung durch den Sozialdienst komplettiert.

Hierzu werden am ZSportMedBw ICF-gesteuerte Rehaplanung, sowie rehabilitationsspezifisches Assessment zur Dokumentation der Interventionen eingesetzt [5]. Ist die Dienst- und Verwendungsfähigkeit ohne weitere rehabilitative Interventionen prognostisch nicht zu erhalten, haben sich regelmäßige ambulante Betreuung und teilstationäre aktivierende Reha-Maßnahmen im Abstand von 12 bis 18 Monaten als zielführend erwiesen. Das Vorhalten einer rehabilitativen dienstlich orientierten Eigenkompetenz, ausgerichtet am militärischen Bedarf, ist im Bereich der Prothesenversorgung unerlässlich [3]. Zur Vermeidung von Rehabrüchen ist eine enge Abstimmung zwischen den beteiligten Einrichtungen und Professionen erforderlich [1][2]. Die Endversorgung von Majoramputationen sollte in Friedenszeiten regelhaft unter Nutzung der vorhandenen Fähigkeiten am ZSportMedBw stattfinden und langfristig auch in den aufzustellenden Reha-Schwerpunkten an den Facharztzentren etabliert werden. Hierdurch kann – wie in den Fallbeispielen gezeigt – nicht nur die bestmögliche Verwendungsfähigkeit erzielt, sondern das Rehabilitationsergebnis auch langfristig erhalten werden.

Urheberrechte: Für die Verwendung der Fotografien liegt eine Einverständniserklärung der Patienten vor.

Literatur

  1. Aljaber M, Aschoff HH, Willy C: Implantation von Endo-Exo-Prothesen nach traumatische Ober- und Unterschenkelamputationen - alternative Behandlungsoption auch für Einsatzverletzte? – Update und Fallbericht. WMM 2017; 61(1): 2-9. mehr lesen
  2. Aschoff HH, Juhnke DL: Endo-Exo-Prothesen: Osseointegrierte, perkutan ausgeleitete Implantate zur Rehabilitation nach Gliedmaßenamputation. Unfallchirurg 2016; 119: 421-427. mehr lesen
  3. Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz: Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (Artikel 1 des Gesetzes v. 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX): § 167 Prävention. mehr lesen
  4. Langner F, Finke U, Zimmermann PL et al.: Am Dienst orientierte Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen – Individuelle Begleitung von Beginn an. WMM 2021; 65(3-4):127-134. mehr lesen
  5. Rauch A, Cieza A, Stucki G: How to apply the International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) for rehabilitation management in clinical practice. Eur J Phys Rehabil Med. 2008; 44(3): 329-42. mehr lesen
  6. Simmel S, Müller WD, Reimertz C et al.: Phasenmodell der Traumarehabilitation: Wie können wir das „Rehaloch“ vermeiden? Unfallchirurg 2017; 120(9): 804-812. mehr lesen
  7. Willy C, Steinmann R, Engelhardt M: Kriegschirurgische Verletzungsmuster moderner Kriege und Krisensituationen. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008; 32(3): 7-14. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Dr. Philipp Georg Schnadthorst

Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr

E-Mail: philippschnadthorst@bundeswehr.org

 

Posterpräsentation beim 52. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 15. Oktober 2021 in Koblenz