Wehrmedizinische Monatsschrift

Das Post-COVID-19-Syndrom in der Bundeswehr – Erfahrungen und Untersuchungsergebnisse am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Vortrags-Abstract)

Frank Müllera, Dominic Rauschninga, Gwendolyn Scheumanna, Anna Riera, Leonard Stratmanna, Ulrike Wagnera, Ulrich Schäfera

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik I – Innere Medizin

 

Hintergrund

Seit Beginn des Jahres 2020 beherrscht die „Corona-Pandemie“ mit COVID-19 (Coronavirus-Disease) das gesellschaftliche Leben sowie den Klinikalltag und ist in den Medien omnipräsent. Die Symptomatik von ­COVID-19 reicht von milden und unspezifischen Symptomen der oberen Atemwege mit Husten und Fieber bis zu septischen Verläufen und akutem Lungenversagen (ARDS) mit tödlichem Multiorganversagen.

Das aktuelle Coronavirus SARS-CoV-2 verhält sich dabei anders als jeder bekannte Atemwegserreger zuvor. Das betrifft nicht nur die Übertragung und den Verlauf der akuten Erkrankung, sondern auch die Rekonvaleszenz.

Long-COVID-/Post-COVID-19-Syndrom

Nachuntersuchungen von COVID-19-Erkrankten zeigen, dass viele Betroffene weit über die Zeit der eigentlichen Viruserkrankung hinaus symptomatisch bleiben. Häufige Beschwerden sind dabei Luftnot und ein Fatigue-Symptomenkomplex. Es kann zu bleibenden Organschäden kommen, vor allem fibrosierende Lungenerkrankungen und myokardiale Veränderungen sind beschrieben worden. Zudem wird eine Diabetes auslösende Wirkung von SARS-CoV-2 diskutiert. Das Post-COVID-Syndrom tritt offenbar unabhängig von der Schwere der COVID-19-Erkrankung auf, also auch bei Patienten, die nur leicht erkrankt waren.

Definition Long-COVID-/Post-COVID-19-Syndrom

Die Nomenklatur von Folgen einer Erkrankung an ­COVID-19 ist sehr vielfältig und variiert in den verschiedenen Ländern und Fachgesellschaften. Es setzt sich aber zunehmend, in Anlehnung an NICE (The National Institute for Health and Care Excellence, UK) 2020, die folgende Nomenklatur durch:

Von Long-COVID 1 spricht man, wenn neue Symptome hinzukommen oder länger bestehen als 4 Wochen.

Ein Post-COVID-19-Syndrom liegt vor, wenn die Symptome länger als 12 Wochen anhalten und nicht durch andere Diagnosen erklärt werden können.

Mittlerweile wurde von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) eine S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID ­publiziert, für die Bundeswehr ist eine fachliche Information „Ambulantes Management Post-COVID/Long-­COVID“ mit Änderungsdienst online verfügbar.

Diagnostik/Prävalenz/mögliche Ursachen

Long-/Post-COVID kann nicht durch Laborwerte diagnostiziert bzw. objektiviert werden. Es erfordert in jedem Fall eine interdisziplinäre Herangehensweise. Wenn Einschränkungen länger als 3 Monate persistieren, sollte eine spezialärztliche Abklärung initiiert werden. Es sollten dabei andere Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden.

Als Mechanismen möglicher Organschäden werden u. a. genetische Faktoren, Viruspersistenz, Hyperinflammation und Autoimmunprozesse diskutiert.

In der Querschnittsbetrachtung von verschiedenen Studien und Publikationen können insgesamt ca. 15 % aller COVID-Patienten von Long-/Post-COVID betroffen sein, und das weitgehend unabhängig von vorbestehenden Komorbiditäten. Eine gewisse Disposition besteht hierbei im Zusammenhang mit psychosomatischen Vorerkrankungen und dem weiblichen Geschlecht.

Abb. 1: Als Ursache für Post-/Long-COVID werden verschiedene Mechanismen diskutiert.

Therapie

Die Therapie orientiert sich an den Symptomen. Für eine spezifische Therapie gibt es bislang noch keine wissenschaftlich belastbaren Belege. Von besonderer Bedeutung ist eine sorgfältige Nachbeobachtung der COVID-Patienten. Alle nachweisbaren Organveränderungen nach COVID-19 sollten Anlass zu einer für die jeweilige Erkrankung empfohlenen Diagnostik und eventuell auch Therapie geben.

So wurden u. a. spezifische Rehabilitationsprogramme entwickelt, die atemphysiologische, muskelstimulierende und neurokognitive Komponenten beinhalten. Wichtig ist hierbei die zeitnahe Einleitung von geeigneten Rehabilitationsmaßnahmen. Dies gilt insbesondere auch in der Bundeswehr für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten zum Erhalt und schnellen Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit.

Abb. 2: Diagnostik und Therapie von Patienten mit Post-/Long-COVID erfordern zwingend ein multi- und interdisziplinäres Zusammenwirken

Erfahrungen am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Am Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz wird seit März 2021 eine Spezialsprechstunde für Patienten mit Long-/Post-COVID bzw. bei entsprechendem Verdacht darauf angeboten. Hierbei konnten bereits Erfahrungen in der Diagnostik und Therapie von Patienten mit Long-/Post-COVID-Syndrom gesammelt werden. Es bestätigt sich, dass auch junge Menschen vom Post-­COVID/Long-COVID-Syndrom betroffen sind. Ebenfalls zuvor gesunde Patienten bzw. solche mit nur wenig Beschwerden in der akuten Phase von COVID-19 können an Post/Long-COVID leiden, wobei in unserem Kollektiv aber Risikopatienten eher betroffen sind. Bei einer retrospektiven Auswertung fand sich eine nicht signifikante Verschlechterung in der Lungenfunktion bei den Long-/Post-COVID-Patienten (evtl. durch die Größe des Stichprobenumfangs bedingt).

Abb. 3: Eine erste Auswertung von 84 Patienten mit Post-/Long-Covid zeigte, dass in der Mehrzahl der Fälle eine oder mehrere relevante Vorerkrankungen vorlagen.

Zur weiteren Untersuchung der Besonderheiten von Long-/Post-COVID-Patienten in ihrer Symptomatik, in der Diagnostik und Therapie sowie der Auswirkungen von Long-/Post-COVID auf den Lebensstil, das Gesundheitsverhalten und die Alltagssituation der Betroffenen ist in Zusammenarbeit mit dem Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr in Koblenz (Direktor: Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Dieter Leyk) und der Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln das Projekt „ActIv-COVID“ geplant. Dieses baut auf dem bereits laufenden Projekt „Activate Individuals (ActIv)“ der beiden Institute auf, in dem in einer bundesweiten Befragung Motivation, Attraktoren und Barrieren für einen gesunden Alltag erforscht werden. Eine Beteiligung ist online möglich.

Informationen zum ActIv-Projekt der DSHS Köln finden Sie unter

www.dshs-koeln.de/activ

Begutachtung bei Post-/Long-COVID – offene Fragen

Wenig Beachtung fand bisher die Begutachtung der Folgen von Post-/Long-COVID. Hierbei müssen auch versicherungsrechtliche Fragen beantwortet werden. Bei anhaltender Einschränkung der Leistungsfähigkeit muss eine Erwerbsminderung beurteilt werden. Bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst kommt die Anerkennung als Berufskrankheit in Betracht (BK Nr. 3101). In anderen Branchen/Arbeitsbereichen wird die Frage der Anerkennung als Arbeitsunfall inclusive Krankheitsfolgen aufgeworfen. Hierbei ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit einzuschätzen, bei Soldaten sind auch WDB-Ansprüche zu prüfen.

Ziel der therapeutischen und rehabilitativen Anstrengungen sollte eine möglichst rasche Wiedereingliederung der Long-/Post-COVID-Patientinnen und -Patienten in das Alltags- und Berufsleben sein.

Einige Fragen sind weiterhin offen und müssen noch geklärt werden:

COVID-19 wird uns noch über längere Zeit Rätsel ­aufgeben und vor Herausforderungen stellen. Es gilt, sich diesen in einem multi- und interdisziplinären Ansatz zum Wohl unserer Patientinnen und Patienten zu stellen.

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Frank Müller

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Klinik I – Innere Medizin

E-Mail: frank11mueller@bundeswehr.org

Vortrag beim 52. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 15. Oktober 2021 in Koblenz


1 Im klinischen Sprachgebrauch hat sich statt der korrekten Bezeichnung Long- bzw. Post-COVID-19-Syndrom die Kurzform Post-COVID bzw. Long-COVID eingebürgert, die im Weiteren auch verwendet wird.