Wehrmedizinische Monatsschrift

Psychische Gesundheit und Lebensqualität in Deutschland während der COVID-19-Pandemie – aktuelle Lage und Rehabilitationsmöglichkeiten für Erkrankte (Vortrags-Abstract)

Martina Piefkea, Vincent Nina, Gerd-Dieter Willmundb

a Universität Witten-Herdecke – Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik des Verhaltens, Fakultät für Gesundheit, Department für Psychologie und Psychotherapie

b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik VI – Psychiatrie und Psychotherapie

 

Einleitung

Die COVID-19-Pandemie hat die psychische Belastung der Bevölkerung verstärkt – nicht nur durch die gesundheitliche Gefahr einer SARS-CoV-2 Infektion, sondern auch durch den Alltagsstress im Lockdown, berufliche Probleme und damit verbundene finanzielle Engpässe sowie die Notwendigkeit von Home-Schooling der Kinder. Inzwischen wurden zahlreiche Befragungen zu psychischen Belastungen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Menschen durch die COVID-19-Pandemie publiziert. 25–50 % der Befragten geben an, unter Symptomen verbunden mit Stress und emotionaler Belastung zu leiden [3][4][7]. Die Befragungen erfolgten jedoch häufig mit nicht validierten einzelnen Fragen oder mit Fragebögen ohne Bezug zur Pandemie. TAYLOR et al. (2020) entwickelten kürzlich die COVID-Stress-Scales (CSS) [6]. Der 36-Item-Fragebogen umfasst die Subskalen „Gefahr“, „Sozioökonomische Konsequenzen“, „Angst vor Fremden“, „Kontamination“, „Traumatischer Stress“ und „Zwanghafte Kontrolle“ bezogen auf die COVID-19-Pandemie. In unserer Studie validierten wir eine deutsche Version der CSS und untersuchten mögliche Zusammenhänge zwischen Punktwerten auf CSS-Subskalen und der Lebensqualität der Befragten. Wir erwarteten, dass Gruppen mit hohen CSS-Punktwerten eine schlechtere Lebensqualität berichten als Gruppen mit niedrigen CSS-Punktwerten.

Methoden

Das Psychologische Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke und das Psychotraumazentrum der Bundeswehr am Bundeswehrkrankenhaus Berlin führten von August 2020 bis Juni 2021 die Online-Befragung „Stress und Belastungen während der COVID-19-Pandemie“ in der Zivilbevölkerung und in Soldatenstichproben durch. Die Stichprobe umfasste insgesamt N = 1774 erwachsene an der Studie Teilnehmende (Alter > 16; Frauen: N = 1269; Männer: N = 497; Divers: N = 8). Neben der CSS wurden in der Online-Befragung demografische Daten erhoben und einige psychologische Standardfragebögen zu Lebensqualität, Persönlichkeitsmerkmalen und psychischen Belastungen erhoben. Die Erhebung der Lebensqualität erfolgte mit einem Messinstrument der WHO, dem WHOQOL-BREF. Die statistische Auswertung erfolgte mittels einer Clusteranalyse und post-hoc T-Tests für Gruppenvergleiche zwischen den Clustern.

Ergebnisse

Mit Hilfe einer Clusteranalyse der CSS-Daten wurden zwei Cluster identifiziert: ein Bevölkerungs-Cluster mit höherer und ein Bevölkerungs-Cluster mit niedrigerer Stressbelastung. Die Größe der Cluster ist in Abbildung 1 illustriert.

Abb. 1: Identifizierte Cluster mit höherem/niedrigerem Stress bzw. höherer/niedrigerer Belastung durch die COVID-19-­Pandemie

Ein statistischer T-Test-Vergleich zwischen den beiden Clustern für die Subskalen des WHOQOL-BREF zeigte signifikant höhere WHOQOL-BREF Punktwerte auf allen Subskalen in dem Cluster mit den niedrigeren CSS-Punktwerten. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Für die Subskala „Physisch“ des WHOQOL-BREF zeigten sich signifikant höhere Werte im Cluster „Niedrigerer CSS“ (M = 77.80, SD = 13.59) als im Cluster „Höherer CSS“ (M = 68.14, SD = 17.62; t(1772) = -12.63, p < .001, d = .60). Die Probanden im Cluster „Niedrigerer CSS“ (M = 70.44, SD = 17.87) wiesen signifikant höhere Werte in der Subskala „Psychisch“ auf als im Cluster „Höherer CSS“ (M = 61.82, SD = 18.06; t(1702) = -10.06, p < .001, d = .48). In der Subskala „Soziale Beziehungen“ zeigten sich für die Personen im Cluster „Niedrigerer CSS“ (M = 67.55, SD = 20.30) signifikant höhere Skalenwerte als im Cluster „Höherer CSS“ (M = 60.60, SD = 21.40; t(1672) = 6.97, p < .001, d = .033). In der Subskala „Umwelt“ fanden sich signifikant höhere Werte im Cluster „Niedrigerer CSS“ (M = 79.01, SD = 12.84) als im Cluster „Höherer CSS“ (M = 71.76, SD = 14.20; t(1772) = -11.28, p < .001, d = .54).

Tab. 1. Mittelwerte und Standardabweichungen der Subskalen des WHOQOL-BREF in den Clustern mit niedrigeren und höheren CSS-Punktwerten und Effektstärken des T-Test Clustervergleichs (Cohen’s d); N gesamt = 1774

Anmerkungen: Die Skalenwerte des WHOQOL-BREF können Werte zwischen 0 und 100 annehmen; der Wert 0 steht für den schlechtmöglichsten Gesundheitszustand, der Wert 100 für den bestmöglichen Gesundheitszustand. ***p<.001

Diskussion

Die CSS-Clusteranalyse zeigt zwei annähernd gleich große Cluster in der deutschen Bevölkerung, deren eines durch eine höhere, deren anderes durch eine niedrige Stressbelastung charakterisiert ist. Obwohl die CSS- Punktwerte auch in dem Cluster mit der höheren Stressbelastung moderat sind, zeigen die Ergebnisse der Studie eine starke Beeinträchtigung unterschiedlicher Dimensionen der Lebensqualität bei Personen mit einer hohen Stressbelastung durch die COVID-19-Pandemie. Die deutsche Version der CSS kann damit als ein geeignetes Instrument erstens zur Messung der pandemiebedingten Stressbelastung (CSS) in der Bevölkerung und zweitens zur Identifizierung von Bevölkerungsgruppen, deren Lebensqualität (WHOQOL-BREF) durch den pandemiebedingten Stress besonders beeinträchtigt ist, aufgefasst werden. Die moderaten Werte weisen darauf hin, dass die Pandemie zwar die Anpassungsfähigkeit der Menschen enorm fordert, die meisten jedoch in der Lage sind, notwendige Adaptionsprozesse zu etablieren, ohne eine klinisch auffällige psychische Erkrankung zu entwickeln.

Auf der Grundlage unserer Befunde schlagen wir soziodemografische Profilanalysen zur Entwicklung maßgeschneiderter, zielgruppenorientierter Präventions- und Unterstützungsangebote vor. In der Nachsorge kann ein multidisziplinärer Behandlungsansatz für Personen mit gesundheitlichen Langzeitbeeinträchtigungen infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 effizient sein, der insbesondere auch ein kognitives Training für Patienten mit infektionsbedingten neuropsychologischen Defiziten integriert [1][5]. Institutionelle Kooperationen haben sich im Kontext von Maßnahmen zum Erhalt der öffentlichen Gesundheit und der Optimierung der Lebensqualität unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen bewährt.

Literatur

  1. Dehn L, Piefke M, Toepper M et al.: Cognitive training in an everyday-like virtual reality enhances visual-spatial memory capacities in stroke survivors with visual field defects. Top Stroke Rehabil 2020; 27(6): 442-452. mehr lesen
  2. Foa EB, Huppert JD, Leiberg S, Langner R, Kichic R, Hajcak G, Salkovskis PM: The Obsessive-Compulsive Inventory: Development and validation of a short version. Psychol Assess 2002; 14(4): 485-496. mehr lesen
  3. Guo Q, Zheng Y, Shi J et al.: Immediate psychological distress in quarantined patients with COVID-19 and its association with peripheral inflammation: a mixed-method study. Brain Behav Immun 2020; 88: 17-27. mehr lesen
  4. Jungmann SM, Witthöft M: Health anxiety, cyberchondria, and coping in the current COVID-19 pandemic: Which factors are related to coronavirus anxiety? J Anxiety Disord 2020; 73: 102239rs. mehr lesen
  5. Glienke K, Willmund GD, Zimmermann P, Piefke M: Complex real life-related prospective memory in soldiers with and without Post-Traumatic Stress Disorder. J Trauma Stress Disor Treat 2015; 6: 3. mehr lesen
  6. Taylor S, Landry CA, Paluszek MM, Fergus TA, McKay D, Asmundson GJG: Development and initial validation of the COVID Stress Scales. J Anxiety Disord 2020; 72: 102232. mehr lesen
  7. Zhang Y, Ma ZF: Impact of the COVID-19 pandemic on mental health and quality of life among local residents in Liaoning Province, China: A cross-sectional study. Int J Environ Res Public Health 2020; 17(7): 2381. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Univ. Prof. Dr. Martina Piefke

Universität Witten-Herdecke

Fakultät für Gesundheit (Department für Psychologie und Psychotherapie)

Lehrstuhl für Neurobiologie und
Genetik des Verhaltens

E-Mail: martina.piefke@uni-wh.de

Vortrag im Workshop „Militärpsychiatrie/Psychotraumatologie“ beim 52. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 15. Oktober 2021 in Koblenz.