Wehrmedizinische Monatsschrift

DGWMP e. V.: ARBEITSKREIS WEHRPHARMAZIE

Sitzung des Arbeitskreises „Wehrpharmazie“ der DGWMP e. V. am 15. Oktober 2021 in Koblenz

Einleitung

Zur Sitzung des Arbeitskreises Wehrpharmazie der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP) e. V. am 15. Oktober 2021 in Koblenz hatten sich im gut besetzten Auditorium rund 40 Teilnehmende eingefunden, unter diesen auch zahlreiche Kameradinnen und Kameraden der Reserve und Gäste aus dem zivilen Bereich.

In der Begrüßung durch Oberfeldapotheker Mark Lutsch, Vorsitzender des Arbeitskreises Wehrpharmazie, äußerte dieser seine große Freude über das zahlreiche Erscheinen der Teilnehmenden und die bis dahin coronabedingt schmerzlich vermisste Möglichkeit des persönlichen Austausches.

Oberfeldapotheker Lutsch richtete Grüße des Leitenden Apothekers der Bundeswehr, Oberstapotheker Arne Krappitz, Unterabteilungsleiter V im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, aus, der zeitgleich dem kurz zuvor verstorbenen Generalapotheker Ernst Schubert, Inspizient Wehrpharmazie von 1992 bis 1997, die letzte Ehre erwies. Die Teilnehmenden gedachten des Verstorbenen mit einer Schweigeminute.

Es wäre Oberstapotheker Krappitz ein Anliegen gewesen, die kontinuierlich andauernden besonderen Leistungen der Wehrpharmazie für das Militär; aber ­insbesondere auch für das zivile Gesundheitswesen – darunter nicht nur die Übernahme der Distribution von COVID-19-Impfstoffen als nationaler Logistik-Knoten – hervorzuheben.

Oberfeldapotheker Lutsch kontextualisierte die nachfolgenden Vorträge zum Generalthema „Medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation“ des diesjährigen DGWMP-Kongresses und betonte, dass trotz der thematisch vermeintlich solitären Vorträge bei dieser Sitzung des Arbeitskreises in jedem der Referate und insbesondere im Zusammenspiel der gesamten Wehrpharmazie ein wichtiges, konzertantes Instrument auch im Bereich der Rehabilitation zu erkennen sei und die Wehrpharmazie als integraler Bestandteil des Sanitätsdienstes mit ihrer breiten Expertise eine wichtige Rolle spiele.

Die Fachvorträge streiften wieder einmal ein breites Spektrum der Wehrpharmazie; die Inhalte werden im Folgenden kurz zusammengefasst vorgestellt.

Wissenschaftliche Vorträge

„Pervitin® – Der chemische Befehl

Zur immer wieder in der Fach- und Laienpresse (und insbesondere dort flamboyant propagiert) auftauchenden Thematik der Verwendung von sogenannten Aufputschmitteln während des Zweiten Weltkrieges, darunter Pervitin als wohl bekanntestem Vertreter, trug Dr. Tilmann Holzer vor. Oberregierungsrat Dr. Holzer wirkt als Referent im Referat Gesundheitssicherheit im Bundesministerium für Gesundheit.

Dr. Holzer verwies in seiner Einleitung zunächst auf die grundlegenden historischen Studien von Flottenarzt Dr. Volker Hartmann zur militärischen Anwendung sowie zu rezenten Aspekten des sogenannten Neuro-Enhancement als Grundlage für alle nachfolgenden Forschungen 1 .

Der Vortragende stellte dar, dass – rein wehrpharmazeutisch betrachtet –Methylamphetamin seiner Meinung nach zu den wichtigsten Neuentwicklungen der 1930er-Jahre zählte, die breiten Einsatz in der Wehrmacht fanden. Exemplarisch werde hier die Grenze zwischen ethisch verantwortbarer Arzneimittelgabe und Leistungsorientierung auf Kosten der soldatischen Gesundheit sichtbar.

Zunächst beleuchtete der Vortrag die Entwicklung und werbewirksame Vermarktung – ein Arzneimittelgesetz im heutigen Sinne existierte noch nicht – des Pervitin durch die Firma Temmler und erste Erprobungen im zivilen Bereich sowie die spätere Etatisierung bei der Wehrmacht.

Im Vortrag wurde die Dichotomie der ärztlich-fachlichen Bewertung durch die verschiedenen Protagonisten im nationalsozialistischen Regime deutlich. Einerseits zeigte sich ein frühes Interesse des Heeressanitätswesens am Pervitin aufgrund der leistungssteigernden und wachhaltenden Effekte, andererseits gab es etwa mit dem Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti wirkmächtige Antipoden. Conti setzte die (sich besonders am Beispiel des Pervitin im zivilen Bereich manifestierende) Sucht in den ideologisierten Zusammenhang der sogenannten Rassenhygiene und äußerte sich bereits früh kritisch zu Pervitin, das zunächst ohne ärztliche Verordnung in den Apotheken erhältlich war. Er wendete sich auch direkt an den führenden Heeresarzt und späteren Chef des Wehrmachtsanitätswesens, Generaloberstabsarzt Siegfried Handloser. Auch im Feld behandelnde Militärärzte erkannten Vorteile, etwa bei der Stabilisierung von Patienten, sahen jedoch dies nur als ausnahmsweise zu
beschreitenden Ausweg, da man die bekannten psychotischen Effekte eines kontinuierlichen Methamphetamin-Konsums vermeiden wollte. Dies führte schließlich ab 1941 zu strengeren Regularien der Abgabe im zivilen und militärischen Bereich, die als Vorläufer der heutigen Betäubungsmittelgesetzgebung gesehen werden können.

Der Großteil der Pervitin-Produktion wurde ausweislich der Herstellungszahlen auf dem zivilen Markt vertrieben und nicht an das Militär geliefert, was die häufig kolportierte Vergesellschaftung von „Pervitin und Wehrmacht“ als Mythos entkräftigt.

Abb. 1: Breit gefächert und durch Anlehnung an US-amerikanische Methoden des Marketings wurde Pervitin beworben. Die Werbeabteilung der Temmler-Werke arbeitete für ihre Zeit sehr fortschrittlich. Auffallend ist die breite Indikation für das zunächst in öffentlichen Apotheken freiverkäufliche Arzneimittel. Ein Regulativ im Sinne des heutigen AMG, unter anderem mit einer notwendigen Indikationsstellung für das Zulassungsverfahren, gab es seinerzeit noch nicht. Der Umgang mit neuen Arzneistoffen respektive das heutige AMG mussten erst durch schmerzliche Erfahrungen, so etwa mit Thalidomid (Contergan®), mühsam erarbeitet und erlernt werden.

 

Geschichte der Bundeswehrapotheken

Flottenapotheker a. D. Dr. Gregor Peller referierte zur „Geschichte der Bundeswehrapotheken“ und stellte dabei wesentliche Erkenntnisse seiner unlängst verteidigten Dissertation zu diesem Thema vor. Der Vortrag beleuchtete die Entstehung und Entwicklung der Sanitätsmaterialversorgungseinrichtungen der Bundeswehr von ihrer Aufstellung zum Ende der 1950er-Jahre bis in die 2000er-Jahre hinein.

Anfangs im rechtlichen Sinne noch keine Apotheken (sie wurden in den Jahren 1960/1961 explizit aus dem Geltungsbereich der zivil geltenden Apotheken- und Arzneimittelgesetzgebung ausgenommen), waren diese von den Alliierten übernommenen Einrichtungen damals in erster Linie auf den Kriegsfall ausgerichtet und von sehr begrenzter pharmazeutischer Leistungsfähigkeit. Erst 1976 erfolgte die lange angestrebte Einbeziehung der Bundeswehr in den Rechtsrahmen des Arzneimittelgesetzes.

Heute sind im Gegensatz zur seinerzeit flächigen Verteilung von kleineren Dienststellen nur noch wenige ­große Bundeswehrapotheken verblieben, die jedoch ­hinsichtlich ihrer personellen, materiellen und infrastrukturellen Ausstattung und Möglichkeiten uneingeschränkt – zivilen Einrichtungen vergleichbar – leistungsfähig sind. Überwiegend mit militärischem Fachpersonal besetzt und entsprechend ausgerüstet können die heutigen Bundeswehrapotheken diese Leistung prinzipiell weltweit erbringen. Auch wenn die pharmazeutische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland für Außenstehende auf den ersten Blick trivial erscheinen mag, ist sie im Gegenteil hochkomplex und sowohl im militärischen Grundbetrieb als auch in allen möglichen Einsatzszenaren von elementarer Bedeutung. Dies fand und findet auch seinen Niederschlag in den konzeptionellen und organisatorischen Strukturen, den Anforderungen an das Personal, den infrastrukturellen und logistischen Grundlagen, aber auch der rechtlichen Stellung und der Verortung im Hinblick auf das zivile Apothekenwesen, so der Referent.

Diese vielfältigen Bereiche stellte Dr. Peller unter historischer Einordnung – auch unter Beleuchtung der Wurzeln der Wehrpharmazie in der Wehrmacht – dar. Die einzelnen Entwicklungsschritte stellte der Vortragende in den Kontext sicherheits-, verteidigungs- und gesellschaftspolitisch bedeutsamer Meilensteine. Dabei wurde der Einfluss der jeweiligen rechtlichen, militärischen, gesellschaftlichen und fachlichen Vorgaben sowie prägender Ereignisse herausgearbeitet, eingeordnet und bewertet.

Die Studie von Flottenapotheker a. D. Dr. Peller, basierend auf zum Teil nur noch unikat erhaltenen Quellen, umfasst facettenreich ein bisher existierendes Desiderat der Militär- und Pharmaziegeschichte und schließt mithin eine wichtige Lücke der Forschung.

Abb. 2: Insbesondere die 1990er-Jahre waren durch die sich rasch gewandelten politischen Rahmenbedingungen auch für die Wehrpharmazie bedeutsam. Wie in anderen Bereichen des Militärs erfuhren auch die Bundeswehrapotheken eine zahlenmäßige Reduzierung. Flottenapotheker a. D. Dr. Peller konnte aus eigenem Erleben die Umwälzungen in der Struktur besonders lebhaft vermitteln.

 

Wehrpharmazie in der COVID-19-Pandemie 2

Oberfeldapotheker Dr. Thomas Hussenether, Leiter des pharmazeutischen Fachreferats V 1 im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr und Mitglied in der Arbeitsgruppe Medizinische Gase der Deutschen Arzneibuchkommission, trug zur „Wehrpharmazie in der ­COVID-19-Pandemie – Rechtliche Herausforderungen bei der Pandemiebewältigung“ vor.

Die Wehrpharmazie leistete und leistet mit ihren umfangreichen Fähigkeiten vielfältige Unterstützung bei der Bewältigung der Coronapandemie. Hier spanne sich der Bogen von der Beschaffung und Bevorratung spezieller Arzneimittel und Medizinprodukte – sowohl für den Bedarf der Bundeswehr als auch für den Bund – über die Herstellung von Händedesinfektionsmitteln, die Schaffung von Möglichkeiten zur Produktion von medizinischem Sauerstoff bis hin zur Bewirtschaftung und ­Distribution von COVID-19-Impfstoffen als nationaler Logistik-Knoten.

Der Vortrag zeigte die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben zu überwindenden Hürden auf und legte dabei den Fokus insbesondere auf die rechtlichen Herausforderungen. Er beinhaltete zunächst einen Überblick über die Möglichkeiten rechtlicher Ausnahmeregelungen sowie die aufgrund der Pandemie erlassenen Änderungen im nationalen Recht, inklusive der auf dem Infektionsschutzgesetz fußenden „SARS-CoV-2-Verordnungen“.

Mit einem Ausblick und den „Lessons Learned Corona“ ging Referent Dr. Hussenether dabei schließlich auf das Vorhaben der Errichtung einer neuen Herstellungsstätte der Bundeswehr zur Produktion bestimmter – für die Versorgung des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung im Falle der Landes- oder Bündnisverteidigung, aber auch für Pandemielagen essenzieller – pharmazeutischer Produkte ein.

Abb. 3: Oberfeldapotheker Dr. Hussenether führte die Teilnehmenden anhand verschiedener Beispiele anschaulich durch die – einer kambrischen Explosion gleichenden – erlassenen neuen Rechtsnormen, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen pharmazeutischen Versorgung in der Pandemie notwendig geworden waren.

 

Apothekerin/Apotheker „auf Station“

Stabsapotheker David Zeidler vom Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz berichtete anschließend zum Thema „Apotheker auf der Chirurgischen Normalstation – von der Visite bis zum Entlass-Management“.

Mit der Novelle des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes vom 24. Oktober 2018 werde der Stationsapotheker bzw. die Stationsapothekerin mit dem Beginn des Jahres 2022 eine Pflichtkomponente im stationären Setup der Krankenhausversorgung – zumindest in Niedersachsen. Darüber hinaus betone der „Aktionsplan 2021–2024 des Bundeministeriums für Gesundheit Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Deutschland“, dass insbesondere die interprofessionelle Zusammenarbeit der Angehörigen der Heilberufe zur Verbesserung der AMTS beitrage. Gleichzeitig bestehe jedoch gerade hinsichtlich interdisziplinärer Versorgungsstrukturen derzeit ein Mangel, sodass eine sektorübergreifende Versorgung noch nicht ausreichend gewährleistet sei.

Nichts läge dabei ferner als die Vorstellung eines „pharmazeutischen Theokraten“, der sowohl Pflege als auch das ärztliche Kollegium mit erhobenem Zeigefinger auf Missstände hinweist. Stattdessen stehe die Praxis im Vordergrund, etwa bei der Jagd nach den Ursachen einer nicht zerfallenen Tablette im randvollen Stoma oder unmittelbar am OP-Tisch im Saal.

Während der täglichen Stationsarbeit liege der Fokus klar auf der Kommunikation, um zum einen eine bestmögliche Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zu gewährleisten und zum anderen patientenindividuelle Wünsche zu berücksichtigen. Als Fixpunkt diene dabei die Teilnahme an Visiten, bei denen anhand von „red flags“ Patientinnen und Patienten identifiziert werden können, die vor allem von einer pharmazeutischen Intervention profitieren. Für die Vorbereitung der Intervention finde sich eine Vielzahl von kommerziell erhältlichen Datenbanken und Hilfsmitteln, die ihrerseits eine Masse an Informationen und Hinweisen lieferten. Aber wie profitierten die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, das Pflegepersonal und vor allem Patientinnen und Patienten davon?

Jenseits von AMTS-Checks, Antibiotic Stewardship und Leitlinienarbeit könne der Apotheker bzw. die Apothekerin auf Station als Schnittstelle zwischen Anwender und Logistik einen wertvollen Beitrag leisten. Als Bestandteil des Teams können Probleme und/oder der Bedarf abseits von Hierarchie und „Standesdünkel“ adressiert und direkt gelöst werden. Diese Chance zum interdisziplinären Austausch ermögliche gegenseitiges Verständnis und Vertrauen – die wichtigste Basis für weitergehende Projekte und die direkte Arbeit mit Patientinnen und Patienten.

Stabsapotheker Zeidler betonte abschließend, dass neben verschiedenen, vielversprechenden bereits angelaufenen Projekten der Interdisziplinarität indes der in statu nascendi befindlichen formellen und flächendeckenden Institutionalisierung der visiblen pharmazeutischen Kompetenz und einer prospektiv guten Akzeptanz durch medizinisches Personal auch alltägliche Hürden im Wege stehen. Exemplarisch nannte er die häufig noch am Bett des Patienten handschriftlich geführte „Kurve“ im Kontext des Datenschutzes und der elektronischen Datenverarbeitung bei der Erfüllung von klinisch-pharmazeutischen Dienstleistungen. Dies betreffe auch die Transition von ambulanter zu stationärer Behandlung und umgekehrt.

Abb. 4: Stabsapotheker Zeidler erläuterte eindrücklich die zu überwindenden Herausforderungen, um letztlich die gewünschte, stete, integrale und evidente Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und Compliance der Patienten zu implementieren. Die Faktoren sind vielfältig; hervorgehoben wurde das Selbst- und Außenverständnis der Pharmazeuten als Teil des klinischen Teams.

Fazit und Ausblick

Oberfeldapotheker Lutsch bedankte sich nachdrücklich bei allen Referenten der Tagung für deren gehaltvolle und kenntnisreiche Beiträge. Mit Blick auf das Kongressthema merkte er an, dass der diesjährige ergiebige pharmaziehistorische und zeitgeschichtliche Anteil – insbesondere im Falle des Methamphetamins auch auf die Spätfolgen des Konsums von zum Teil militärisch bevorrateten und militärärztlich verordneten Substanzen hinweisend – auch einen Blick auf die Rehabilitation aus wehrpharmazeutischer Perspektive eröffne. Die sich aus den Vorträgen jeweils ergebenden Diskussionen hätten gezeigt, welches Potenzial die Wehrpharmazie als multiplexes Instrument im Zusammenspiel mit allen Fachrichtungen des Gesundheitswesens in allen Belangen bietet.

Das Format „Arbeitskreise und Workshops ohne gleichzeitige Plenarsitzung“ habe sich bewährt und solle auch in Zukunft beibehalten werden.

Verfasser

Oberstabsapotheker Dr. Frederik Vongehr

Stellvertretender Vorsitzender des AK Wehrpharmazie

E-Mail: frederikvongehr@bundeswehr.org


1 Hartmann V: Neuro-Enhancement in der Wehrmacht am Beispiel von . Pervitin – Sachstand und Quellenlage. WMM 2021; 65(11): e1

2 Siehe hierzu auch Beiträge von Kunzelmann et al. und Meyer in der WMM 9–2020 (wmm.pic-mediaserver.de/index.php?f=zeitschrift&z=z202009) und von Schmitz et al. sowie Buhl et al. im Corona-Sonderheft 2020 der WMM(wmm.pic-mediaserver.de/index.php?f=zeitschrift&z=zCoronaSonderHeft)