Wehrmedizinische Monatsschrift

Ein neues Parodontitis-Behandlungskonzept – Umsetzung in der täglichen Praxis (Vortrags-Abstract)

Gabriel Wilkea, Thomas Egerb

a Sanitätsversorgungszentrum Sondershausen – Zahnarztgruppe

b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnmedizin

 

Hintergrund

Die deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III wurde im Januar 2021 in Form einer Adaptation der S3-Leitlinie „Treatment of Stage I – III Periodontitis“ der European Federation of Periodontology [3] implementiert (AWMF-Registernummer: 083–043). In der Folge wurde durch den gemeinsamen Bewertungsausschuss ein seit 2013 begonnener Prozess neuer parodontaler Behandlungsrichtlinien für Patienten mit verschieden schweren Parodontitisformen (Stadium I bis IV) verabschiedet, die 01. Juli 2021 in Kraft trat.

Die Bundeswehr hat für die Soldaten der Bundeswehr diese fachliche Leitlinie und deutsche Richtlinie grundsätzlich übernommen. Eine Modifikation erfolgte sowohl in der Befunddokumentation als auch in der Berücksichtigung von speziellen parodontalen Risikofaktoren für die Therapie. So können im Antrag bestehende Rezessionen eindeutig dokumentiert werden. Ferner kann eine 1. Vorbehandlung (professionelle Zahnreinigung) gesondert beantragt und berechnet werden. Weiterhin können Hinweise zu bestehenden Erkrankungen (z. B. Allergien, Autoimmunerkrankungen, Psoriasis, Osteoporose usw.) sowie Medikationen gegeben werden.

Zwischen dem 32. und 38. Lebensjahr unterliegen alle Menschen dem größten Parodontitis-Risiko und erfahren die stärkste parodontale Destruktion [6][7]. Zu dieser Altersgruppe zählt ein großer Teil der Soldaten der Bundeswehr. Insofern sind Prävention und rechtzeitige Therapie parodontaler Erkrankung von erheblicher wehrmedizinischer Relevanz.

Im Folgenden soll – neben grundsätzlichen Aussagen zur Parodontitis-Therapie – auch auf die Frage eingegangen werden, welchen Einfluss die europäischen Leitlinien auf die neuen PAR-Richtlinien in der Bundeswehr haben.

Behandlung der Parodontitis

Therapiestufen

Die Leitlinie legt für die Behandlung der Parodontitis 4 Behandlungsstufen fest, deren Spektrum von der Befunderhebung (ggf. nach Vorbehandlung) über die nichtchirurgische und chriurgische Parodontaltherapie bis zur Nachsorge reicht.

Therapiestufe 1

Die parodontale Diagnostik umfasst nunmehr eine detailliertere Darstellung des Erkrankungsschweregrades. Die erste Therapiestufe umfasst die dem Schweregrad entsprechende zahnärztliche Aufklärung des Patienten über seine Erkrankung mit Darstellung der Auswirkungen auf viele als Risikofaktoren bekannte allgemeinmedizinische Erkrankungen und die Konsequenzen der Nichtbehandlung. Ebenso ist die dem Schweregrad entsprechende Mundhygieneinformation, ggf. eine Vorbehandlung (professionelle Zahnreinigung) zur Überprüfung empfohlener Verhaltensänderungen bei Rauchern, Diabetikern oder Patienten mit ausgeprägten Mundhygienedefiziten, z. B. ohne bisherige Zahnzwischenraumhygiene, zu dokumentieren. Die erste Therapiestufe dient der Kontrolle supragingivaler Biofilme und Risikofaktoren.

Abb. 1: Akute nekrotisierende Parodontitis bei einem starken Raucher: Die Notwendigkeit einer Vorbehandlung vor differenzierter Diagnostik und Therapieplanung, wie sie in die fachliche Richtlinie der Bundeswehr aufgenommen wurde, wird hier deutlich.

Therapiestufe 2

Die nichtchirurgische Parodontaltherapie in der Therapiestufe 2 besteht in der (lokalen) antiinfektiösen Therapie. Systemische adjunktive Antibiosen sind entsprechend der Leitlinie grundsätzlich nur jungen Patienten bis zum 35. Lebensjahr mit generalisiertem hohem Stadium III und Patienten im Stadium IV vorbehalten.

Therapiestufe 3

Die Therapiestufe 3 umfasst parodontalchirurgische Behandlungsmaßnahmen, die gem. neuer Leitlinie frühestens 3 Monate nach der Therapiestufe 1 und nach erneuter vollständiger Befundreevaluation bei Parodontitis im Stadium III sowie einer Mindesttaschentiefe von 6 mm empfohlen werden.

Therapiestufe 4

Anamnestische und prognostische Gesundheitsdaten sowie das Wissen um parodontale Risikofaktoren (Tabakkonsum, Diabetes, Übergewicht, bereits verlorene ­Zähne, Hypertonie, Allergien, Autoimmunerkrankungen, psychische Erkrankungen u.v. a.m.) und Behandlungen an anderer Stelle in den letzten 5 Jahren beeinflussen das Angebot bzgl. der Frequenz der Parodontitis-Nachsorge in der Therapiestufe 4. Hier erfolgen supra- und subgingivale Zahnreinigungen für einen Zeitraum von 2 Jahren. Ebenso wird die Behandlung durch spezialisierte Zahnärzte empfohlen.

Gewährleistung der Therapiequalität

Als Minimalversorgung nach der ersten und zweiten Therapiestufe in hoher Qualität soll im betroffenen Bereich eine wiederholte Reinigung der Wurzeloberfläche (mit oder ohne Zugangslappen) und eine engmaschige Kontrolle im Rahmen der unterstützenden Parodontaltherapie (UPT) einschließlich subgingivaler Instrumentierung erfolgen [1][2].

Die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland ist länderspezifisch unterschiedlich organisiert. Manche differenzieren zwischen einer Basisversorgung und einer weiterführenden Betreuung durch Spezialisten, welche in der Regel durch Überweisung an ein Krankenhaus oder Spezialistenzentren/-praxen erfolgt. In anderen Ländern basiert die Versorgung auf einem einheitlichen Level, wobei interessierte Allgemeinzahnärzte umfassendere parodontologische Fertigkeiten durch kontinuierliche berufliche Weiterqualifikation erlangen können.

Die optimale Behandlung der Stadium-III- und Stadium-IV-Parodontitis ist in den meisten Gesundheitssystemen durch ein signifikantes Ungleichgewicht bezüglich Verfügbarkeit und Zugriff auf eine spezialisierte parodontale Versorgung limitiert. Es besteht dringender Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Verfügbarkeit einer adäquaten Patientenversorgung, insbesondere im Hinblick auf den immensen Zeitbedarf und die erheblichen Folgekosten, die eine unbehandelte schwere (Stadium III und IV) Parodontitis nach sich ziehen kann.

Spezialisierung in der Zahnmedizin

Das Deutsche Zahnheilkundegesetz sieht keine qualifikationsspezifischen Einschränkungen der zahnärztlichen Berufsausübung vor. Mit der Approbation darf der Zahnarzt/die Zahnärztin das gesamte Spektrum der Zahnheilkunde ausüben. In Bezug auf Patienten mit einer schweren Parodontitis stellt sich dabei die Frage:

Welcher Versorgungslevel ist für das Management tiefer Resttaschen mit oder ohne Knochentaschen oder Furkationsbefall nach Abschluss der ersten und zweiten Therapiestufe notwendig?

Chirurgische Therapieansätze sind effektiv, jedoch auch komplex. Deshalb sollten diese Interventionen durch spezifisch fort- oder weitergebildete Zahnärzte durchgeführt werden. Der Zugang zu dieser qualifizierten Versorgung sollte für die Patienten verbessert werden.

Parodontalchirurgische Qualifikation

Weiterführende parodontalchirurgische Maßnahmen (regenerative, mikrochirurgische Eingriffe und chirurgische Behandlung von Furkationsbefall) gehen über den Umfang und die Kompetenz eines Allgemeinzahnarztes hinaus [4]. Gleiches gilt für mikrochirurgische und plastische mucogingival-chirurgische Techniken zur Deckung von Rezessionen.

Abb. 2: Entwicklung der Teilnehmendenzahlen am Curriculum Parodontologie seit 2012

Dentale Curricula (seit 2007 an der Sanitätsakademie der Bundeswehr unter der Leitung von Oberstarzt Dr. Eger, Oberfeldarzt Dr. Weyer und Oberfeldarzt Dr. ­Thierbach etabliert) zur Parodontaltherapie verschaffen den Teilnehmenden einen Einblick in solche Behandlungen. Sie sind jedoch nicht darauf ausgerichtet, ausreichende Fähigkeiten zur Durchführung solcher Eingriffe zu vermitteln (Abbildung 2). Dazu ist zusätzliches Training nötig, das durch kontinuierliche berufliche Weiterentwicklung und über parodontologische Fachgesellschaften in den meisten Ländern verfügbar ist.

Curriculare parodontologische Weiterbildung in Koblenz

Im Gegensatz zu den kurzen Fortbildungskursen an der Sanitätsakademie ist die postgraduale dreijährige Ausbildung im Fach Parodontologie, die seit 1998 in der Abteilung XXIII – Zahnmedizin – des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz durchgeführt wird, speziell darauf ausgerichtet, dem teilnehmenden SanStOffz Zahnarzt die Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, solche komplexen Probleme behandeln zu können [5][8].

Seit mehr als 40 Jahren wird für die SanStOffzZahnarzt – jeweils an die aktuellen parodontologischen Behandlungsrichtlinien angelehnt – einmal jährlich eine curriculäre Fachweiterbildung realisiert. Seit 2011 besteht die Möglichkeit zur Erlangung eines Tätigkeitsschwerpunkts in Parodontologie. Die 148 CE-Stunden Fortbildung erfolgt entsprechend den Richtlinien der „Akademie Praxis und Wissenschaft in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ (APW) und Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO). Die Schwerpunkte der einzelnen Module sind der Abbildung 3 zu entnehmen.

Abb. 3: Curriculum „Parodontal-Therapie“, wie es am BwZKrhs Koblenz entwickelt wurde

 

Fortbildung zum Fachzahnarzt

Um die Fähigkeiten zum „complex treatment“ in der Parodontologie zu vertiefen, wird dem SanStOffz Zahnarzt eine dreiwöchige Hospitation in einem parodontologisch ausgerichtetem Behandlungszentrum der Bundeswehr ermöglicht. Hierbei erlangt die Zahnärztin/der Zahnarzt aufbauend zur curricularen Fachweiterbildung weiterführende theoretische und praktische Behandlungsoptionen. Diese Fortbildung befähigt Behandelnde zur Therapie von interdisziplinären Fällen bis Stadium III unter Anwendung von minimalinvasiven, parodontalchirurgischen Eingriffen.

Abb. 4: Minimalinvasiver parodontalchirurgischer Eingriff zur Regeneration parodontaler Strukturen

Abschließend besteht die Möglichkeit, die dreijährige Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Parodontologie und Parodontal-Spezialisten gem. DG PARO zu erlangen. Aufgrund der wenigen kurativ tätigen curricular oder höherwertig ausgebildeten Zahnärztinnen und Zahnärzte sollte die Spezialisierung vorangetrieben werden, um den bestehenden Versorgungsbedarf zu decken.

Literatur

  1. Graziani F, Gennai S, Cei S, Cairo F, Baggiani A, Miccoli M, Gabriele M, Tonetti M: Clinical performance of access flap surgery in the treatment of the intrabony defect. A systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. J Clin Periodontol 2012; 39(2): 145-156. mehr lesen
  2. Graziani F, Gennai S, Karapetsa D, Rosini S, Filice N, Gabriele M, Tonetti M: Clinical performance of access flap in the treatment of class II furcation defects. A systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. J Clin Periodontol 2015 Feb; 42(2): 169-181. mehr lesen
  3. Sanz M, Herrera D, Kebschull M et al.: Treatment of stage I-III periodontitis-The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol 2020; 47 Suppl 22(Suppl 22): 4-60. mehr lesen
  4. Sanz M, Meyle J: Scope, competences, learning outcomes and methods of periodontal education within the undergraduate dental curriculum: a consensus report of the 1st European Workshop on Periodontal Education--position paper 2 and consensus view 2. Eur J Dent Educ 2010; 14 Suppl 1: 25-33. mehr lesen
  5. Sanz M, van der Velden U, van Steenberghe D, Baehni P: Periodontology as a recognized dental speciality in Europe. J Clin Periodontol 2006; 33(6): 371-375. mehr lesen
  6. Thomson WM, Broadbent JM, Poulton R, Beck JD: Changes in periodontal disease experience from 26 to 32 years of age in a birth cohort. J Periodontol 2006; 77(6): 947-954. mehr lesen
  7. Thomson WM, Shearer DM, Broadbent JM, Foster Page LA, Poulton R: The natural history of periodontal attachment loss during the third and fourth decades of life. J Clin Periodontol 2013; 40(7): 672-680. mehr lesen
  8. Van der Velden U, Sanz M: Postgraduate periodontal education. Scope, competences, proficiencies and learning outcomes: consensus report of the 1st European Workshop on Periodontal Education--position paper 3 and consensus view 3. Eur J Dent Educ 2010; 14 Suppl 1: 34-40. mehr lesen

Für die Verfasser
Oberstarzt Dr. Thomas Eger
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Abteilung XXIII – Zahnmedizin
E-Mail: thomas2eger@bundeswewhr.org

Vortrag im Arbeitskreis Zahnmedizin beim 52. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 16. Oktober 2021 in Koblenz