Wehrmedizinische Monatsschrift

INNOVATION IN DER KRISE

Telemedizin in Zeiten von „Influenza“ und „Corona“

Patrick L. Scheida

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXI – Mikrobiologie; Labor für Med. Parasitologie

 

Einleitung

Auf die Nutzung von Tele-Health Anwendungen hat die derzeitige Coronavirus-Krise große Auswirkungen. Eigentlich ist bekannt, wie nützlich Telemedizin bei Influenzaepidemien und ähnlichem Infektionsgeschehen sein kann. Während aber bislang die Telemedizin eher langsam in den verschiedenen Gesundheitsbereichen adaptiert wurde, erleben wir jetzt einen regelrechten Boom.

Die SARS-CoV-2 Epidemie bzw. Pandemie hat im Gesundheitswesen zu einem explosionsartigen Anstieg der Nutzung von Telemedizinanwendungen inklusive Videokonferenzen etc. geführt.

Die aktuellen Herausforderungen, die auf unser Gesundheitssystem zukommen, sind in der COVID-19-Pandemie begründet. Sie betreffen aber eigentlich alle Patienten, die an anderen akuten oder chronischen Erkrankungen leiden. Die Bereitstellung der adäquaten medizinischen Kapazitäten ist die kritische Größe. Gleichzeitig ist es wichtig, das Personal des Gesundheitswesens bestmöglich zu schützen, um die dringend benötigten Kapazitäten weiter vorhalten zu können. Telemedizin ist ein Tool, das zum Erreichen dieser Primärziele beitragen kann.

Im Folgenden sollen einige Hintergründe erörtert und Beispiele für die mögliche Nutzung von Telemedizin in Verbindung mit einem Infektionsgeschehen gegeben werden.

COVID-19 – Booster für Tele-Health

Für denjenigen, der sich länger mit der Thematik „Tele-Health“ befasst, ist es nicht wirklich eine Überraschung, dass in Zeiten von Epidemien (z. B. Influenza) oder Pandemien (z. B. COVID-19) gerade die Telemedizin (bzw. Tele-Health) (wieder-)entdeckt wird, ermöglicht deren Einsatz doch die Versorgung zahlreicher Patienten, ohne dass diese in die Arztpraxis oder ins Krankenhaus kommen müssen. Die Hilfe kommt so zu den Patienten, während diese zuhause bleiben. Die enorme Ausweitung telemedizinischer Anwendungen (Videosprechstunden etc.), die derzeit im zivilen Gesundheitsbereich angeboten werden, lässt die Tragweite nur erahnen, wie Telemedizin als Tool für das „social distancing“ im Gesundheitssektor beitragen kann.

Obwohl der Nutzen von Telemedizinanwendungen eigentlich gut belegt und untersucht ist, stellt sich gerade in solchen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, ein regelrechter Telemedizin-Boost ein. Die Geschwindigkeit, mit der telemedizinische Verfahren implementiert und genutzt werden, ist derzeit atemberaubend.

Gerade auch für häufig auftretende infektiöse Erkrankungen, wie grippale Infekte, ist eine Vermeidung von Praxisbesuchen mit entsprechendem Ansteckungsrisiko für Patientinnen/Patienten wie für medizinisches Personal sinnvoll. Insbesondere in den Zeiten der jährlichen Influenza-Epidemie sowie anderer Epidemien oder Pandemien, wie beispielsweise der Coronavirus-Pandemie durch SARS-CoV-2 (COVID 19), kann besonders der Einsatz telemedizinischer Verfahren (Video-Sprechstunde o. ä.) grundlegend zur Vermeidung der Verbreitung von Infektionen beitragen (Infektionsschutz).

Telemedizin in der Infektiologie

Der Einsatz von Telemedizin im Management von akuten und chronischen Infektionskrankheiten wird bereits seit Jahren praktiziert und ist gut untersucht. Diagnose, Behandlung und Nachsorge von Patienten mit Pneumonien, Infektionen der oberen Luftwege, Hauterkrankungen, urologischen Problemen, HIV, HCV, Tuberkulose und bakterieller Endokarditis waren schon bislang die Hauptfelder für den Einsatz von Telemedizin in der Infektiologie. Telemedizin-Anwendungen haben schon immer dazu beigetragen, sowohl einzelne Infektionen behandeln zu können (individualmedizinischer Aspekt) als auch Infektionsketten zu unterbinden (Public Health-Aspekt). Die Hinzuziehung von Infektiologen, Parasitologen etc. via Telemedizin als „primary or secondary opinion“ entspricht exakt den Anwendungsprinzipien und Zielen von Telemedizin-Anwendungen im Allgemeinen.

Aufgrund ihrer Infektiosität in „Isolation“ befindliche Patienten können mittels Telemedizin erreicht werden.

 

Ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt unter Wahrung der Gebote des „Social Distancing“ wird wie hier durch Telekonsultation möglich – Benefit für Patient und Gesundheitsdienst.

Beispiele für derartige Telemedizin-Anwendungen im Rahmen von Infektionsgeschehen finden sich im Rahmen von Ebola-Outbreaks bereits 2014-2016, bei späteren Ausbrüchen auch mit Videokonferenzrobotern. Bei der SARS-Epidemie 2003 hat insbesondere Taiwan erfolgreich auf Telekonsultation gesetzt. In der Schweiz ist Telemedizin vor allem im Rahmen von Influenza-Epidemien eingesetzt worden. Auch im aktuellen COVID-19-Ausbruch in China wurde Telemedizin (regelrechte „virtuelle Krankenhäuser“) erfolgreich eingesetzt (z. B. das Emergency Telemedicine Consultation System ETCS). Auch in den USA wurde der Einsatz von Telemedizin-Anwendungen wegen der COVID -19 Pandemie deutlich unterstützt und erweitert. Australien hat ein „Medicare Support at Home“-Programm mit Telehealth aufgelegt, um COVID-19 zu bekämpfen.

Hinzu kommt jetzt eben immer stärker die Anwendung von Telemedizin im Rahmen von epidemischem oder pandemischem Infektionsgeschehen.

Grundsätzlich gilt:

Nicht nur die möglichen Benefits von Telemedizin-Anwendungen für die Patienten sollten beachtet werden, sondern auch die Vorteile für die im Gesundheitsdienst Tätigen.

Neben den vordergründigen Vorteilen (bessere Patientenversorgung, Einfluss auf Public Health und Kosteneinsparung) zeigt sich, dass die im Gesundheitsdienst Tätigen sich wieder auf ihre eigentlichen Kernaufgaben konzentrieren können und so ihre „Durchhaltefähigkeit“ steigern. Telemedizin (bzw. Tele-Health) ist eine praktikable Lösung für flexible Arbeitsgestaltung, Optimierung der Arbeitsabläufe und damit Arbeitszufriedenheit. Und all das sollte sich wieder gewinnbringend auf die Patienten auswirken.

Während der aktuellen COVID-19-Pandemie hat es sich sehr schnell herausgestellt, dass ...

Weitere erkennbare Benefits der Nutzung
von Telemedizin-Anwendungen während
der COVID-19 Pandemie

Genau jetzt ist daher auch der Zeitpunkt dafür zu sorgen, dass dieser Boom nicht auf solche Szenarien beschränkt bleibt.

Der Nutzen ist ja nicht sofort nach Ende der Pandemie wieder vorbei! Nur wenn solche Szenarien mit einer starken Nutzung von Telemedizin (-Fachanwendungen) geübt bzw. in der täglichen Routine genutzt werden, können sie ihre Stärke vollends im Rahmen solcher Ausbruchsgeschehen auch ausspielen.

Expertenwissen für die tägliche Routine

Der Erfolg von Telemedizin-Fachanwendungen liegt grundsätzlich in den (dezentralen) Fachbereichen, so dass die Anwendungen in die tägliche Routine einfließen können und beide Herangehensweisen, der direkte Patientenkontakt sowie telemedizinische Kontakte, Hand in Hand gehen. Das ermöglicht auch einen besseren Workflow, ein besseres Zeitmanagement und bessere administrative Vorgänge. Ein zentrales Strukturelement für Telemedizin ist jedoch immer notwendig. Es kann im militärischen Bereich auch im internationalen (NATO oder EU) Kontext verortet sein und trotzdem gleichzeitig auf nationale Strukturen wirken. Das Potenzial einer solchen Struktur ist noch gar nicht in seiner Gänze abzusehen, so viele „benefits“ und Synergismen sind dabei ad hoc erkennbar.

Lessons for the Future

Die aktuelle COVID-19-Pandemie ist genau die richtige Zeit, sich über die „Lehren für die Zukunft“ Gedanken zu machen. Zugegeben, „lessons learned“ und „lessons for the future“ hört sich einfach besser an – aber gemeint ist, dass dieser aktuell stattfindende massive Ausbau von Telemedizinanwendungen als ad hoc-Experiment gesehen werden kann: Der Einsatz von Telemedizin im Rahmen der Pandemie hat an sich bereits den Beweis erbracht, welchen Beitrag sie beisteuern kann.

Telemedizin kann einen Beitrag dazu leisten, auf solche Szenarien bei Naturkatastrophen, Krisensituationen, epidemischem oder pandemischem Infektionsgeschehen etc. besser vorbereitet zu sein („preparedness“).

In Zukunft wird der Einsatz von Telemedizin noch häufiger und besser verfügbar sein. Auf den Gebieten Robotik oder Sensoren, Künstliche Intelligenz, Genomanalyse, Datenanalyse, Big Data, Nanotechnologie oder Virtual Reality gibt es rasante Entwicklungen, die Hand in Hand mit der Telemedizin gehen und dazu beitragen, die richtige medizinische Betreuung zum Patienten zu bringen, und das ohne Zeitverzug und an jeden Ort der Welt.

Es hängt jetzt von den Tele-Health-Wissenschaftlern sowie den Entscheidungsträgern der Gesundheitsdienste ab, die richtigen Schlüsse aus dem derzeitigen Szenario zu ziehen. Mit der entsprechenden wissenschaftlichen Begleitung kann eine Gesundheitsversorgung aufgebaut bzw. ausgebaut werden, die Telemedizin als integralen Bestandteil fest installiert. Dass dies in einigen Fachbereichen (auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr) schon funktioniert hat, ist suffizient belegt und beschrieben bzw. publiziert.

Es geht also jetzt auch darum zu beweisen und zu erkennen, dass Telemedizin wichtig für die Gesundheitsversorgung (national sowie für Einsatzkontingente) ist und nicht nur durch solche Krisensituationen hilft.

Und wir sollten nicht vergessen –
die nächste Epidemie/Pandemie kommt bestimmt!

Manuskriptdaten

Zitierweise

Scheid PL: Innovation in der Krise ­– Telemedizin in Zeiten von ­„Influenza“ und „Corona“; WMM 2020; 64(S1): e11

Verfasser

Oberstleutnant Prof. Dr. rer. nat. Patrick L. Scheid

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Abteilung XXI – Medizinische Mikrobiologie

Andernacher Str. 100, 56070 Koblenz

E-Mail: patrickscheid@bundeswehr.org

Der Verfasser ist Leiter des „TeleHealth Team in der NATO COMEDS HIST Working Group“, Projektoffizier Telemikrobiologie SanDstBw und Mitglied im „Digital Health Roster of Experts der WHO“