Wehrmedizinische Monatsschrift

WENN KEINE LÖSUNG VORHANDEN IST

Entwicklung einer Methode zur Herstellung
einer sondengängigen Suspension aus
Kaletra®-Filmtabletten (200mg/50mg)

Jennifer D. Schmitz a 1, Marvin B. Brennera 1 , Claudia Bäßler a, Jens Müller a, Vinh H. Le a

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIV – Apotheke

 

Einleitung

Die aktuelle Covid-19-Pandemie stellt das Personal in Krankenhäusern sowohl vor therapeutische als auch pharmazeutisch-logistische Herausforderungen. Da derzeit noch keine Leitlinien zur Behandlung von Erkrankungen durch SARS-CoV-2 existieren, basiert die Therapieführung auf unterschiedlichen Ansätzen [5][9].

Überwiegend besteht das Therapieregime hierbei initial aus festen Arzneiformen. Besonders Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf werden im Laufe der Behandlung beatmungspflichtig, sodass dann ein Wechsel auf eine entsprechende sondengängige Applikationsform des/der Arzneimittel erforderlich ist.

Problemstellung

Gemäß Behandlungsleitlinie des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) Koblenz bilden Kaletra®-Tabletten (200 mg/50 mg) die First-Line Therapie zur Behandlung von COVID-19. Hierbei handelt es sich um ein Kombinationspräparat aus den beiden HIV-Proteaseinhibitoren Lopinavir (LPV) und Ritonavir (RTV) [5].

Die Versorgung mit Kaletra®-Tabletten ist in Folge der frühzeitigen Bevorratung als zufriedenstellend anzusehen [4]. Ein weiterer Bestand aus der zentralen Beschaffung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) dient als zusätzliche Sicherheit [3]. Das zentrale Bevorratungskonzept des BMG sieht bisher nur die Tabletten vor [3].

Die Tablettenformulierung lässt keine Möglichkeit für eine adäquate Rekonstitution der Arzneiform auf Station zu: Gemäß der Fachinformation ist die Tablette nicht mörserbar [6]. Des Weiteren liegt für beide Arzneistoffe eine ungenügende Löslichkeit in Wasser vor [10][11].

Seitens des Herstellers AbbVie Inc. ist eine ethanolische Lösung (Lsg.) als Fertigarzneimittel (FAM) marktverfügbar [7], primär gedacht für die Behandlung HIV-positiver Kinder. Allerdings ist zu befürchten, dass es aufgrund von erhöhter Nachfrage zu Lieferengpässen kommen könnte. Um einem solchen Versorgungsengpass zu begegnen ist die Eigenherstellung einer ethanolischen Lösung aus Tabletten eine rationale Alternative. Sollte es zu einer mangelnden Lieferfähigkeit der Kaletra®-Lösung kommen, besteht so für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit, Einzeldosen patientenindividuell auf Rezept in der Apotheke als Magistralrezeptur anzufordern [2].

Ziel der Untersuchung ist es eine Methode zu entwickeln, mit der mit minimalem apparativem Aufwand eine sondenapplizierbare Suspension aus den verfügbaren Tabletten hergestellt werden kann.

Methodik

Zu Beginn der Methodenentwicklung stellte sich die Frage der Auswahl eines geeigneten Lösungsmittels. Da Wasser aufgrund der schlechten Löslichkeit der Wirkstoffe nicht in Betracht gezogen werden konnte, wurde in Anlehnung an das Fertigarzneimittel (Kaletra® (80mg + 20mg)/ml Lösung zum Einnehmen 5x60ml N2, PZN: 01587510) eine Ethanol-Wasser-Mischung 43 % (V/V) hergestellt [7].

Unterschiedliche Ansatzvolumina wurden getestet, um eine möglichst optimale Extraktionsausbeute bei geringst möglicher Ethanolexposition für den Patienten zu erreichen. Hierzu wurden einzelne Tabletten fein gemörsert, in einen 100 ml Jodzahlkolben mit Schliff überführt und mit Ethanol 43 % (V/V) versetzt. Die Ansätze wurden mindestens 5 min lang manuell dispergiert bis eine homogene Suspension vorlag.

Tab. 1: Ansatzgrößenvergleich

Visuelle Beurteilung

Die Beobachtungen erfolgten im Anschluss an die Herstellung, nach 24 h sowie im weiteren Verlauf. Grundsätzlich war festzustellen, dass die Viskosität der Ansätze unmittelbar nach der Herstellung nur geringfügig von der Viskosität des Lösungsmittels abwich. Nach 24 h war eine erhebliche Steigerung der Viskosität beobachtbar. Der Ansatz P3 (2 Tbl. in 30 ml) zeigte über alle Zeiträume jeweils die im Vergleich geringste Viskosität. Die Zerfallsgeschwindigkeiten ebenso wie das Aussehen der Lösung aller Proben unterschieden sich unwesentlich. Es wird davon ausgegangen, dass eine Sondenapplikation trotz der Viskositätszunahme möglich ist.

Filtration

Die Applikation am Patienten sollte durch einen zusätzlichen Filtrationsschritt erleichtert werden. Hierbei wurden unterschiedliche Ansätze verfolgt. Eine Filtration mittels Membranfilter unterschiedlicher Porengrößen (0,22 µm, 0,45 µm und 5 µm) erwies sich als nicht praktikabel, da aufgrund des hohen Feststoffanteils die Poren schnell verstopften. Als alternative Methode wurde eine Sedimentabtrennung mittels Zentrifugation durchgeführt. Hierzu wurden die Ansätze in ein ausreichend großes Tube gegeben und 10 min bei 4 000 rpm zentrifugiert.

Analytische Vorgehensweise

Zur weiteren Bearbeitung wurde P1 dreimal aufgearbeitet. Die Proben P2 und P3 wurden jeweils sechsmal aufgearbeitet, wobei je 3 Ansätze durch denselben Mitarbeiter hergestellt wurden. Durch dieses Vorgehen sollte die Reproduzierbarkeit der Extraktion sowie die Unabhängigkeit vom Durchführenden gezeigt werden. Nach der Probenaufbereitung wurde die Stammlösung für weitere Stabilitätsuntersuchungen bei 2-8 °C kühl gelagert.

Quantitative Analytik

Um die Suspension für eine HPLC-gestützte quantitative Analytik zugänglich zu machen, wurde auf eine Arbeitskonzentration von 0,1 mg/ml LPV verdünnt, entsprechend einer RTV- Arbeitskonzentration von 0,025 mg/ml. Anschließend wurden 1,5 ml der entstandenen Suspension abgenommen und in ein Eppendorf-Tube für eine 10-minütige Zentrifugation bei 15 000 rpm überführt. 0,5 ml des klaren Überstandes wurden in ein HPLC-Glasvial dekantiert und in den Sample Table der HPLC gestellt.

Als Grundlage für die Methodenentwicklung wurde auf bereits publizierte analytische Methoden zurückgegriffen [8][12]. Es wurden einige Anpassungen vorgenommen. In Tabelle 2 findet sich eine Auflistung der Parameter des verwendeten chromatografischen Systems.

Tab. 2: Chromatografische Parameter für die quantitative Analytik

In Abbildung 1 sind die chromatografischen Verläufe der beiden Substanzen dargestellt. Für LPV ergab sich eine Retentionszeit von 3,4 min, für RTV betrug sie 2,7 min. Selbst nach einer Analysenzeit von 25 min wurden keine weiteren Artefakte festgestellt. Daher wurde die Laufzeit auf 6 min begrenzt.

Abb. 1: Beispielchromatogramm (oben: Ritonavir, unten: Lopinavir)

Aufgrund begrenzter Zeit und mangelnder Verfügbarkeit geeigneter Referenzsubstanzen wurden die nachfolgend genannten Möglichkeiten zur Identifikation der Peaks verwendet:

  1. Vergleich der gemessenen Spektren mit den in der Literatur publizierten Spektren [8] (siehe Abbildungen 2 und 3)
  2. Vergleich der Spektren der selbst hergestellten Suspension mit den Spektren der Kaletra®-Lösung
     
  3. Abb. 2: Overlay Spektren LPV/RTV aus der Literatur [8]

    Abb. 3: Gemessene Spektren für LPV (oben) und RTV (unten)

    Bewertung und Diskussion

    Vergleich Suspensionsherstellung (Wasserbasis vs. Ethanol-/Wassergemisch)

    Der Hersteller von Kaletra® (AbbVie Inc.) schlägt in einer Anlage zur Fachinformation eine Suspensionsherstellung auf Wasserbasis vor, wenn Tabletten nicht eingenommen werden können und die Lösung nicht zur Verfügung steht [1]. Es wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Herstellungsweise nur im Notfall angewendet werden sollte. Als Notfall ist zu verstehen, dass eine Versorgung des Patienten anderweitig nicht gewährleistet werden kann.

    Gemäß dieser Herstellungsanweisung soll eine Tablette in mindestens 10 ml Leitungswasser überführt und dieser Ansatz für mindestens 4 h ohne mechanische Einwirkung bei Raumtemperatur stehen gelassen werden. Im Anschluss soll die Suspension leicht umgerührt und über die Sonde gegeben werden. Von einer Lagerung über 24 h ist aus Stabilitätsgründen abzusehen [1].

    Abbildung 4 zeigt einen Vergleich der Extraktionsausbeuten nach Probenaufarbeitung mit der AbbVie-Notfallmethode sowie durch unsere ethanolische Extraktion. Es ist ersichtlich, dass die Ausbeuten bei Verwendung von Wasser als Lösungsmittel wesentlich niedriger ausfallen; so wird für LPV eine Ausbeute von 27,6 % und für RTV eine von 17,4 % erzielt.

    Abb 4: Flächenvergleich: Probenherstellung gem. Herstelleranweisung AbbVie (1 Tbl. in 10 ml H2O) vs.eigene Probenherstellung; als Fehlerindikator wird die Standardabweichung der jeweiligen Messreihe angegeben (n = 3)

    Des Weiteren wird beobachtet, dass der Tablettenkern ohne mechanische Einwirkung in Wasser nicht ausreichend zerfällt. Wird durch Schütteln oder Schwenken versucht eine homogene Suspension zu erreichen, tritt Schaumbildung auf. Diese kann eine Sondenapplikation erschweren.

    Aufgrund der geringen Extraktionsausbeuten sowie der Schaumbildung beim Schwenken kann die vom Hersteller angegebene „Notfallmethode“ nicht empfohlen werden.

    Vergleich unterschiedlicher Suspensionsherstellungen (Ethanol-/Wassergemisch )

    Die Proben P1-P3 wurden nachfolgend hinsichtlich der erzielten Extraktionsausbeute miteinander verglichen. Um diese in der HPLC gestützten Analytik mit einander vergleichen zu können, wurden alle Proben auf eine Arbeitskonzentration von 0,1 mg/ml LPV verdünnt.

    Der Mittelwert der LPV/RTV Flächen der Kaletra®-Lösung FAM wurde als 100 % definiert. Alle weiteren Flächen wurden in Relation zu diesem Standard gesetzt.

    Abb. 5: Flächenvergleich der Proben (P1-P3) mit der Kaletra® Lösung FAM; als Fehlerindikator wird die Standardabweichung der jeweiligen Messreihe angegeben (n = 6)

    Es ist zu sehen, dass die Extraktionsausbeute mit zunehmendem Lösungsmittelvolumen gesteigert werden kann. Als Spezifikationsgrenze wurde eine Extraktionsausbeute von mindestens 90 % gefordert. Diese Bedingung wird nur durch die Proben P2 und P3 erfüllt. Die Probe P3 zeigte die höchste durchschnittliche Extrak­tionsausbeute von 101,9 % für LPV sowie 99,1 % für RTV. Im Vergleich dazu wurde bei Probe P2 eine durchschnittliche Extraktionsausbeute von 95,4 % für LPV sowie 92,8 % für RTV erzielt. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass die Extraktionsausbeuten mitarbeiterunabhängig reproduzierbar hohe Werte annehmen. Die durchschnittliche Extraktionsausbeute P2 von Mitarbeiter A betrug 96,3 % für LPV und 94,3 % für RTV, von Mitarbeiter B 94,5 % für LPV und 91,4 % für RTV.

    Ethanolexposition des Patienten

    Das Therapieregime sieht eine Applikation von je zwei Tabletten alle 12 h vor. Daraus ergibt sich eine unterschiedliche tägliche Ethanolexposition für den Patienten, je nachdem, ob Probe P2, P3 oder das Kaletra® FAM appliziert wird.

    Tab. 2: Vergleich der Ethanloaufnahmen des Patienten (*Ethanol­gehalt (V/V) FAM:42,40 %, P2/P3: 43 %)

    Es ergibt sich für Probe P2 eine zweimal tägliche Ethanolexposition von je 6,8 g. Für Probe P3 ergibt sich eine zweimal tägliche Ethanolexposition von je 10,2 g. Hierzu im Vergleich steht eine zweimal tägliche Ethanolexposition von je 1,7 g bei Anwendung des FAM.

    Die Entscheidung über die Applikation von P2 oder P3 ist patientenindividuell vom behandelnden Arzt zu treffen.

    Stabilitätsuntersuchung

    Zur Frage, wie lange eine selbst aus Tabletten hergestellte Lösung stabil bleibt, wurden Stabilitätsuntersuchungen durchgeführt. Verdünnungen aus den Proben P2/P3 wurden frisch hergestellt und an folgenden Tagen [d] gemessen: 0, 1, 2, 7. Die Proben wurden während der Bearbeitung durchgängig bei 2-8° C gelagert.

    Abb. 6: Stabilitätsuntersuchung der Proben P2 und P3

    Abbildung 6 ist zu entnehmen, dass kein Abbau der Wirkstoffe über einen Zeitraum von 7 Tagen zu beobachten war. Tatsächlich wurde eine leichte Zunahme der relativen Gehälter im Vergleich zum Standard festgestellt. Besonders stark war die Zunahme des relativen Gehalts an LPV in P3. Möglicherweise lässt sich diese Gehaltssteigerung durch zeitabhängige Lösungsphänomene erklären, wobei keine weiteren Untersuchungen diesbezüglich geplant sind.

    Fazit

    Die durch unsere Krankenhausapotheke angebotene Dienstleistung zur Herstellung einer Suspension aus ­Kaletra®-Filmtabletten (200 mg/50 mg) ist für den Fall einer Nichtverfügbarkeit oder einer Nichtbeschaffbarkeit der Kaletra®-Lösung (80 mg/20 mg) eine erwägenswerte Möglichkeit. Die Herstellung ist zeitlich effizient und ohne großen apparativen Aufwand praktikabel, sodass beatmungspflichtige Patienten schnellstmöglich und zielgerichtet versorgt werden können. Als Anforderungsgrundlage ist die Vorlage eines Rezeptes durch den behandelnden Arzt unabdingbar [2].

    Literatur

    1. AbbVie Inc.: Herstellung einer Suspension aus Kaletra-Tabletten. Fachinformation, zur Verfügung gestellt von AbbVie am 25. März 2020
    2. Arzneimittelüberwchungsbeauftragter der Bundeswehr (AMÜBBw): Genehmigung zur Herstellung einer Lösung zur oralen Applikation bzw. zur Applikation über Magensonde. Nachricht vom 02. April 2020.
    3. Bundesministierium für Gesunhdheit: Verteilung der zentral beschafften Arzneimittel Kaltera®, Avigan®, Foipan®, und chloroquinhaltiger Arzneimittel. BMG 2020: AZ 114-42002-00 vom 23. März 2020.
    4. Bundeswehrzenralkrankenhaus Koblenz: Bevorratung von Medikamenten zur Behandlung einer Conora-Infektion. BwZKrhs Koblenz, Abt. I -Innere Medizin -, Mitteilung vom 15.03.2020.
    5. Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz: Behandlungsleitfaden Infektionsstation 22F1. BwZKrhs Koblenz vom 24. März 2020.
    6. European Medicines Agency: Fachinformation Kaletra® (100 mg/ 50 mg) Filmtabletten. : 49-94, aufgerufen 19. April 2020. mehr lesen
    7. European Medicines Agency: Fachinformation Kaletra® (80 mg + 20 mg)/ml Lösung zum Einnehmen. : 2-48, aufgerufen 19. April 2020. mehr lesen
    8. Hiremath SN, Bhirud CH: Development and validation of a stability indicating HPLC method for the simultaneous analysis of lopinavir and ritonavir in fixed-dose combination tablets.Journal of Taibahn University Medical Sciences 2015; 10(3): 271-277. mehr lesen
    9. Müller F, Rauschning D, Mathies D et al.: Diagnostik, Therapie und klinischer Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion – Kasuistik. WMM 2020; (S1): e12. mehr lesen
    10. National Center for Biotechnology Information. PubChem Database Ritonavir, CID=392622. , letzter Aufruf 19. April 2020) mehr lesen
    11. National Center for Biotechnology Information: PubChem Database Lopinavir, CID=92727., letzter Aufruf 19. APril 2020. mehr lesen
    12. Rathnasamy R, Karuvalam RP, Pakkath R, Kamalakannan P, Sivasubramanian A: RP-HPLC Method Development and Method Validation of Lopinavir and Ritonavir in Pharmaceutical Dosage Form. Am J Clin Microbiol Atimicrob 2018; 1(1): 1002. mehr lesen

    Manuskriptdaten

    Zitierweise

    Schmitz JD, Brenner MB, Bäßler C, Müller J, Le VH: Entwicklung einer Methode zur Herstellung einer sondengängigen Suspension aus ­Kaletra® Filmtabletten (200 mg/50 mg). WMM 2020; S1: e14.

    Für die Verfasser

    Leutnant SanOA Jennifer D. Schmitz

    Leutnant SanOA Marvin B. Brenner

    Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

    Abteilung XXIV – Apotheke

    Rübenacher Str. 160; 56072 Koblenz

    E-Mail: marvin.brenner57@gmail.com

1 Jennifer D. Schmitz und Marvin B. Brenner sind in gemeinsamer Erstautorenschaft zu gleichen Teilen an der Datengenerierung und dem Erstellen des Artikels beteiligt.