Wehrmedizinische Monatsschrift

PALLIATIVMEDIZIN UND COVID-19

Konzept zur klinischen palliativmedizinischen
Versorgung im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie 2020

 

Joachim Marquardta, Dominik Schenk a, Thomas Andrée b, Ursula Simonc, Erich Sieber d, Ulrike Wagner a

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Klinik für Innere Medizin

b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Pflegedienstleitung

c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

d Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Abteilung Pathologie

 

Zusammenfassung

Durch den Ausbruch der SARS-CoV-2-Epidemie und die resultierende Ausbreitung als Pandemie wird das medizinische System weltweit vor die Herausforderung der Diskrepanz zwischen einer hohen Zahl zu versorgender Patienten und den begrenzten medizinischen Versorgungsressourcen gestellt. In dieser Lage der Katastrophenmedizin reduzieren sich alle Bereiche der Patientenversorgung auf ein Minimum und existenziell Unverzichtbares. Auch die Palliativversorgung von SARS-Cov-2-Infizierten ohne kuratives Therapieziel konzentriert sich auf einen kleinen Teil der ansonsten sehr komplexen Palliativmedizin – nämlich auf die Begleitung in der letzten zeitlich deutlich begrenzten Lebensphase und dem Sterbeprozess als Sterbebegleitung. Dies stellt an Organisation, Logistik, Infrastruktur, Material und vor allem an das medizinische Personal erhebliche Anforderungen.

Der Artikel zeigt auf, welche palliativmedizinischen Konzepte vor Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz bereits bestanden und welche Anpassungsleistungen im Rahmen der aktuellen Situation erfolgten, um auch in dieser Ausnahmesituation als interdisziplinäres und multiprofessionelles Team Handlungssicherheit für alle Akteure in der Versorgung dieser Schwerstkranken zu gewährleisten und den Sterbenden eine bestmögliche Behandlung zu Teil werden zu lassen.

Auch in der Wehrmedizin hat genau dieses Szenario eine enorm wichtige Bedeutung. Für den Soldaten ist die Gewissheit einer palliativmedizinischen Betreuung und Sterbebegleitung im schlimmsten Fall einer todbringenden Verletzung oder Verwundung trostspendend und ein Garant zum Erhalt der Menschenwürde. Hierzu ist auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr verpflichtet.

Schlüsselwörter: SARS-CoV-2-Epidemie, Palliativmedizin, Triagierung, Militärmedizin

Keywords: SARS-CoV-2-epidemic, palliative care, triage, militaty medicine

SARS-CoV-2-Pandemie und Palliativmedizin

Mit Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie und den ersten offiziell bestätigten Fällen im Dezember 2019 in der zentralchinesischen Provinz Hubei (Hauptstadt Wuhan) [11] wurde unsere Bevölkerung mit schwerwiegenden Fragestellungen konfrontiert. So kann es in Zeiten von Ressourcenknappheit erforderlich werden, auf struktureller, personeller und materieller Ebene medizin-ethisch kritische Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen sind nicht nur für die Patienten weitreichend, sondern bergen auch für das betroffene medizinische Personal die Gefahr von schweren seelischen Belastungen [2].

In dieser Arbeit wird die Fragestellung der palliativmedizinischen Versorgung schwerstkranker Patienten, hier SARS-Cov-2-Infizierten, mit Verlust des Therapieziels der Heilung, gerückt. Es soll aufgezeigt werden, welche Konzepte im Vorfeld der Pandemie am Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz bestanden und wie diese im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen angepasst wurden. Zudem verfolgt diese Arbeit die Absicht, die hohe Relevanz einer professionellen und gut strukturierten Palliativversorgung in der regulären Patientenversorgung, aber auch besonders in Krisen- und Katastrophenzeiten, für alle Beteiligten aufzuzeigen.

Bestehendes Palliativmedizinisches Konzept des BwZKrhs Koblenz

Das BwZKrhs in Koblenz etablierte im Jahr 2019 ein grundlegend neustrukturiertes, interdisziplinäres und multiprofessionelles Palliativkonzept mit Schaffung zahlreicher Schnittstellen. Dieses Konzept gewährleistet die hocheffiziente Palliativversorgung von betroffenen Patienten durch einen palliativmedizinischen Konsiliardienst. Ziele sind hierbei die bestmögliche Symptomlinderung, die Verbesserung von Lebensqualität und auch möglicherweise Verlängerung der Lebenszeit sowie ggf. eine würdevolle Sterbebegleitung. Sie kommt zur Anwendung bei chronischen oder weit fortgeschrittenen Erkrankungen nach Ausschöpfen der herkömmlichen Therapiemöglichkeiten, fehlenden Therapieoptionen oder bei entsprechendem Patientenwillen.

Hierbei wurde unter Federführung der Klinik I – Innere Medizin – der Grundstein dafür gelegt, dass alle wichtigen Räder der Palliativversorgung ineinandergreifen und eine ständige Betreuung durch eigens hierfür geschultes und ausgebildetes Personal erfolgen konnte. Dieses Konzept ist auch im klinischen Informationssystem der Klinik abgebildet und kann über die prägnante Kennzeichnung der elektronischen Patientenakte ohne Umwege eingesehen werden. So wird mit Feststellung des Bedarfs einer palliativmedizinischen Versorgung auf Station eine Reaktion ausgelöst, die die verschiedenen Akteure des palliativmedizinischen Teams aktiviert. Hierzu zählen Schmerzmedizin, Seelsorge, Sozialdienst, Psychoonkologie, Physiotherapie, Bäderabteilung, Ergotherapie, Ernährungsmedizin, Pflegeüberleitung und die Palliativmedizin der Inneren Medizin. Sie begleiten vom Tag der Krankenhausaufnahme an den betroffenen Patienten in allen Belangen und unterstützen auch über den stationären Aufenthalt hinaus. Dies entlastet die für den Patienten zuständige Station auf der einen Seite und führt auf der anderen Seite zu einer ständigen Reevaluation und damit verbundenen Professionalisierung aller Akteure, die sich regelmäßig wöchentlich zu interdisziplinären Fallbesprechungen im Palliativkolloquium zusammenfinden. Neben den bestehenden Fällen werden hier stetig offene Fragen geklärt, um alle Prozesse zu optimieren, und es besteht die Möglichkeit, neue Patienten im interdisziplinären Setting vorzustellen.

Im Verlauf des Jahres 2019 wurden mit Hilfe dieses Konzeptes zahlreiche Erstberatungen und Folgeberatungen durchgeführt. Patienten mit palliativem Behandlungskonzept hatten beispielsweise pro Tag durchschnittlich 2-3 ärztliche Kontakte mit dem Palliativmediziner. Grundlage für die hochwertige Betreuung sind die regelmäßigen Visiten durch den Palliativmediziner der internistischen Klinik, die je nach Bedarf des Patienten täglich, spätestens aber nach drei Tagen, durchgeführt werden. Im Zuge dieser Visiten kann die bisherige Therapie reevaluiert und zeitnah an die aktuelle Symptomatik angepasst werden, um auf eventuelle Befundveränderungen adäquat und ohne Verzug reagieren zu können. Zusätzlich wird der betroffene Patient regelmäßig über alle Veränderungen auf dem neusten Stand gehalten und erhält die Möglichkeit, Anliegen in einem Rahmen zu kommunizieren, in dem genügend Zeit eingeräumt wird, auf alle Bedürfnisse umfassend einzugehen. Auch Gespräche mit Patient und Angehörigen zur aktuellen Situation und den bevorstehenden zu erwartenden Veränderungen im Sinne des Advanced Care Planning werden angeboten und durchgeführt.

Das bislang praktizierte System hat zudem den Vorteil, dass ein einmal als Palliativfall elektronisch gekennzeichneter Patient im System bei späteren Wiederaufnahmen in unserem Haus automatisch der Konsil-Liste des Palliativdienstes zugeführt wird. Dadurch kann eine lückenlose Weiterbetreuung und Informationsweitergabe gerade bei wiederholten stationären Aufenthalten, hausintern auch klinikübergreifend, gewährleistet werden.

Abb. 1: Palliativkonzept des BwZKrhs Koblenz bei Verfügbarkeit aller Ressourcen

Herausforderungen und Belastungen im Rahmen von Triagierung

In der jetzigen Situation der SARS-CoV-2-Pandemie und der damit verbundenen Umstrukturierung auf einen Notfall- und Krisenbetrieb besteht die Gefahr, dass die Versorgung von Palliativfällen aus dem Focus heraus und in den Hintergrund gerät. Die Lage in Krisengebieten wie Norditalien oder Straßburg [1][12] zeigt dabei umso deutlicher auf, wie wichtig eine klare Regelung und Strukturierung auch dieser Versorgungsnotwendigkeit ist. Nur durch klare Regelungen kann man auch diesen Patienten gerecht werden und gleichermaßen einer ständigen Überforderung bzw. Überbelastung des medizinischen Personals vorbeugen.

Das Triage-System, welches bereits zu Zeiten der napoleonischen Feldzüge eine militärmedizinische Errungenschaft war und eine optimale Nutzung der vorhandenen Kapazitäten im Anblick einer die Kapazitäten übersteigenden Nachfrage möglich machte [5], ist Grundlage für medizinisches Handeln in solchen Situationen. Die Anwendung dieses Systems bedeutet aber zugleich eine enorme seelische Belastung für alle Entscheidungsträger. Auf Einzelheiten zur Triagierung wird hier aufgrund der Komplexität nicht näher eingegangen; Grundlage sind hierzu aktuelle Publikationen wie beispielsweise die gemeinsame Empfehlung verschiedener Fachgesellschaften, die ad-hoc-Empfehlung des Zentralen Ethikrates wie auch der hauseigenen Ethik-Kommission. Fällt hier die Entscheidung für eine palliative Therapieoption, ist es für alle Beteiligten von immenser Bedeutung, dass den betroffenen Patienten trotz der ausweglosen Situation weitergeholfen wird und gleichzeitig ein Beitrag geleistet wird, die vorhandenen personellen Ressourcen zu schonen.

In der aktuellen Lage der SARS-CoV-2-Pandemie betrifft dies sowohl „SARS-CoV-2-Infizierte“ und „NICHT-SARS-CoV-2-Infizierte“ vor oder unter intensiver Behandlung, welche keine oder, im Vergleich zu anderen Patienten, eine schlechtere Überlebenswahrscheinlichkeit in der aktuellen Situation zugesprochen wird. Konkret wird hier von einer Triage bei Ex-ante- oder bei Ex-post-Konkurrenz gesprochen. Zur Ex-ante-Konkurrenz kommt es von vornherein, z. B. wenn zu wenig Beatmungskapazitäten zur Verfügung stehen. Zur Ex-post-Konkurrenz kommt es, wenn bei bereits mit einer invasiven Beatmung versorgte Patienten erneut begutachtet wird, ob die lebenserhaltende Behandlung noch zum Therapieziel der Kuration führt bzw. ob ein anderer Patient eine bessere Überlebenschance hat [2][6]. Beide Konkurrenzsituationen führen dabei zu einer enormen psychischen Belastung des medizinischen Personals und beim betroffenen Patienten schicksalhaft zum Tod.

Beeinflussung des palliativmedizinischen Konzepts durch Zeiten von erschöpften Ressourcen

In Zeiten vor der SARS-CoV-2-Pandemie war die Palliativmedizin – auch unter Berücksichtigung der überschaubaren finanziellen Anreize bei der Abrechnung im System der DRG (Diagnosis Related Groups) [7] und durch hohe Komplexität und Anforderungen an die Interdisziplinarität bei gleichzeitig hohem Zeitaufwand – trotz gesetzlicher Vorgaben nicht flächendeckend und vollumfänglich in medizinischen Einrichtungen etabliert. Durch die in der aktuellen Situation der SARS-CoV-2-Pandemie erschöpften Kapazitäten und sehr beschränkten Ressourcen besteht die Gefahr der Verdrängung der Palliativmedizin. Genau in dieser schwierigen Phase der Katastrophenmedizin ist jedoch die Sicherstellung der palliativmedizinischen Versorgung unverzichtbar und für alle Beteiligten, Patienten wie Personal, schließlich eine Entlastung, wenn auch in Form einer dramatischen Reduzierung auf eine reine Sterbebegleitung und damit auf einen nur winzigen, wenn auch elementaren Teil der eigentlichen vollumfänglichen Palliativversorgung.

Auch in der Militärmedizin hat genau dieses Szenario eine erhebliche Bedeutung. Für den Soldaten ist die Gewissheit einer palliativmedizinischen Betreuung im schlimmsten Fall einer todbringenden Verletzung oder Verwundung trostspendend und ein Garant zum Erhalt der Menschenwürde.

Akutmaßnahmen und Umstrukturierungen am BwZKrhs Koblenz zur Sicherstellung der ­palliativmedizinischen Versorgung während der SARS-CoV-2- Pandemie

Konzepterarbeitung

Um sich möglichst rasch auf die Möglichkeit einer notwendig werdenden palliativmedizinischen Versorgung während der SARS-CoV-2-Pandemie vorzubereiten, wurde am BwZKrhs Koblenz ab Ende März 2020 ein konkretes Konzept erarbeitet und dank eines unermüdlichen Engagements, aber auch erheblicher physischer und psychischer Belastungen einer Vielzahl von Akteuren, eine an die Rahmenbedingungen angepasste palliativmedizinische Versorgung im Sinne einer Betreuung, symptombezogenen Behandlung und Sterbebegleitung realisiert.

Schaffung eines Palliativbereiches

Für die palliativmedizinische Versorgung von SARS-CoV-2-Infizierten wird eine komplette Station mit Kapazität für 24 Patientenbetten in 12 Zimmern vorgehalten. Bei der Auswahl der Lage der Station wurde auf die räumliche Trennung zu den Versorgungseinheiten der SARS-CoV-2-Patienten mit potenzieller Überlebenschance geachtet. Dadurch sollten Patienten je nach Behandlungskonzept separat therapiert werden, um die Belastungen des Personals im Arbeitsalltag für die potenziell kurativ behandelten Patienten von denen des Personals der palliativ behandelten Patienten zu trennen. Zudem wurde das Personal für den Palliativbereich auf freiwilliger Basis rekrutiert. Dieses Vorgehen weicht von den Notwendigkeiten beispielsweise in einem Terrorszenario mit einem plötzlichen Massenanfall von Verletzen ab. Die Freiwilligkeit ist jedoch ein wichtiger Präventivfaktor zum Schutz vor Überlastung und Belastung durch diese außergewöhnliche Versorgungssituation.

Es erfolgten zahlreiche und jeweils umfangreiche Informationsveranstaltungen mit aktuellen Informationen zur Lageentwicklung, den vorhandenen personellen und materiellen Kapazitäten und dem aktuellen Patientenaufkommen, aber auch fachliche Weiterbildung insbesondere zum Umgang mit SARS-CoV-2-Patienten. Hier lag das besondere Augenmerk auf dem Selbst- und Eigenschutz, dem Nutzen der Persönlichen Schutzausstattung wie auch dem Verhalten vor, während und nach der Behandlung eines SARS-CoV-2-Patienten. Im Speziellen wurden ausführlich die palliativmedizinischen Möglichkeiten mit ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen wie auch die Nutzung und Einweisung in die hierzu notwendigen Medizinprodukte geschult.

Im Rahmen der Sterbebegleitung im Palliativbereich wurde frühzeitig ein intensiviertes Angebot zur Resilienzsteigerung implementiert. Dieses beinhaltet konkrete Angebote der Militärseelsorge, sowie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit verzugsloser Schaltung einer Hotline, einer offenen Sprechstunde und Information über notwendige Kontaktdaten. Zudem erfolgte eine ausreichende Materialbereitstellung.

Besonderheit der Isolationspflege in der Palliativmedizin

Für die Durchführung der Isolation stehen zwei grundsätzliche Konzepte zur Wahl:

Favorisiert wird, solange der Patientenstrom und die Lagedynamik dies zulassen, die Schleusenpflege pro Patientenzimmer. Dies begrenzt die Notwendigkeit des Tragens der kompletten persönlichen Schutzausstattung auf die Zeit des Verweilens im Patientenzimmer. Nachteilig ist die verzögerte Reaktionsfähigkeit, z. B. im Falle eines dringenden Behandlungsbedarfs, da erst zeitaufwändig die Schutzausstattung angezogen werden muss. Eine Betreuung des Patienten im Patientenzimmer muss geplant werden, Spontanität ist nur eingeschränkt möglich. Der Materialbedarf ist bei häufigen Schleusungen erheblich.

Alternativ dazu kann bei einem erheblichen und dichten Patientenaufkommen der gesamte Stationsbereich zu einem kompletten Isolationsbereich formiert werden. Dieses zieht jedoch die Notwendigkeit des dauerhaften Tragens der kompletten persönlichen Schutzausstattung nach sich, welches eine erhebliche Belastung des Personals und die zeitliche Begrenzung der Einsatzzeit bedeutet. Vorteilhaft wäre hier die Möglichkeit zu verzugslosen Maßnahmen und Spontanität.

Palliativmedizinische Behandlung und Symptomkontrolle

Für die Patienten in erster Linie, aber auch für die Mitarbeiter, hat es eine immense Bedeutung, im begleiteten Sterbeprozess die für den Patienten am stärksten belastenden Symptome adäquat zu behandeln. Hierfür ist die Tradierung des Wissens der erfahrenen an die jüngere Generation von Kolleginnen und Kollegen unerlässlich. Vor allem die Anwendung von Opioiden, allen voran Morphin, ist eine unerlässliche Säule der palliativen Behandlung in den letzten Zügen des Lebens von symptomgeplagten Patienten [4][8].

Tab. 1: Palliativmedizinische Behandlung und Symptomkontrolle (Beispiele)

In einer Situation mit hohem Patientenaufkommen, welches einer palliativen Behandlung bedarf, ist daher die medikamentöse Therapie und die Vermittlung der Kenntnisse hierzu gerade für die unerfahreneren Kollegen hervorzuheben, damit bei eventuell eingeschränkter Supervision auch im Rahmen der Katastrophenmedizin Handlungssicherheit besteht.

Umgang mit Angehörigen von ­SARS-CoV-2-Patienten

Auch Handlungsanweisungen zum Umgang mit Angehörigen der im Sterbeprozess befindlichen Patienten wurden diskutiert. Eine mediale Kommunikation via Videochat wurde nach sorgfältigen Abwägungen verworfen, da dramatische Szenen und eine Überforderung der Angehörigen vermieden werden sollten. Beim Anblick des sterbenden Menschen und der durch die Isolationsmaßnahmen bedingten räumlichen Distanz wurde eine Überforderung in einer Situation der Hilflosigkeit befürchtet. Die immens erschwerte nonverbale Kommunikation bei ausbleibender haptischer Wahrnehmung ist nicht nur für das medizinische Personal eine erschwerte Bedingung. Sie ist auch für die Angehörigen, welche vor den Bildschirmen sitzend nicht in der Lage wären, ihren Verwandten nahe zu kommen, äußerst dramatisch. Alternativen bieten vom Patienten selbstmitgebrachte Smartphones oder Tablets, immer sein freier Wille und Wunsch hierzu vorausgesetzt. Zusätzlich beschaffte in PVC eingeschweißte Mobilteile des Stationstelefons können ebenfalls eine Kommunikation des Patienten mit seinen Angehörigen ermöglichen. Eine Fotodokumentation jedweder Art des Sterbenden oder gar Verstorbenen wurde umfangreich in der hauseigenen Ethik-Kommission besprochen und als ethisch kritisch und nicht zielführend bewertet. Allein zu diesem Szenario wurde eine Vielzahl von Maßnahmen in den letzten Wochen diskutiert.

Umgang mit verstorbenen SARS-CoV-2-Patienten

Handlungssicherheit und der damit verbundene Schutz vor Überforderung ist auch im Hinblick auf das Vorgehen nach Ableben eines Patienten wichtig, weshalb die interdisziplinäre Zusammenarbeit selbstverständlich auch die mit der Abteilung Pathologie der Klinik einschließt. Diese lieferte zusammen mit den Hygieneverantwortlichen unseres Hauses die erforderliche Expertise zum sicheren Umgang mit infizierten Verstorbenen mit der vordersten Prämisse des Selbst- und Eigenschutz des Personals sowie nachfolgend im Rahmen der Trauerrituale beteiligter Personen. Ebenfalls wurde das Verfahren zum Verbringen der Leichen in den Bereich der Pathologie durch einen vom Pflegepersonal des Palliativbereichs separaten Transportdienst festgelegt.

Resilienzfaktoren und Stressfaktoren

Abbildung 2 gibt einen Überblick über Resilienz- und Stressfaktoren für das medizinische Personal.

Abb. 2: Resilienz- und Stressfaktoren für das medizinische Personal

Qualitätssicherung durch Strukturklarheit und offene Diskussionsmöglichkeit

Neben den hier aufgezeigten Resilienz- und Stressfaktoren gibt es noch viele weitere Faktoren, welche das medizinische Personal beeinflussen [3]. Nicht alle Fragen können aktuell abschließend beurteilt werden. Das konsequente Streben nach Qualitätsverbesserung der bestehenden Prozesse ist wichtig und unverzichtbar. Die kostbarste Ressource ist das Personal. Im Streben nach bestmöglichen Einsatz dieser kostbarsten Ressource ist es wichtig, Raum und Möglichkeit zum Austausch und Gespräch zu geben. So können die richtigen und wichtigen Fragen gestellt und bestmöglich beantwortet bzw. Lösungsansätze formuliert werden. Dies erfolgt derzeit durch regelmäßige mindestens wöchentliche Treffen des mit dem Betreiben des Palliativbereichs befassten Personals.

So erscheint eine kritische Betrachtung der Frage nach ungelösten Konfliktpunkten für medizinische Mitarbeiter, Patienten und Angehörige notwendig, nachfolgend eine kleine Auswahl:

Es gibt noch viele weitere Fragen, auf die Antworten etwa im Bereich der Hospizversorgung gesucht und gefunden werden können. Es gibt jedoch ebenfalls noch eine Vielzahl von Fragen, auf die es bisher noch keine konkrete und abschließende Antwort gibt. Dies wird Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein.

Wir können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem ärztlichen wie dem pflegerischen Bereich effektiv vor zu hohen Belastungen schützen, wenn wir möglichst im Voraus anfangen, die richtigen Fragen zu stellen. Hierbei hilft der Entwurf von Gedankenkonstrukten und die Formulierung von Lösungsansätzen. Gerade Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Patienten und ihren Angehörigen stellen hierbei besondere Herausforderungen und erfordern auch kreative Ideen und möglicherweise ungewohnte Methoden (eingeschweißte Telefone, Sprach- und Videonachrichten). Durch einige Antworten werden neue Fragen aufgeworfen, sodass ein stetiger Prozess der Weiterentwicklung ins Rollen kommt, von dem letztlich alle Betroffenen nur profitieren können.

Fazit

Das BwZKrhs Koblenz verfügt bereits seit dem Jahr 2019 über ein effizientes und professionelles Palliativkonzept. In der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie werden auch vor dem Hintergrund knapper bzw. erschöpfter Behandlungskapazitäten bei potenziell übermäßigem Behandlungsbedarf allen Beteiligten klare Handlungsmöglichkeiten und Strukturen an die Hand gegeben, um eine adäquate palliativmedizinische Versorgung und Sterbebegleitung durchzuführen. Die konzeptionelle und strukturelle Klarheit soll neben der Versorgungssicherheit der betroffenen Patienten auch psychischen und physischen Belastungen und Überlastungen des medizinischen Personals vorbeugen und damit schließlich auch die kostbarste Ressource Personal schonen.

So kann in Krisensituationen wie der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie auch den Patienten ein würdiges und begleitetes Sterben ermöglicht werden, welche im Rahmen der Triagierung sonst möglicherweise kaum noch Beachtung durch die knappen medizinischen personellen Ressourcen erfahren würden. Dieses Grundrecht eines jeden Menschen auf würdevolles Sterben ist gerade in der Militärmedizin auch in anderen Szenarien unverzichtbar und jederzeit sicherzustellen.

Für die noch vorhandenen medizinischen Ressourcen ist es wichtig, einen steten Prozess der Weiterentwicklung beizubehalten, zu dem es auch gehört, Fragen zu stellen, auf die es im Moment noch keine abschließenden Antworten gibt. Denn bereits die Beschäftigung mit einem Problem im Vorfeld schützt vor einer Überlastung dieser verbliebenen Ressourcen [10] und sorgt hier dafür, dass Menschen beim Sterben weiterhin jemanden an ihrer Seite haben.

Denn schlimmer als sterben ist es, alleine zu sterben.

Literatur

  1. Buoro S, Di Marco F, Rizzi M et al.: Papa Giovanni XXIII Bergamo Hospital at the time of the COVID-19 outbreak: letter from the warfront. International Journal of Laboratory Hematology 2020; 28. März 2020 (published ahead of print), , letzter Aufruf 28. April 2020. mehr lesen
  2. Daniel Berthold, Jan Gramm, Sonja Hofmann et al.: Impulse für palliativepsycholo*innen. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin 2020; , aufgerufen am 28. April 2020 mehr lesen
  3. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin: Pflegeleitlinie Umgang mit der Situation nach dem Versterben eines Patienten. DG Palliativmedizin 2008; , aufgerufen am 28. April 2020. mehr lesen
  4. Deutscher Ethikrat: Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise (Ad-Hoc-Empfehlung).< https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/ad-hoc-empfehlung-corona-krise.pdf>, Aufruf 28. April 2020. mehr lesen
  5. Deutsches Institut für Katastrophenmedizin: SARS-CoV-2 Lage in Straßburg am 23.03.2020 - Aktueller Bericht. Stuttgart: Deutsches Institut für Katastrophenmedizin, 2020. mehr lesen
  6. Lasky J: Triage. Salem Press Encyclopedia of Health, 2017; 2p.
  7. Li Q, Guan X, Wu P et al.: Early Transmission Dynamics in Wuhan, China, of Novel Coronavirus–Infected Pneumonia. NEJM 2020; 382(13): 1199-1207. mehr lesen
  8. Morris DB: Optimal relief for pain at the end of life: a caregiver's tale. Medical humanities 2018; 44: 120-124. mehr lesen
  9. Pfister D, Müller M: Wie viel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012. mehr lesen
  10. Richter-Kuhlmann E: Ressourcen in der Intensivmedizin: Orientierung an Erfolgsaussicht.“ Dtsch Ärztebl 2020; 117(14): A698. mehr lesen
  11. Shreves A, Pour TR, Gupta N, Nusbaum J: „Emergency department management of dyspnea in the dying patient.“ Emergency medicine practice 2018; 20 (Suppl 7): 1-2. mehr lesen
  12. Wehkamp KH, Naegler H: Ökonomisierung patientenbezogener Entscheidungen im Krankenhaus.“ Dtsch Ärztebl Intern 2017; 114: 797-804. mehr lesen
  13. Zernikow: Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Berlin: Springer, 2013.

Manuskriptdaten

Zitierweise

Marquardt J, Schenk D, Andrée T, Simon U, Sieber E, Wagner U: Palliativmedizin und COVID-19: Konzept zur klinischen palliativmedizinischen Versorgung im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie 2020. WMM 2020; 64(S1): e15

Für die Verfasser

Oberstarzt Dr. Ulrike Wagner

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Klinik für Innere Medizin

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: ulrike1wagner@bundeswehr.org