Wehrmedizinische Monatsschrift

MIT NETZ UND DOPPELTEM BODEN

Herstellung von medizinischem Sauerstoff (93 %) mit
mobilen Erzeugungs- und Abfüllanlagen in der Corona-Krise

Michael Buhl a, Ernst-Rudolf Ziegler a, Arno Lange-Böhmer a

a Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Koblenz, Unterabteilung X

 

Einleitung

Die gegenwärtige Situation um die COVID-19-Pandemie ist eine nie dagewesene Herausforderung für die Gesundheitssysteme aller Staaten. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat unter Hochdruck eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um für die zu erwartenden hohen Patientenzahlen bestmöglich gewappnet zu sein. So haben die fünf Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs´er) ihre Intensivbettenkapazitäten zur Aufnahme von Patienten mit schweren Krankheitsverläufen erhöht und bauen sie weiter aus. Das hat nicht nur einen erhöhten Bedarf an Beatmungsgeräten zur Folge; auch die Versorgung mit medizinischem Sauerstoff muss zuverlässig sichergestellt werden. Um diese auch bei Lieferengpässen ziviler Sauerstofflieferanten weiter aufrechterhalten zu können, wurden Systeme aktiviert, die eigentlich für den Einsatz bei Stabilisierungsoperationen vorgesehen sind, die „Mobilen Sauerstofferzeugungs- und Abfüllanlagen“ (MSEA) der Bundeswehr.

Abb. 1: Die zur Unterstützung im Rahmen der COVID-19-Pandemie am Standort Koblenz aufgebaute MSEA:
Vorne links: Container mit dem Sauerstofferzeuger
Hinten links: Geräteversorgungscontainer
Mitte: Zeltgestützter Arbeitsbereich, dahinter Container Sauerstoffflaschenlager

Engpass: Flaschensauerstoff

Der Sauerstoffbedarf der BwKrhs´er wird im Regelbetrieb über zivile Anbieter von medizinischen Gasen, wie z. B. die Firmen Linde oder Air Liquide, gedeckt. Die Versorgung erfolgt regulär aus Tanks mit Flüssigsauerstoff (99,5 %), die mehrere Kubikmeter Inhalt haben und an Ringleitungssysteme der Krankenhäuser angeschlossen sind. Die Erfassung des Verbrauchs und die Befüllung der Anlagen erfolgt hierbei voll automatisiert per Fernwartung durch die jeweiligen Lieferanten.

Die in den BwKrhs´ern erweiterten Beatmungskapazitäten haben im Betrieb einen deutlich erhöhten Sauerstoffbedarf zur Folge, wie Meldungen aus Italien zeigen. Die zusätzlichen Beatmungsgeräte können nicht immer an die vorhandenen O2-Ringleitungssysteme der Krankenhäuser angeschlossen werden, sondern müssen mit Sauerstoffflaschen betrieben werden. Sollte es auch in Deutschland zu Engpässen in der Sauerstoffversorgung kommen, sind diese absehbar nur im Bereich des in Druckgasflaschen abgefüllten Flaschensauerstoffs zu erwarten.

Abb. 2: Das zentrale Element der MSEA – Molekularsiebe zur Anreicherung des Luftsauerstoffs

Lösung: MSEA

Seit Herbst 2016 verfügt der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr über sechs mobile Sauerstofferzeuger- und Abfüllanlagen (MSEA), die anteilig in den Versorgungs- und Instandsetzungszentren (VersInstZ SanMat) und in den Sanitätsregimentern (SanRgt) stationiert sind. Zwei dieser Anlagen werden nun für den Aufbau einer Sauerstoffreserve an den Standorten Koblenz und Dornstadt in Betrieb genommen, um die nahe gelegenen BwKrhs´er in Koblenz und Ulm auch bei Engpässen weiterhin mit medizinischem Sauerstoff versorgen zu können. Zusätzlich wurde auch in den VersInstZ SanMat Blankenburg und Quakenbrück mit der Sauerstoffproduktion durch zwei weitere MSEA begonnen. Die hier angelegten Vorräte sollen im Schwerpunkt für die Versorgung in der Fläche sowie für die BwKrhs´er Westerstede und Hamburg herangezogen werden.

Mit einer Herstellungskapazität von 400 000 Litern Sauerstoff pro Tag und Anlage sind die MSEA für die Versorgung eines Einsatzlazaretts (Role 3) oder eines Rettungszentrums (Role 2) in Stabilisierungsoperationen ausgelegt. Die Herstellung erfolgt durch Anreicherung des Luftsauerstoffs an Molekularsieben nach dem Verfahren der Druckwechsel-Adsorption. Dabei wird die Umgebungsluft zunächst vorverdichtet und über einen Wärmetauscher zu den Sauerstoff-Konzentratormodulen geleitet. Diese enthalten mit Zeolithen (Aluminiumsilikat) gefüllte Säulen – sogenannte Molekularsiebe –,an denen die im Luftsauerstoff enthaltenen Gase wie Stickstoff und Kohlendioxid adsorbiert werden. Im Anschluss wird der so gewonnene Sauerstoff bei 6-8 bar in zwei Tanks (je 360 l) gesammelt, bis er durch zwei Hochleistungsverdichter auf 200 bar komprimiert und in entsprechende Flaschen abgefüllt wird.

Abb. 3: Eine Kalibrierung der vorhandenen Messgeräte ist in regemäßigen Abständen vorgeschrieben.

Arzneimittel: 93 %iger Sauerstoff

Der in den MSEA produzierte medizinische Sauerstoff hat eine Konzentration von 93±3 % und unterscheidet sich somit von dem üblicherweise in den Krankenhäusern eingesetzten Sauerstoff, der infolge eines anderen Herstellungsverfahrens einen Gehalt von mindestens 99,5 % besitzt. Im Einsatz wird 93 %iger Sauerstoff bereits seit vielen Jahren in der Bundeswehr eingesetzt und erfüllt dort alle Anforderungen. Auch in der Praxisanwendung hat sich der Unterschied zwischen den verschiedenen Konzentrationen nicht bemerkbar gemacht.

Medizinischer Sauerstoff 93 % ist ein Arzneimittel und wird nach einer Monografie des Europäischen Arzneibuches durch pharmazeutisches Personal (Pharmazeutisch-technische Assistenten und Apotheker) im Defekturmaßstab hergestellt und getestet (Monographie PhEur 8.0/2455: Sauerstoff 93 %, Oxygenium 93 per centum). So erfolgt für jede Charge auch eine Prüfung auf Identität, Reinheit und Gehalt. Nur wenn die Ergebnisse der Prüfung den Vorgaben entsprechen, erfolgt die Freigabe des Arzneimittels durch einen Apotheker.

 

Abb. 4: Routinemäßige Befüllung von 50 Liter Sauerstoffflaschen

Zusätzliches Betriebspersonal qualifiziert

Zur vollen Ausschöpfung der Kapazitäten einer MSEA muss diese 20 h pro Tag betrieben werden. Dies ist mit einem erhöhten Personalbedarf verbunden und würde das ohnehin stark eingebundene Apothekenpersonal der BwKrhs´er noch mehr belasten. Bisher wurde bereits regelmäßig Personal für die Sauerstofferzeugung im Rahmen des Lehrgangs „Arzneimittelherstellung im Einsatz“ ausgebildet. Ergänzend dazu wurde zeitgleich mit der Inbetriebnahme der Anlagen auch die Ausbildung von weiterem pharmazeutischem Personal aus ortsnahen Dienststellen durchgeführt. So konnten in mehreren ­Ausbildungsdurchgängen bereits zusätzliche SanStOffz ­Apotheker und SanFw PharmTAss aus dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, dem Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung, der Außenstelle Koblenz des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München, der Überwachungsstelle für öffent­lich-rechtliche Aufgaben West sowie der Bundeswehrkrankenhausapotheken ­Koblenz und Ulm an der Anlage ausgebildet und in einen Personalpool aufgenommen werden. Für einen Schichtbetrieb steht an den Standorten Koblenz und Dornstadt somit genügend pharmazeutisches Personal zur Verfügung. Solange noch keine Versorgungsengpässe auftreten, ist es allerdings noch nicht notwendig, die Anlagen bei maximaler Kapazität zu betreiben.

Weiteres Vorgehen

Nach der Inbetriebnahme der MSEA und der Personalausbildung soll im nächsten Schritt eine ausreichende Sauerstoffreserve für die BwKrhs´er aufgebaut werden. Hierfür wurde an den Standorten Quakenbrück, Blankenburg und Koblenz bereits Ende März mit der Abfüllung von Sauerstoffflaschen begonnen.

Zeitgleich bereiten sich auch die BwKrhs´er auf einen erhöhten Abruf von Sauerstoff vor. Es wurden bereits Maßnahmen getroffen, um die Frequenz der Befüllung der Flüssigsauerstofftanks zu erhöhen und auch die Flaschenabfüllung mit Sauerstoff 99,5 % durch kommerzielle Anbieter aufzustocken. Auch wenn Reserven mit Sauerstoff 93 % zur Verfügung stehen, soll bei hinreichenden Ressourcen die etablierte Versorgung von Patienten mit Sauerstoff 99,5 % weiterhin das Mittel der ersten Wahl sein.

Fazit

Die MSEA bieten den Krankenhäusern eine Absicherung, die über die reine Bereitstellung einer Sauerstoffreserve hinausgeht. Denn sollten für Sauerstoff 99,5 % tatsächlich Versorgungsengpässe auftreten, können Intensivbetten und Beatmungsgeräte verzugslos auch weiterhin durch die Produktionsleistung der MSEA versorgt werden.

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr sieht sich unter Ausschöpfung der derzeitigen Ressourcen gut gewappnet für die Sauerstoffversorgung im Rahmen der weiteren Entwicklung der COVID-19-Lage.

Manuskriptdaten

Zitierweise

Buhl M, Ziegler ER, Lange-Böhmer A: Herstellung von medizinischem Sauerstoff (93 %) mit mobilen Erzeugungs- und Abfüllanlagen in der Corona-Krise. WMM 2020; S1: e6.

Für die Verfasser

Oberstabsapotheker Michael Buhl

Kommando Sanitästdienst der Bundeswehr

Unterabteilung X, Referat X 2

Von-Kuhl-Str. 50, 56070 Koblenz

E-Mail: michael1buhl@bundeswehr.org